Freilich #34: Am Weg zur Volkspartei?

Volkspartei werden? Anspruch und Realität der neuen AfD-Strategie

Die AfD-Bundestagsfraktion arbeitet an einer Strategie, um trotz der politischen Brandmauer in Deutschland mehr Akzeptanz und Regierungsfähigkeit zu erlangen. Daniel Fiß legt dar, warum dafür mehr als kosmetische PR erforderlich ist und die Partei vor allem auf soziale Verwurzelung setzen muss.

Daniel Fiss
Analyse von
13.7.2025
/
4 Minuten Lesezeit
Volkspartei werden? Anspruch und Realität der neuen AfD-Strategie

Wenn die AfD mit ihrer neuen Strategie erfolgreich sein will, muss sie laut Daniel Fiß einige bestimmte Faktoren beachten.

© IMAGO / Bernd Elmenthaler

Am vergangenen Wochenende traf sich die AfD-Bundestagsfraktion zu einer dreitägigen Klausurtagung mit allen Abgeordneten. In den Medien und im rechten Vorfeld wurde vor allem das abschließende Positionspapier kontrovers diskutiert, in dem angeblich Begriffe wie „Leitkultur“ und „Remigration“ gestrichen worden waren. Dabei geriet der mutmaßliche Schlüsselvortrag der Klausurtagung, dessen Präsentationsfolien von der Plattform Politico veröffentlicht wurden, etwas in den Windschatten. Unter dem Titel „Einleitung des Strategieprozesses“ will die Bundestagsfraktion Zielvorgaben entwickeln, mit denen insbesondere eine höhere öffentliche Akzeptanz der AfD sowie Koalitions- und Regierungsfähigkeit erreicht werden sollen.

Spätestens seit der Bundestagswahl im Februar diskutiert die Partei über Wege und Optionen, wie sie ihre deutlich erhöhte Wählerzustimmung trotz Brandmauer und „Cordon Sanitaire“ in reale politische Gestaltungskraft übersetzen kann. Die Präsentation skizziert zunächst anhand verschiedener Metriken den Status quo im Hinblick auf die bekannten Daten zu den erweiterten Wählerpotenzialen, das Stimmungsbild gegenüber einem AfD-Verbot sowie akzeptable und inakzeptable Umgangsformen mit der AfD für die Wahlbevölkerung. Mehr als ein Drittel der Wählerschaft hält es für akzeptabel, wenn andere Parteien gemeinsame Anträge oder Gesetzesinitiativen einbringen oder wenn diese eine Mehrheit durch AfD-Stimmen erreichen. Nur 28 Prozent hingegen befürworten tatsächliche Regierungskoalitionen mit der AfD.

Strategische Neuausrichtung oder PR-Manöver?

Aus diesem Befund leitet die Präsentation eine erste Handlungsoption ab: einen strategischen Doppelansatz, der einerseits auf die Stärkung der gesellschaftlichen Akzeptanz und andererseits auf die gezielte Auslösung ideologischer Abspaltungsprozesse innerhalb der politischen Mitte abzielt – mit dem Ziel, die Stabilität der Brandmauer ins Wanken zu bringen. Der Plan dabei ist, die schwarz-rote Koalition durch gesellschaftliche Polarisierung und Zuspitzung auseinanderzudividieren. Die AfD baut auf eine scharfe kulturelle Kontrastierung zu einer sich immer weiter nach links bewegenden Sozialdemokratie und tritt parallel in einen Glaubwürdigkeitswettbewerb mit der Union um deren wahrgenommene Kernkompetenzen Wirtschaft, Finanzen und Innere Sicherheit.

Ein Foto zur Bebilderung

Diese Strategie klingt zunächst plausibel, dürfte aber einige wichtige Variablen außer Acht lassen. Die CDU ist keine ideologische Partei, sondern in erster Linie ein machtorientierter Maschinenraum, der sich flexible Mehrheiten im gesamten Parteienspektrum organisieren kann. Die schwarz-rote Koalition war keine programmatische Liebesheirat, sondern ein Zweckbündnis, das für die Union der bequemste Weg war, um ihre Brandmauerpolitik aufrechtzuerhalten. Merz und Co. geht es nicht um die Rekonstruktion der „konservativen CDU-DNA“, sondern um die Absicherung im allgemeinen Machtgefüge. Im Konrad-Adenauer-Haus ist man sich bewusst, dass ein Ende der Brandmauer nicht nur das Abwerfen von linkem Ballast bedeutet, sondern insbesondere in den westdeutschen Hochburgen Spaltungspotenzial birgt.

„Freiheitliches Bürgertum“ und „konservative Sozialdemokratie“

Im direkten Wählerwettbewerb will die AfD vor allem auf volatile Wechselwähler der Union setzen. In der Präsentation wird mit einer etwas simplifizierenden Milchmädchenrechnung davon ausgegangen, dass speziell die hinzugewonnenen Unionswähler von SPD, FDP und Nichtwählern eine adäquate Zielgruppe seien, über deren Ansprache das eigene AfD-Wählerspektrum auf bis zu 28 Prozent hochskaliert werden könne. Vor allem das „freiheitliche Bürgertum“ aus dem ehemaligen FDP-Wählertopf und die „konservativen Sozialdemokraten“ seien über die Klammer „Wirtschafts- und Migrationswende“ ansprechbar.

An dieser Stelle werden jedoch vermeintliche Zielgruppen definiert, ohne Angaben zu ihrer tatsächlichen Größe zu machen. In der Präsentation werden die potenziellen Wähler aus den zur Union gewanderten FDP-, SPD- und Nichtwählern einfach addiert und vermeintlich konservative Wahlmotive vorausgesetzt. Dabei dürften es vor allem bei der Union die zurückgewonnenen SPD-Stimmen sein, die man bei der Bundestagswahl 2021 vor allem in der Alterskohorte 60+ verliehen hatte. Dieses Spektrum ist jedoch generell nicht sonderlich AfD-affin.

Ein Foto zur Bebilderung

Eine ernsthafte strategische Potenzialanalyse muss historische Sozialstrukturentwicklungen, Milieubeziehungen, politische Einstellungen sowie räumliche und lebensweltliche Faktoren berücksichtigen. Es würde hier zu weit führen, all dies im Detail in diesem Artikel zu verdeutlichen. Ich arbeite dazu gerade an einem Buchprojekt, dessen Manuskript innerhalb der kommenden Wochen abgeschlossen sein wird.

Kulturelle Verankerung statt kosmetischer Kommunikation

Daher in aller Kürze:

1. Der strategische Zielkorridor muss von der realen Wahlforschung her gedacht werden – nicht vom politischen Wunschbild. Empirisch stabile Zusammenhänge zeigen: Die AfD mobilisiert am stärksten in Entfremdungsmilieus, mit niedrigem institutionellem Vertrauen, hohem Kontrollverlustempfinden und kultureller Bedrohungswahrnehmung. Hier liegt ihre Basis, nicht in abstrakten Milieus wie einem „FDP-Freigeistbürgertum“ oder einer „konservativen Sozialdemokratie“.

2. Regierungsfähigkeit ist kein rein kommunikatives Ziel, sondern ein Erwartungshorizont, der in Lebensrealitäten verankert sein muss. „Akzeptanzräume“ entstehen nicht durch strategische Willenserklärungen, sondern durch schrittweise Normalisierung in sozialen Nähebeziehungen. Erst wenn die AfD in ihren Stärkeregionen dauerhaft verwurzelt ist, kulturelle Anlaufpunkte schafft, Verwaltungspersonal in den Kommunen stellt und mittelständische Wirtschaftsnetzwerke aufbaut, entsteht jene Alltagstauglichkeit, die „Regierungsfähigkeit“ nicht nur symbolisch auflädt, sondern in reale politische Wirkungszusammenhänge überführt. Die Debatten rund um eine sogenannte „Melonisierung“ oder inhaltliche und sprachliche Entschärfungen sind letztlich Ausdruck einer weltanschaulichen Bequemlichkeit. Leider befällt diese Bequemlichkeit auch allzu oft die Gegenspieler der „Melonisierung“, die dann reflexartig in einen ideologischen Purismus verfallen. Natürlich muss es auch um den Abbau emotionaler Hemmschwellen gehen. Das Abstellen von Vulgärradikalität und billigen Ressentiments ist mittelfristig auch ein notwendiger Disziplinierungsvorgang. Eine universelle Strategie ist das jedoch bisher nicht. Diese muss tiefer gehen als nur an der oberflächlichen Imagepolitur.

Warum die CDU (noch) nicht fällt – und was die AfD daraus lernen muss

Die Union lässt sich nicht spalten, sondern nur in ihren regionalen Machtlogiken unterlaufen. Eine wirkliche Schwächung der Brandmauer wird nicht im Berliner Politikbetrieb erreicht, sondern in den kommunalen Zwischenräumen, also dort, wo CDU-Ortsverbände den Anschluss an die Lebenswelt verlieren und lokale AfD-Strukturen durch Nähe, Organisation und Glaubwürdigkeit an Einfluss gewinnen.

Der Weg zur Volkspartei führt über das Milieu und nicht nur über die mediale Bühnenshow. Wer sich als politische Ordnungskraft etablieren will, darf sich nicht nur auf kommunikatives Feintuning und semantische Mäßigung verlassen, sondern muss in den wiederkehrenden Alltagsbeziehungen einer stabilen Wählerschicht präsent sein. Nur wer einen Ort im Leben der Menschen besetzt, kann dauerhaft Teil ihrer politischen Loyalitätsstruktur werden.

Über den Autor
Daniel Fiss

Daniel Fiss

Daniel Fiß wurde 1992 geboren und studierte sechs Semester Good Governance und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Seit 2020 betreibt er den „Feldzug Blog“, auf dem er regelmäßig Analysen zu Demoskopie, politischer Soziologie und Kommunikation veröffentlicht.

Kann FREILICH auf Ihre Unterstützung zählen?

FREILICH steht für mutigen, konservativ-freiheitlichen Journalismus, der in einer zunehmend gleichgeschalteten Medienlandschaft unverzichtbar ist. Wir berichten mutig über Themen, die oft zu kurz kommen, und geben einer konservativen Öffentlichkeit eine starke Stimme. Schon mit einer Spende ab 4 Euro helfen Sie uns, weiterhin kritisch und unabhängig zu arbeiten.

Helfen auch Sie mit, konservativen Journalismus zu stärken. Jeder Beitrag zählt!