Christlicher Exodus in Syrien nach islamistischer Übernahme
Nach der islamistischen Machtergreifung in Syrien stehen Christen unter massivem Druck: Gewalt, Einschüchterung und religiöse Repressionen bestimmen ihren Alltag.
Am 22. Juni 2025 wurde in der griechisch-orthodoxen Mar-Elias-Kirche in Damaskus ein Selbstmordanschlag verübt, bei dem mindestens 30 Personen starben.
© Griechisch-orthodoxes Patriarchat von AntiochienNach der Machtergreifung militärisch-islamistischer Milizen in Syrien – insbesondere der von der HTS geführten Gruppe unter Ahmed al-Scharaa – wächst die Bedrohung für Christen. Massive Gewaltakte, Brandanschläge und das Massaker bei der Mar-Elias-Kirche am 22. Juni 2025 mit mindestens 25 Toten haben viele Gläubige zur Flucht veranlasst. Die Frage drängt sich auf: Gibt es in Syrien nach der islamistischen Machtübernahme noch Raum für eine christliche Existenz?
Ursprungsland des Christentums im Brennpunkt
Peter Fuchs, der Geschäftsführer der Organisation Christian Solidarity International (CSI), betont im Gespräch mit Freitag, Syrien sei „die Wiege der Christenheit“. Vor dem Krieg lebten rund zwei Millionen Christen im Land, heute sind es schätzungsweise nur noch 300.000 bis 500.000. Diese verbliebenen Christen trügen laut Fuchs „ein wertvolles, lebendiges Erbe“. Er erinnert an die frühesten christlichen Gemeinden in Damaskus und Antiochien und betont, dass das syrische Christentum „großen Einfluss auf die Entwicklung christlicher Lehre und Praxis in Ost und West genommen“ habe.
Trennung von Geschlechtern und religiöser Druck
Mit der neuen Machtstruktur seien nun aber dschihadistische Einschüchterungen deutlich spürbar, so Fuchs. Er beschreibt, wie Autos mit Lautsprechern auf dem Dach durch die Straßen fahren und zum Übertritt zum Islam aufrufen. Auch der Kopftuchzwang, die Geschlechtertrennung an Schulen und Universitäten sowie das Rezitieren von Koran-Suren im Unterricht seien mittlerweile Alltag. Zudem berichtet Fuchs von Übergriffen auf unverheiratete Männer und Frauen und warnt, dass sich viele Familien laufend Gedanken über ihre Sicherheit machen.
Selbstmordattentat als Drohbotschaft
Das Massaker in der Mar-Elias-Kirche am 22. Juni markiert den jüngsten tiefen Einschnitt. Bei einem Gottesdienst in Damaskus wurden 25 Christen getötet und über 60 weitere verletzt. Während die Behörden den Anschlag dem „Islamischen Staat“ (IS) zuschreiben, bekannte sich die Splittergruppe „Saraya Ansar al-Sunna“ zu der Tat. Eine junge Mutter, die selbst Christin ist, kündigte nach dem Angriff an, man sei „schutzlos“ und erklärte, dass Christen auswandern müssten. Europa müsse helfen und alle rausholen, weil sonst noch mehr Menschen sterben würden.
Weitere Gewaltakte gegen Christen
Am Mittwoch meldete auch das katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ kürzliche Brandanschläge im Süden Syriens. Unter anderem wurde die melkitisch-griechisch-katholische Kirche St. Michael in al-Sura in Mitleidenschaft gezogen, ebenso wie rund 38 christliche Wohnhäuser. Viele Familien wurden obdachlos. Mindestens 70 Personen fanden in einer Kirche in Schahba Zuflucht. Eine Quelle berichtet: „Diese Gemeinde hat alles verloren.“ In Tartus konnte ein weiterer Anschlag auf eine maronitische Kirche verhindert werden: Ein mit Sprengstoff beladener Wagen wurde in der Nähe der Kirche sichergestellt und die Täter wurden festgenommen.
Alawiten und Drusen neben Christen unter Druck
Fuchs betont, dass die Christen nur ein Teil einer größeren Welle religiöser Gewalt sind. Auch Alawiten und Drusen würden angegriffen, wobei die Behörden mutmaßlich an den Massakern mitwirken. Er fordert internationale Reaktionen, insbesondere von der UNO, und appelliert, inhaftierte Personen wie den ehemaligen Bürgermeister Suleiman Khalil freizulassen.
Er war Bürgermeister von Sadad, einer mehrheitlich von Christen bewohnten Stadt südöstlich von Homs. Vor zehn Jahren organisierte Khalil die erfolgreiche Verteidigung seiner Stadt gegen den IS, was ihm große Anerkennung einbrachte, so Fuchs. Weil er aber nicht der Baath-Partei angehörte, wurde er von der Assad-Regierung abgesetzt und später inhaftiert.
Kirchenvertreter fordern Standhaftigkeit
Die islamistische Ausrichtung des Landes verstärkt alte und neue Fluchtursachen: Armut, Terror und religiöse Intoleranz. Laut Fuchs hat sich die Lage inzwischen so sehr verschärft, dass „buchstäblich jeder Christ Syrien auf dem schnellsten Wege verlassen“ wolle. Bereits im Mai sollen 40.000 Alawiten in den Libanon geflohen sein. Auch unter den Christen wächst die Hoffnung auf Aufnahmeprogramme in westlichen Ländern.
In einem Interview mit Vatican News ruft Erzbischof Jacques Mourad die Christen unterdessen zum Verbleib in ihrer Heimat auf. „Jesus will, dass seine Kirche in Syrien bleibt“, sagt er und fügt hinzu, die Vorstellung, Syrien von Christen zu entleeren, sei „sicherlich nicht der Wille Gottes“. Zugleich kritisiert er das Vorgehen der Regierung scharf: Islamistische Sicherheitskräfte würden Kirchen inspizieren. Er warnt aber auch davor, die junge Generation zu verlieren, und fordert den Wiederaufbau von Schulen, kulturellen Einrichtungen und pastoralen Zentren.