Tomasz M. Froelich zur polnischen Wahl: „In Polen wird sich nicht viel ändern“

Am vergangenen Sonntag konnten die knapp 37 Millionen Polen ein neues Parlament wählen. Das Ergebnis wird aller Voraussicht nach einen Regierungswechsel mit sich bringen. Obwohl die Regierungspartei PiS die Wahl gewonnen hat, verfügt eine liberale Koalition unter Donald Tusk über die entscheidende Mehrheit. Tomasz M. Froelich ordnet in einem kurzen Gespräch die Ergebnisse und Konsequenzen ein.

Interview von
17.10.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Tomasz M. Froelich zur polnischen Wahl: „In Polen wird sich nicht viel ändern“
Tomasz M. Froelich © AfD

FREILICH: Herr Froelich, warum konnte die rechte Partei Konfederacja, die in Opposition zur regierenden konservativen Volkspartei PiS steht und durchaus inhaltliche Anknüpfungspunkte zur AfD oder FPÖ aufweist und in den letzten Monate zeitweise Umfragewerte von bis zu 15 Prozent hatte, diese nicht über die Ziellinie bringen? Das Ergebnis mit knapp mehr als sieben Prozent wirkt auf den ersten Blick enttäuschend.

Tomasz M. Froelich: Dafür gibt es mehrere Gründe. Als einzige politische Kraft hat die Konfederacja die fremdbestimmte Ukraine-Politik der PiS-Regierung von Anfang an fundamental kritisiert (Die polnische Regierung gehörte anfangs zu den wichtigsten Unterstützern Kiews nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, Anm. d. Red.). Als im Wahlkampf die PiS und alle anderen Parteien zumindest rhetorisch von der Ukrainisierung Polens abgerückt sind, verhielt sich die Konfederacja antizyklisch und bespielte dieses Thema nicht mehr so intensiv – erst gegen Ende wieder, aber da war es schon zu spät: So wurde ausgerechnet die PiS als ukrainekritische Partei wahrgenommen. Das lag auch daran, dass beliebte Hardliner wie Grzegorz Braun im Wahlkampf nicht so prominent zum Zuge kamen. Das war ein Fehler.

Auch das offen kommunizierte Fehlen einer Koalitionsbereitschaft dürfte sich elektoral nachteilig ausgewirkt haben. So wählten viele, die eigentlich der Konfederacja näher stehen, aus Angst vor einer Tusk-Regierung die PiS (Donald Tusk ist ein bekannter liberaler Oppositionspolitiker, Anm. d. Red.).

Hinzu kommt der Medienboykott: Politiker der Konfederacja nahmen wesentlich seltener an Talkshows der Mainstreamsender teil. Wenn sie dies taten, schnitten sie aber auffällig gut ab, allen voran Krzysztof Bosak und Ewa Zajączkowska-Hernik, die sicherlich als Neuentdeckung des Wahlkampfs gesehen werden kann.

Auch wenn die Konfederacja mit ihren 7,2 Prozent hinter ihren Erwartungen zurückblieb, konnte sie sich um knapp 300.000 Stimmen steigern und wird künftig mit 18 statt wie bisher elf Abgeordneten im Sejm vertreten sein. Die Konfederacja ist ein langfristig angelegtes Projekt, das organisch wachsen wird. Sie hat dank ihrer jungen Wählerschaft die demografische Entwicklung auf ihrer Seite.

War die Wahl und das nun vorliegende Ergebnis am Sonntag ein Votum gegen die PiS oder ein Votum für Tusk? Die PiS ist zwar wieder stärkste Kraft geworden, kann aber aufgrund fehlender Mehrheiten nicht weiterregieren. Aller Voraussicht nach wird Donald Tusk jetzt mit den zentristisch-liberalen Wahlbündnissen Koalicja Obywatelska (Bürgerkoalition) und Trzecia Droga (Dritter Weg) sowie der linken Partei Lewica (Linke) eine neue Regierung bilden.

Die Wahl war eher eine Abstimmung gegen die PiS, schließlich hat sie von allen Parteien die größten Verluste hinnehmen müssen. Der PiS fehlte ein Wahlkampfthema. Ihre sozialpolitischen Versprechen wurden in einem sozialdemagogischen Überbietungswettbewerb auch von Tusks Bürgerkoalition geteilt, sodass die Leute keine Angst davor hatten, dass Donald Tusk ihnen das nimmt, was Jarosław Kaczyński ihnen versprochen hat.

Also setzte man auf das Schüren antideutscher Ressentiments und auf Migrationskritik – nur machte man sich insbesondere mit Letzterem unglaubwürdig, als der Visum-Skandal aufkam und die Massenmigration in den letzten Jahren auch vor einem von der PiS regierten Polen nicht Halt gemacht hat – im Gegenteil.

Von der Polarisierung zwischen der PiS und der Bürgerkoalition profitierte vor allem die Trzecia Droga, ein von Szymon Hołownia und Władysław Kosiniak-Kamysz angeführter politisch-mittiger Gemischtwarenladen, der zugunsten von Tusk zum Zünglein an der Waage wurde.

Was bedeutet die Wahl nun für die politische Entwicklung Polens?

In Polen wird sich nicht viel ändern: Die PiS hat unter anderem eine fremdbestimmte und desolate Ukraine-Politik, Massenmigration, Inflation, die grüne EU-Agenda, fit for 55 und den Visa-Skandal mitzuverantworten. Das ist im Ergebnis dieselbe Politik, die auch die neue Regierung in Warschau vertreten wird, nur eben auf Speed.

Hinzukommen dürften „progressive“ gesellschaftspolitische Reformen, wie etwa ein liberaleres Abtreibungsgesetz. Bei aller berechtigten Kritik an der PiS ist zu konstatieren, dass sie trotz ihrer geopolitischen Ausrichtung mit ihrer Politik einen Schutzwall vor westlicher Wokeness aufgebaut hat. Nun bleibt zu hoffen, dass dieser Schutzwall nicht niedergerissen wird. Insbesondere die Linke, die trotz Stimmenverlusten jetzt mitregieren dürfte, wird versuchen, eine gegen Gott, Natur, Nation und Tradition gerichtete, zersetzende, woke und degenerative Identitätspolitik umzusetzen. Hoffen wir, dass das scheitert.

Welche Folgen hat die Wahl für die EU, Europa und Deutschland? 

Auf EU-Ebene dürfte nun vieles noch schlimmer und schneller forciert werden, etwa in der Migrationspolitik oder in der Energiepolitik. Und Ungarn dürfte innerhalb der EU noch isolierter sein, was Repression seitens der Eurokraten erleichtert. In Budapest wird man mit weiteren Rechtsstaatsverfahren rechnen müssen.

Gegenüber Deutschland wird die neue Regierung in Warschau vermutlich versöhnlichere Töne anstimmen. Dies gilt auch für die deutsche Minderheit in Polen, die allerdings erstmals seit 33 Jahren keine parlamentarische Vertretung mehr im Sejm haben wird.

Welche Themen haben den Wahlkampf bestimmt? Was interessierte die Polinnen und Polen?

Umfragen zufolge waren die Inflation, die Justizreform, die Rechtsstaatlichkeit, das Bildungswesen und das Gesundheitswesen die wichtigsten Themen.

Wie haben die Jugendlichen abgestimmt? In einigen europäischen Ländern ist die Tendenz zu beobachten, dass Wähler unter 30 Jahren vermehrt rechte Parteien wählen.

In der Altersgruppe von 18 bis 29 Jahren war die Bürgerkoalition mit 28,3 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der Linken (17,7 Prozent), der Konfederacja und dem Dritten Weg (jeweils 16,9 Prozent). Die PiS kam bei den Jungwählern nur 14,9 Prozent. Junge Männer wählten rechter als junge Frauen.

Herr Froelich, vielen Dank für Ihre Zeit!


Zur Person:

Tomasz M. Froelich, Jahrgang 1988, ist gebürtiger Hamburger und arbeitet bei der ID-Fraktion im EU-Parlament. Der studierte Ökonom und Politologe ist zudem seit 2019 stellvertretender JA-Bundesvorsitzender. Er ist Kandidat der AfD für die Europawahl 2024.

Twitter: https://twitter.com/TomaszFroelich