Renommiertes US-Journal bläst zum Rückzug aus der Ukraine
Unlängst haben sich zwei Autoren in einem einflussreichen US-Journal für eine „Exit-Strategie“ für den Ukrainekrieg ausgesprochen.
New York City. - Das einflussreiche US-Journal Foreign Affairs, das von der renommierten Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR) herausgegeben wird, hat sich kürzlich in einem Grundsatzbeitrag für eine „Exit-Strategie“ für den Ukrainekrieg ausgesprochen. Der Titel des Beitrags von Richard Haass und Charles Kupchan ist programmatisch: „Der Westen braucht eine neue Strategie in der Ukraine – Ein Plan für den Weg vom Schlachtfeld zum Verhandlungstisch“.
Warnung vor Selbstzerstörung
Die Autoren bringen gleich eingangs die Möglichkeit ins Gespräch, dass sich die Kiewer Regierung „der Grenzen der ausländischen Hilfe bewusst geworden ist“. Sie referieren die außerordentlich prekäre Situation des Landes nach über einem Jahr Krieg und stellen fest: „Selbst aus ukrainischer Sicht wäre es unklug, stur auf einen umfassenden militärischen Sieg hinzuarbeiten, der sich als Pyrrhussieg erweisen könnte. Die ukrainischen Streitkräfte haben bereits über 100.000 [Mann] Verluste erlitten und viele ihrer besten Soldaten verloren. Die ukrainische Wirtschaft ist um rund 30 Prozent geschrumpft, die Armutsrate steigt, und Russland bombardiert weiterhin die kritische Infrastruktur des Landes. (...) Die Ukraine sollte nicht die Selbstzerstörung riskieren, indem sie Ziele verfolgt, die wahrscheinlich unerreichbar sind.“
Eingeständnisse wie dieses waren bisher im Westen nur hinter vorgehaltener Hand zu hören. Dass eine derart vernichtende Lageeinschätzung nunmehr in Foreign Affairs veröffentlicht wird, werten Beobachter der amerikanischen Politik-Szene als unverhohlene Ankündigung eines bevorstehenden Kurswechsels.
Autoren schlagen dauerhaften Waffenstillstand vor
Das Journal empfiehlt der Kiewer Regierung weiter: „Angesichts der steigenden Kriegskosten und der Aussicht auf eine militärische Pattsituation lohnt es sich, auf einen dauerhaften Waffenstillstand zu bestehen, der einen neuen Konflikt verhindern und – noch besser – die Grundlage für einen dauerhaften Frieden schaffen kann.“ Denn: am Ende der ukrainischen Gegenoffensive, die in jedem Fall durch eine Aufstockung der ausländischen Hilfe unterstützt werden müsse, „werden sogar die Vereinigten Staaten und Europa guten Grund haben, ihre erklärte Politik der Unterstützung der Ukraine ‚so lange wie nötig‘ aufzugeben“. Die Kosten des Konflikts, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch, seien zu hoch.
Die von den beiden Autoren ins Gespräch gebrachte Verhandlungslösung ist angesichts der maximalistischen Kriegsrhetorik, die bis vor kurzem auch im Westen noch den Ton angab, starker Tobak für Kiew: ein Teil des Donbass solle Russland überlassen und eine entmilitarisierte Zone geschaffen werden. Ein Sicherheitsabkommen mit „einigen Ländern“ soll der Ukraine „zusätzlichen Schutz“ bieten. Darüber hinaus solle auch mit Russland ein umfassendes Sicherheitsabkommen ausgehandelt werden, „das eine globale Konfrontation mit der NATO vermeidet“. Nota bene: nichts Anderes hatte Russland im Winter 2021/22 gefordert – Washington antwortete auf die Gesprächsofferten aus Moskau nicht einmal.
NATO soll Druck ausüben
Haass und Kupchan werden in ihrem Text noch deutlicher und machen kein Hehl daraus, dass die NATO erforderlichenfalls auf Kiew Druck ausüben solle, falls man sich dort gegen eine Verhandlungslösung sperren sollte. Und: „Über ein Jahr lang hat der Westen der Ukraine erlaubt, den Erfolg zu definieren und die Ziele des Westens in diesem Krieg festzulegen. Diese Politik, unabhängig davon, ob sie zu Beginn des Konflikts sinnvoll war, hat sich nun erledigt.“ Inzwischen kollidierten die Ziele der Ukraine nämlich mit „anderen westlichen Interessen“. Die Kosten des Krieges stiegen, und die westliche Öffentlichkeit und ihre Regierungen würden der fortgesetzten Unterstützung der Ukraine überdrüssig.
Die Autoren resümieren: „Dieser Ansatz mag für einige zu viel und für andere nicht genug sein. Aber im Gegensatz zu den Alternativen hat er den Vorteil, dass er das Wünschenswerte mit dem Machbaren verbindet.“ Das klingt nach einem kaum noch verheimlichten Rückzug des Westens. Von einem „Ruin“ oder gar einer militärischen Niederlage Russlands, die noch vor kurzem von westlichen Medien und Militärs gebetsmühlenartig beschworen wurde, ist plötzlich keine Rede mehr. Für den Westen wird es jetzt sehr schwer, sein Gesicht zu wahren.