Faktencheck: Ist der Sozialstaat ein Pull-Faktor?

Die FDP-Minister Buschmann und Lindner fordern in einem Gastbeitrag für eine Zeitung, Leistungen für Asylbewerber künftig leichter kürzen zu können, da diese einen Pull-Faktor darstellten.

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Faktencheck: Ist der Sozialstaat ein Pull-Faktor?
Christian Lindner (FDP) hat sich dafür ausgesprochen, Sozialleistungen für Asylbewerber zu kürzen. (Symbolbild)© IMAGO / Michael Gstettenbauer

Berlin. – Erst vor kurzem haben sich Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann (beide FDP) in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag dafür ausgesprochen, Sozialleistungen für Asylbewerber zu kürzen. „Unter ganz besonders engen Voraussetzungen wäre sogar eine Absenkung von Leistungen quasi auf 'null' denkbar“, so die beiden FDP-Politiker. Der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, René Springer, erklärte dazu in einer Aussendung, dass sich Lindner „erneut in der späten Wiedergabe längst von der AfD-Fraktion dargelegter Weisheiten“ übe. „Dass unser Sozialstaat ein Magnet für Migranten aus aller Welt ist, dass sogenannte Flüchtlinge durch etliche sichere Drittstaaten weiter nach Deutschland ziehen, um eben jene Sozialleistungen beanspruchen zu können und dass einige sich mit diesen Leistungen gar ein angenehmes Leben in ihrer Heimat finanzieren – das alles ist längst bekannt“, so Springer. In der Regierung werde Lindner damit aber keinen Erfolg haben, ist Springer sich sicher.

Grundleistung bis zur Klärung des Asylstatus

In dem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag schreiben die FDP-Politiker, dass das Ziel der deutschen Asylpolitik sein müsse, weniger Anreize für illegale Migration zu bieten. Ein sogenannter Pull-Faktor sei dabei das Niveau der Sozialleistungen, das höher sei als in anderen Ländern der EU, auch als in Ländern mit vergleichbarem Wohlstandsniveau wie den skandinavischen Staaten. Man müsse „zu einer neuen Realpolitik auf dem Gebiet der irregulären Migration nach Deutschland“ kommen. Zwar könnten Grundleistungen für Asylbewerber verfassungsrechtlich nicht pauschal gekürzt werden. Allerdings sei eine Absenkung durch eine Neuberechnung des tatsächlichen Leistungsbedarfs durchaus möglich, schrieben Lindner und Buschmann weiter. So sei etwa zweifelhaft, ob Kosten für die Nutzung von Festnetzanschlüssen, Eintrittsgelder oder der Kauf von Zeitungen für Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen, die in Gemeinschaftsräumen mit Medien versorgt würden, tatsächlich anfielen.

Die Minister plädierten dafür, Betroffenen nicht wie bisher nach 18 Monaten sogenannte Analogleistungen auszuzahlen, die in der Höhe dem Bürgergeld entsprechen. Stattdessen sollen sie nach den Vorstellungen der FDP-Politiker so lange nur Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, bis ihr Aufenthaltsstatus rechtskräftig geklärt ist. Bei der Kürzung der Leistungen „quasi auf 'null'“ beziehen sich die Minister auf Asylbewerber, die laut Dublin-Verordnung eigentlich in einem anderen EU-Staat humanitären Schutz erhalten müssten. Hier schlagen Lindner und Buschmann vor, die Leistung auf die Erstattung der notwendigen Reisekosten in den zuständigen Staat abzusenken“. Im Sozialrecht gelte, „dass Sanktionen zulässig sind, wenn zumutbare Mitwirkungshandlungen, die auf eine Verbesserung der eigenen Situation zielen, unterlassen werden“.

Kaum Asylbewerber in Ungarn

Dass Sozialleistungen ein Pull-Faktor sein können, belegen auch wissenschaftliche Studien, etwa aus Dänemark. Wie eine Untersuchung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags von März zeigt, klaffen die Sozialleistungen für Asylbewerber in Europa jedoch deutlich auseinander. So können Drittstaatler in laufenden Asylverfahren in Österreich und Deutschland mehr als 400 Euro pro Monat erhalten. In Großbritannien gibt es demnach umgerechnet etwa 210 Euro, in Schweden 180, in Griechenland 150 und in Ungarn nur 60 Euro, wie n-tv berichtet. Es sei aber „schwierig, international vergleichbare Daten zu erheben und zu interpretieren“, wie es in dem Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags einschränkend heißt, weil sich Kaufkraft, Durchschnittseinkommen und Lebenshaltungskosten von Land zu Land stark unterscheiden.

In Ungarn gibt es wegen der restriktiven Migrationspolitik quasi keine Asylbewerber. Asyl kann nur bei den ungarischen Botschaften in Kiew und Belgrad beantragt werden. Nach Angaben des Statistikamts gab es 2022 insgesamt 46 Asylanträge, von denen zehn akzeptiert wurden. 20 Menschen haben eine Art Duldung mit Recht auf Arbeit bekommen. Nicht in der Statistik tauchen die Tausenden Flüchtlinge aus der Ukraine auf, weil sie in der Regel keinen Asylantrag stellen. Die meisten sind auch nur durchgereist.