Eurovision-Liederwettbewerb als wokes Politikum
Der Eurovision Song Contest dient schon lange nicht mehr der Völkerverständigung, sondern wird immer mehr zum Sprachrohr politischer Botschaften. Fabian Walch analysiert, warum Georgien in diesem Jahr das Rennen machen könnte – und was das mit der EU zu tun hat.
Es ist wieder so weit: Der Eurovision-Liederwettbewerb findet statt. Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass es auch in diesem Jahr wieder eine woke und politisch korrekte Machtdemonstration werden wird. Mit Kunst und Völkerverständigung hat die Veranstaltung nämlich schon lange nichts mehr zu tun. Vorbei sind die Zeiten, in denen in der jeweiligen Landessprache gesungen wurde und man die Künstler auch ohne die Einblendung der Länderflagge zuordnen konnte. Heute ist alles ein völlig austauschbarer Einheitsbrei, bei dem die Länderkennzeichnungen nur noch pro forma angehängt werden. Es singt ohnehin fast jeder auf Englisch, auch das Geschlecht ist nicht mehr eindeutig zuordenbar und im Vordergrund steht eine politische Botschaft, und die lautet: Wir sind divers, weltoffen und woke.
Darüber hinaus sollen aber auch noch andere Botschaften vermittelt werden. 2016 gewann die Ukraine den Bewerb in Stockholm, was natürlich eine Reaktion auf den Euromaidan sowie die darauffolgende Annexion der Krim durch Russland war. Man ist versucht zu sagen, die Ukraine musste gewinnen, weil man damit ein Signal aussenden wollte, und zwar die Ukraine an die EU heranzuführen. Und auch die Ukraine hatte verstanden. Als nämlich der Eurovision-Liederwettbewerb im Folgejahr in Kiew ausgetragen wurde, geschah dies mustergültig unter dem Woke-Motto „Celebrate Diversity“ (Vielfalt feiern).
Politischer Kalkül statt musikalischer Qualität
Aus diesem Grund kann man eine Prognose über den diesjährigen Sieger wagen: Georgien. Das würde nur allzu gut in das Muster passen. Seit 2024 gibt es relativ große Proteste in dem kleinen Kaukasusstaat, weil am 24. Oktober bei den Parlamentswahlen die EU-kritische Regierungspartei „Georgischer Traum“ die absolute Mehrheit errang. Man fragt sich, warum gegen eine derart populäre Partei demonstriert wird. Und die Antwort findet sich wie damals in der Ukraine im Ausland, nämlich in der Europäischen Union.
Die Sozialen Medien waren hier verräterisch, da sich die durchaus beeindruckenden Bilder, die auf riesige Massen von Demonstranten schließen ließen, schnell relativierten – haben doch allerlei Politiker, Aktivisten und NGOs stolz ihre Teilnahme an den dortigen Protesten mit der Welt geteilt. Dabei fragt man sich, ob denn dort auch Georgier aus der Mitte des Volkes anwesend waren. Wohl eher keiner der 54 Prozent, die bei der Parlamentswahl die konservative Regierungspartei gewählt hatten. Großer Verlierer bei der Wahl war das links-„liberale“ Wahlbündnis „Einheit“, das 24 Prozent der Stimmen einbüßen musste. Da kann die Europäische Union natürlich nicht tatenlos zusehen. Die OSZE jedenfalls hat „Zweifel an der Glaubwürdigkeit der offiziellen Wahlergebnisse“ geäußert.
EU-Prominenz mobilisiert bei Tiflis-Protesten
Dementsprechend fanden sich „die Guten“ in Tiflis ein, um dem georgischen Volk lautstark mitzuteilen, dass sie Demokratie missverstanden haben und den bösen Populisten auf den Leim gegangen seien. Schon zuvor hörte man aus Georgien „Wir beschützen Europas Sicherheit“. Das kommt bekannt vor? Richtig, dasselbe wird uns auch aus der Ukraine mitgeteilt. Jedenfalls werden die Demonstrationen als „proeuropäisch“, was mit „pro-EU“ zu verstehen ist, gerahmt.
Wer versammelte sich denn nun in Tiflis? Alte Bekannte möchte man sagen. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg gab sich etwa am 4. November die Ehre. Nachdem „Fridays for Future“ ausgehopst hat und ihre antisemitischen Ausflüge bei Palästinademonstrationen doch auf harte Kritik gestoßen sind, versucht sie nun in Georgien als antirussische Agitatorin ihr Glück. Ebenfalls zu finden war dort der SPD-Politiker Michael Roth, der damals noch Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag war. Er war im Mai und im September dort und nahm an Protesten teil und sprach sogar bei einer Kundgebung, worin er Georgiens EU-Perspektive betonte.
Roth war aber natürlich nicht allein dort. Er reiste mit einer Delegation aus Abgeordneten anderer EU-Länder, konkret mit Abgeordneten aus Litauen, Polen, Tschechien und Finnland. Am 12. Dezember beteiligte sich zudem eine Gruppe von EU-Abgeordneten an den georgischen Protesten. Etwa Rasa Juknevičienė von den litauischen Christdemokraten (Vaterlandsunion). Sie ist als Mitglied des Europäischen Parlaments ständige Berichterstatterin für Georgien und unterstrich mit ihrer Teilnahme die EU-Integrationsbemühungen. Daneben waren Michał Szczerba von der liberalen Bürgerplattform aus Polen und Sergey Lagodinsky von den deutschen Grünen tatkräftig in der georgischen Hauptstadt am Werk.
ESC 2026 in Tiflis?
Dementsprechend wäre es nur folgerichtig, wenn nun Georgien gewinnt und der nächste Eurovision-Liederwettbewerb 2026 in Tiflis stattfindet. Das wäre die optimale Solidaritätsbekundung und würde zusätzlich unterstreichen, wie sehr man sich Georgien in der Europäischen Union wünscht. Das Lied der georgischen Teilnehmerin Mariam Shengelia heißt jedenfalls passend pathetisch „Freedom“.
Nachdem nun positiv über die Aufnahme des Kosovo im EU-Parlament abgestimmt wurde und damit die EU-Integration des Westbalkans weiter voranschreitet, greift man nun nach dem Kaukasus. Dass neben den Beitrittsverhandlungen der Ukraine nun auch Georgien folgen soll, hat den Nebeneffekt, dass man Russland weiter einkesselt und unter Druck setzt. Georgien muss sich aber in Acht nehmen. Armenien wurde vom Westen im Stich gelassen, als es vom islamistischen Aserbaidschan angegriffen wurde und Hunderttausend aus Bergkarabach vertrieben und Tausende ermordet wurden. Es gab keinerlei Sanktionen, obwohl das islamische Kaukasusland wichtiger Erdgas- und -öl-Exporteur in die EU ist. Klassische Doppelmoral à la Europäische Union. Es gibt eben gute und böse völkerrechtswidrige Angriffskriege.
Dabei mag man sich überhaupt die Frage stellen, was denn Georgien, Aserbaidschan und Armenien bei einem europäischen Liederwettbewerb machen. Bei Georgien und Aserbaidschan findet man noch Spuren des Abendlandes, aber Aserbaidschan ist völlig raumfremd. Dasselbe gilt in gesteigertem Maß übrigens für die Türkei und Marokko, die einem völlig anderen Kulturraum zuzuordnen sind. Was Australien bei diesem Bewerb soll, ist ohnehin völlig schleierhaft. Auch bei Israel darf man skeptisch sein, wobei die wohl bald ausgeschlossen werden. 72 ehemalige ESC-Teilnehmer fordern nämlich, Israel vom Wettbewerb auszuschließen. Die antisemitischen Vorfälle vom letzten Jahr sind bekannt.
Vom bunten Fest zur Einheits-Show
Kurzum hat der Eurovision Song Contest (ESC) seine Daseinsberechtigung längst verloren. Politisch war er natürlich immer. Man erinnere sich nur an „Ein bißchen Frieden“ von der Deutschen Nicole, die 1982 mitten im Kalten Krieg den Liederwettbewerb gewann. Aber da könnte man wieder hin. Sinnvoll wäre, wenn die Künstler wieder in ihrer jeweiligen Landessprache singen und die nationalen Eigenheiten hervorgekehrt werden. Niemand braucht einen grauen Einheitsbrei, der versucht, sich hinter einem penetranten Regenbogen zu verstecken.
Ja, es geht beim ESC auch um die Vielfalt Europas, aber diese findet sich vor allem auf nationaler Grundlage. Diese Vielfalt kann und soll man gerne feiern. Aber genau diese nationale Vielfalt ist der EU ja ein Dorn im Auge und soll überwunden werden. Die Zeichen der Zeit stehen jedoch auf nationalem Wiedererwachen, abendländischer Renaissance und Reidentifikation. Davor werden im woken Elfenbeinturm der Europäischen Rundfunkunion, die den ESC jährlich im Rahmen der Eurovision veranstaltet, aber noch beharrlich die Augen verschlossen. Insofern dürfen wir uns auch dieses Jahr wieder auf ein kunterbuntes Fest der Wokeness „freuen“ und die Flimmerkiste getrost auslassen.