Vereinigung Europäischer Journalisten: Podiumsdiskussion zum Ukrainekrieg
Die Vereinigung Europäischer Journalisten (VEJ) lud Ende Juni hochrangige Politiker und Experten zur Podiumsdiskussion „500 Tage Krieg in der Ukraine – wie geht es weiter in Europa?“.
Aufmerksame Beobachter des politischen Geschehens in Europa dürften die Diskussion zum Ukrainekonflikt, an der unter anderem der ehemalige Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses Henri Malosse, der italienische Senator Roberto Rampi und der kroatische Europaabgeordnete Ladislav Ilčić teilnahmen, mit einigem Erstaunen verfolgt haben. In der Debatte kamen Wahrheiten ans Licht, die im deutschen Mainstream bisher keine Rolle spielten – spielen durften. Auf dem YouTube-Kanal des Münchner PresseClubs ist das rund eineinhalbstündige Video noch zu finden.
Gefahr des „missionarischen Journalismus“
Der Moderator und Präsident der VEJ, Dr. Ralf Schneider, wies gleich zu Beginn auf die Gefahr eines „missionarischen Journalismus“ angesichts des anhaltenden Konflikts hin. Er betonte, wie wichtig es für die Demokratie sei, dass „verschiedene Meinungen“ zu Wort kommen. Er ging aber noch einen Schritt weiter: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch Medien zuhören sollten, die nicht zum Mainstream in Deutschland gehören“. In solchen Konflikten, so Schneider weiter, gebe es „kein Schwarz oder Weiß“. Propaganda gebe es auf allen Seiten. Man dürfe deshalb „nicht alles glauben, was die deutsche Regierung und die ihr nahestehenden Medien auftischen“.
Der per Video zugeschaltete ehemalige ukrainische Parlamentsabgeordnete Oleg Woloschyn, der das Land wegen anhaltender Drohungen verlassen musste, weil die Regierung Selenskyj ihm Nähe zu Russland vorwarf, machte deutlich, dass es in seinem Land immer mehr Rechtsverletzungen gegen Journalisten, Oppositionelle, religiöse Organisationen und nationale Minderheiten gebe. Er selbst legte 2023 aus Protest gegen die Behinderung der Opposition sein Abgeordnetenmandat nieder. Wann haben wir von solchen Zuständen in unseren Medien gehört?
Krieg als Normalzustand
Der italienische Senator Roberto Rampi von der „Partito Democratico“ machte in seinem Beitrag deutlich, dass „die Freiheit der Journalisten und der Medien“ wichtig sei, um „die Macht der Regierungen gerade in solchen Konflikten auszubalancieren“. Der aktuelle Konflikt sei vor allem deshalb sehr gefährlich, weil er die Wahrnehmung der EU als „Friedensprojekt“ nachhaltig beschädige. „Noch vor zwei Jahren konnten wir uns einen Krieg dieses Ausmaßes nicht vorstellen“, so Rampi. Nun aber sei der Kriegszustand zur Normalität geworden, über die kaum noch diskutiert werden könne.
Deshalb sei es wichtig, dass „jeder Standpunkt seinen Platz hat“. „Wir brauchen eine Kultur der Meinungsfreiheit, der journalistischen Freiheit und des freien Informationsflusses“, so Rampi. Um dies zu gewährleisten, müssten aber auch „die ökonomischen Existenzbedingungen der Medien“ kritisch hinterfragt werden. Es müsse immer die Frage gestellt werden, „wer bezahlt dafür, dass diese oder jene Berichterstattung verbreitet wird“. Ganz zentral erscheint ihm, dass die Bürger „die Möglichkeit haben, die Informationen, die sie bekommen, auch bewerten zu können“. Als Beispiel nennt er die tendenziöse Berichterstattung über den Klimawandel.
Berichterstattung sehr polarisierend
Der französische Wirtschaftsexperte und Europapolitiker Henri Malosse beginnt seinen Vortrag mit der Feststellung, dass der Tag des Mauerfalls einer der schönsten in seinem Leben gewesen sei. Umso trauriger sei er, dass die Teilung Europas – diesmal entlang der russisch-ukrainischen Grenze – erneut Realität geworden sei. Ausschlaggebend für diese Entwicklung sei der fatale Fehler der EU und des Westens gewesen, die Ukraine zu einer Entscheidung zwischen Ost und West zu zwingen. „Damit haben wir erst die Spannungen erzeugt“, so Malosse, die nun zu diesem Konflikt geführt haben. Die Situation sei vergleichbar mit der eines Kindes, das sich zwischen Mutter und Vater entscheiden müsse.
Malosse hält die Berichterstattung für sehr polarisierend – auch in Frankreich. Russischsprachige Medien wie RT aus dem Land – und damit aus der Diskussion – zu verbannen, hält Malosse für einen Fehler, denn das Ausschalten einer Sichtweise habe nicht zu einer „objektiven Berichterstattung“ geführt. Sein eindringlicher Appell: „Wir müssen uns für den Frieden einsetzen“.
Konflikt wäre vermeidbar gewesen
Der ehemalige ukrainische Abgeordnete Oleg Woloschyn kritisiert mit Blick auf die EU vor allem, dass europäische Politiker immer noch so tun, als habe es „keine Alternative zum Konflikt mit Russland gegeben“. Die Alternativen gab es. Der Konflikt hätte vermieden werden können. Gespräche und Verhandlungen wären möglich gewesen, ist Woloschyn überzeugt. Und weiter: „Warum sollten die Ukraine und Russland nicht friedlich miteinander leben können, wenn es selbst Frankreich und Deutschland nach zwei Weltkriegen geschafft haben?“ Bestimmte Kräfte außerhalb der EU wollten unbedingt, dass es zu diesem Konflikt kommt“, ist Woloschyn überzeugt. Ziel dieser Kräfte – und damit meint er vor allem die USA – sei es gewesen, „Russland und die EU zu schwächen“.
Die Beweise für diese These liegen laut Woloshyn auf der Hand: „Wir sehen jetzt, wohin die gesamte Industrie der EU abwandert. Wir sehen, wer am meisten von diesem Konflikt profitiert.“ Und er geht noch weiter: „Wir sehen auch, dass der militärisch-industrielle Komplex, der wegen des Friedens jahrzehntelang im Niedergang war, nicht mehr weiß, wohin mit seinem Geld.“ Auch der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall sei bei diesem lukrativen Konjunkturprogramm ganz vorne mit dabei. „Mit Blutvergießen wird derzeit viel Geld verdient“, so Woloschyn weiter.
Zur Rolle der Meinungs- und Pressefreiheit sagte der Ex-Abgeordnete: „Auch in Kriegszeiten gibt es keine Entschuldigung für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit“. Besonders auffällig sei, so Woloschyn, dass es in der Ukraine derzeit alle möglichen Debatten gebe, eine Position aber völlig ausgeklammert werde. Diese Position laute: „Wir wollen Frieden, und zwar jetzt!“ Man könne heute in der Ukraine weder im Parlament noch auf der Straße offen sagen: „Ich will Frieden mit Russland. Ich will, dass das Blutvergießen aufhört.“
Mehrere Kriege parallel
Frank Furedi, Journalist und emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Kent, sieht den derzeitigen Kriegs als einen potentiell „endlosen Grenzkonflikt“ an. In einem solchen Konflikt könne „keine Seite verlieren – und keine gewinnen“. Seine Situationsanalyse geht davon aus, dass derzeit mehrere Kriege parallel geführt werden. Da sei zum einen der Kampf um die „ukrainische Souveränität“, der sich längst zu einem Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland entwickelt habe. Im Windschatten dieses Konflikts habe die NATO die Chance gehabt, ihre Rolle zu stärken und sich „neu zu erfinden“, so Furedi weiter.
Die zweite Ebene des Konflikts sei ein „Kulturkampf“, in dem scheinbar die Werte des Westens gegen die Werte Russlands ausgespielt würden. Er verweist auf eine Beobachtung seinerseits, wonach zu Beginn des Konflikts in der ukrainischen Hauptstadt Botschaften mit dem Slogan „Make Kiew queer“ verbreitet wurden. Furedi spricht in diesem Zusammenhang von dem Versuch, westliche Kultur in die Ukraine zu exportieren, um das Land in den Westen zu ziehen und den Wertekonflikt mit Russland zu verschärfen. Im Zuge dieses Kulturkampfes habe die so genannte „Woke-Ideologie“ neuen Auftrieb erhalten und westlichen Politikern den Vorwand geliefert, sich als „die Guten“ zu präsentieren – während Russland auf kultureller Ebene als unmoralisch gegeißelt werden konnte.
Die EU als Spielball der USA
Nachdem auch Ladislav Ilčić, ein konservativer Abgeordneter des Europäischen Parlaments, seinen Wunsch nach Verhandlungen und Frieden deutlich gemacht hat und sowohl Rampi als auch Malosse ihre Enttäuschung über die Rolle der EU in diesem Konflikt zum Ausdruck gebracht haben, kommt Oleg Woloschyn auf einen weiteren wichtigen Punkt zu sprechen: Die EU sei in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr vom Partner zum Spielball der USA geworden. „Wäre die EU in ihren Entscheidungen unabhängiger von den USA gewesen, hätte es keinen Krieg gegeben“, ist Woloschyn überzeugt.
Besonders vielsagend mit Blick auf den Zustand der Demokratie in der Ukraine sei für ihn, dass die Machthaber dort derzeit Wahlen vorbereiten – und auch gewillt sind diese durchzuführen –, und zwar trotz des immer noch schwelenden militärischen Konflikts. Diese Tatsache zeige aus seiner Sicht, dass es „den ukrainischen Politikern nicht um das Land geht, sondern darum, an der Macht zu bleiben.“ Besonders bitter für ihn: Er selbst stimmte damals, vor wenigen Jahren, für Wolodymyr Selenskyj als Präsidenten, „weil ich dachte, er steht für Frieden mit Russland, wie lächerlich sich das heute auch anhören mag.“ Aus seiner Sicht habe dieser Präsident, der sich seit seinem Amtsantritt völlig verändert habe, kein Recht darauf, sich „auf eine zweite Amtszeit zu bewerben“.