Altparteien am Ende

Zeitenwende zwischen Enns und March

Die politische Landschaft im schwarzen Kernland wurde vollkommen umgegraben und muss neu geschrieben werden – so gewaltig sind die Verschiebungen und Implikationen der Wahl am Sonntag.

Julian Schernthaner
Kommentar von
30.1.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Zeitenwende zwischen Enns und March
Julian Schernthaner

Viele Österreicher saßen am gestrigen Sonntag fassungslos vor dem Bildschirm, weil sie das Ergebnis in Niederösterreich nicht fassen konnten. Die einen aus Freude, die anderen aus Schock, die nächsten aus einer sonderbaren Mischung beider Gefühle. Eines ist gewiss: Die schwarze Allmacht ist im ÖVP-Kernland gebrochen – und zwar sowohl im Landtag als auch in der Proporz-Landesregierung. Zum Drüberstreuen verlor die schwarz-grüne Bundesregierung auch noch ihre Mehrheit im Bundesrat.

Vergreisende „Altparteien“

Des einen Leid, des anderen Freud: Nicht einmal vier Jahre, nachdem große Mainstream-Medien die FPÖ „am Ende“ sahen, fährt die patriotische Partei das mit Abstand historisch beste Ergebnis in diesem Bundesland ein. Unter Landbauer und Kickl gelang somit etwas, das selbst unter Haider und Strache unmöglich schien. Künftig stellt man ein Drittel der Landesräte in St. Pölten und erstmals den zweiten Landtagspräsidenten. Man kann zugleich gestalten und die „Altparteien“ vor sich hertreiben.

Die Zuschreibung „Altparteien“ kann hier wörtlich genommen werden: Denn, dass die ÖVP sich bei einem beinahe zweistelligen Minus überhaupt vor den Freiheitlichen halten könnte, liegt an den Über-60-Jährigen, wo es sogar eine schwarze „Absolute“ gab. Bei Personen, die nach 1963 geboren wurden hingegen gab es ein schwarz-blaues Kopf-an-Kopf-Rennen. Bei Männern unter 45 Jahren enteilten die Freiheitlichen der Volkspartei sogar um 14 Prozentpunkte – das ist eine halbe Welt.

Schwarz-rote Realitätsverweigerung

Grundlage für dieses Ergebnis ist auch die Realitätsverweigerung der Etablierten – und die hält nach der Wahl an. Die Volkspartei sudert darüber, dass es halt schwierige Zeiten für Regierende wären – und die Sozialdemokratie wirft ihr vor, das Asylthema „hochgespielt“ zu haben für die FPÖ. Dieser wiederum werfen beide vor, angeblich „keine Lösungen“ für Probleme zu haben, an deren Bewältigung sie selbst krachend scheitern. Die FPÖ ist das ultimative „Bösen“, aber man kann partout nicht erklären, wieso.

Inhaltlich hatte man den Blauen in den Tagen ohnehin wenig entgegenzusetzen. Also gruben die einschlägigen Twitter-Blasen noch schnell den Schmutzkübel aus. Dieser war zur Hälfte damit befüllt, dass Landbauer angeblich „rechtsextrem“ sei – und zur Hälfte damit, dass seine Mutter gebürtige Perserin ist. Während diese billigen – und widersprüchlichen Anwürfe nicht verfingen, vermittelte die FPÖ glaubwürdig, bei den großen Krisenlagen zwischen Corona-Spaltung, Inflation und Asyl eine Alternative zum System zu sein.

Denkzettel in St. Pölten und Wien

Überhaupt taten sich die beiden Parteien schwer, irgendwelche Themen zu setzen. So sparte die ÖVP in der höchsten Inflation seit 70 Jahren soziale Themen im Wahlprogramm faktisch völlig aus und setzte vollkommen auf die Landesfarben und „Hanni“. Ob dies angesichts ständiger „schwarzer“ Skandale, die oft nach Niederösterreich führen, klug war? Es scheint eher, dass man auf das falsche Pferd setzte. Auch, weil viele Wähler der Landeshauptfrau ihr Auftreten als „Mutter der Impfpflicht“ nie verziehen.

Auf jeden Fall wurde man gerade im Bezug auf das Migrationsthema zum besten Wahlkampfhelfer der FPÖ. Dass der Asyl-Rekord unter ÖVP-Innenminister Karner verzeichnet wurde, hat sich herumgesprochen: In seiner Heimat Texingtal büßte die Partei 24 Prozent ein. In den Heimatorten von Verteidigungsministerin Tanner (Gersten, minus 17,1 Prozent) und Nationalratspräsident Sobotka (Waidhofen an der Ybbs, minus 18,4 Prozent) sah es ähnlich aus. Es duftet also nach nassen Fetzen.

Die rote Nullnummer

Ein gewisser Treppenwitz dieser Wahl ist dabei, dass die Sozialdemokratie ebenfalls das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in Niederösterreich erreichte, obwohl die Themenlage eigentlich für eine rote Wiedergeburt angerichtet gewesen wäre. Inflation und steigende Preise waren mit Abstand das meistdiskutierte Thema unter den Niederösterreichern – und nirgendwo so ausgeprägt wie in unteren Einkommensschichten. Das muss man als Opposition im Bund auch erst einmal hinbekommen. Die Roten haben die Hackler verloren – und niemanden gewonnen.

Einzige Konstante ist, dass die SPÖ über alle demographischen Kohorten etwa gleich schlecht abschnitt. Unabhängig der formalen Bildung, des Einkommens oder der Altersgruppe trat die SPÖ auf der Stelle. Sie formulierte ein ausgeklügeltes Sozialprogramm, das der Wähler gar nicht mitbekam. Der merkte dafür: Für die Roten gibt es „keine Asylkrise“ – und der Spitzenkandidat gefiele sich am liebsten als „rote Hanni“. Dass der Dunstkreis der Partei-Eliten jetzt mehr vom Traiskirchener „Asyl-Bürgermeister“ Babler und weniger von Doskozil sehen will, spricht auch Bände.

„Große“ schwächeln, kleine auch

Bleiben noch die minimalen Zugewinne der kleineren Parteien. Dass sich NEOS und Grüne für ihre angeblichen Wahlerfolge selbst auf die Schulter klopfen, sieht eher wie Verdrängung aus. Die Liberalen schafften es trotz der ÖVP-Korruptionsvorwürfe nicht, ihr Transparenz-Thema glaubwürdig genug zu fahren. Aber: Wie auch, wenn man sich von vornherein für weitere fünf Jahre unter „Hanni“ aussprach?

Die Grünen gewannen von der Regierungsbank im Bund nur knapp ein Prozent mehr an Stimmen als vor fünf Jahren, als man wenige Monate zuvor aus dem Nationalrat geflogen war. Ob es daran liegt, dass die Zweitwohnsitzer-Bobos nicht mehr wählen durften oder dass die Pendler der „Klimakleber“ überdrüssig sind, ist unklar. Außerhalb des Wiener Speckgürtels war die Partei erneut völlig abgemeldet.

Über die übrigen Listen lässt sich wenig sagen – sie traten nicht im ganzen Bundesland an. Der MFG schien die Niederösterreich-Wahl „egal“ zu sein, von ihrer Abspaltung ZIEL vernahm man noch weniger Akzente. Auch die KPÖ, die mit Graz immerhin in der zweitgrößten Stadt Österreichs die Bürgermeisterin stellt, riss mitten in einer sozialen Krise niemanden vom Hocker.

FPÖ in komfortabelster Position

Alles in allem kennt Niederösterreich nur einen Wahlgewinner unter den Parteien: Die FPÖ. Sie knackte die Absolute und ist nun in einer Position der Stärke. Auch, weil der „Landeshauptmensch“ (O-Ton Grünen-Chefin Krismer) von den Landesräten gewählt wird. Die ÖVP ist in der Landesregierung in der Minderheit, sowohl Landbauer als auch Schnabl könnten den jeweils anderen auf den Sessel hieven.

Kommt es jedoch zur „schwarz-roten Packelei“, spielt es dem blauen Selbstverständnis als Alternative, die vom System ausgegrenzt wird, umso mehr in die Karten. Egal, was sich ergibt – die Allmacht an der Traisen ist gebrochen. Saßen zwischen 1959 und 1988 nur die beiden „Altparteien“ im Landtag, sind sie nun dazu verdammt, einander zu stützen, um nicht ihre Pfründe einzubüßen – eine echte Zeitenwende.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.