Salzburg-Wahl 2023: Soziale Heimatpolitik statt neoliberale Luxusprobleme

Die Landtagswahl in Salzburg wurde zur Klatsche für Parteien, die sich als „Mitte“ begreifen – und zum Siegeszug für jene, die gerne mit sozialen Themen punkten. Das könnte richtungsweisend sein.

Julian Schernthaner
Kommentar von
24.4.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Salzburg-Wahl 2023: Soziale Heimatpolitik statt neoliberale Luxusprobleme
Julian Schernthaner

Da bleibt kein Stein auf dem anderen: Die drei Regierungsparteien wurden allesamt gerupft. Haslauer vermeidet mit Ach und Krach das schlechteste ÖVP-Ergebnis der Geschichte, die Grünen büßen weiter ein und die NEOS fliegen überhaupt aus dem Landtag. Neben der „Wärmepumpen-Windkraft-Allianz“, die lange Zeit wenig bis gar nichts gegen die Teuerung unternahm, schaffte auch die SPÖ das Kunststück, das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einzufahren – trotz günstiger Themenlage.

Lagerübergreifendes Augenreiben

Große Profiteure sind die FPÖ und die KPÖ Plus. Nach diesem Ergebnis sind die Kommentarspalten und Sozialen Medien voll von Entsetzen über das Resultat. Die schwarz-grün-rot-pinke Einheitsfront schäumt über den Drang „zu den Rändern“. Einige aus dem Umfeld der zerstrittenen SPÖ wissen vor der Mitgliederbefragung ebenso wenig, wie sie die Wahl einordnen sollen. Es zeigte sich zwar, dass „Linkspopulismus“ durchaus Potenzial hat – den Aufstieg der Blauen kann er aber nicht aufhalten.

Und im konservativ-rechten Lager zeigen sich trotz des eigenen Wahlerfolgs einige Leute entsetzt, dass eine Partei, die sich nach einer Ideologie benennt, die viel Leid über die Menschheit brachte, aus dem Stand zweistelligen Zuspruch kriegt. Freilich ist das etwas unterkomplex: Denn natürlich wählte niemand aus „realsozialistischer Nostalgie“ die Dankl-Partei. Er verstand es vielmehr, mit viel Bürgernähe und Authentizität jene Themen anzusprechen, welche die Systemparteien ignorierten.

Bürgernähe als tiefroter Trumpf

Das Leben in Salzburg wird nämlich immer teurer, und das zeigt sich insbesondere beim Wohnen. Die Stadt Salzburg, wo die KPÖ über 20 Prozent erreichte, wird unter den Landeshauptstädten nur mehr von Innsbruck beim Mietspiegel übertroffen. Ganz nach dem Grazer Modell etablierte Dankl gerade bei diesem Thema ein „Kümmerer-Image“ und besserte es durch einen Sozialfonds auf, in den er einen Teil seines Politikergehalts spendet, um einfache Leute in Notlagen zu unterstützen.

Das kommt bei den Bürgern an – und zwar durch alle Gesellschaftsschichten. Ob jung oder alt, ob mit Uni- oder Lehrabschluss, ob mit dem Einkommen gut oder schlecht auskommend: Fast überall war die KPÖ ähnlich stark. Einzig im ländlichen Raum konnte sie weniger gut mobilisieren als in der Stadt. Dass der grün sozialisierte Dankl bei großpolitischen Wetterlagen wie Geopolitik, Corona und Co. ein „systemtypischeres“ Profil vertritt als andere KPÖ-Politiker, tat seinem Erfolg keinen Abbruch.

Sozialpolitik auch blaue Erfolgsgarantie

Dankl wusste auch, dass er sich mit der FPÖ um Wählerpotenzial balgt – einige Wahlkampfsujets kontrastierten seine sozialpolitische Glaubwürdigkeit mit jener Svazeks, die in der freiheitlichen Familie eher als Vertreterin eines bürgerlichen und „gemäßigteren“ Profils gilt. Dies half ihr am Land, im Lungau und Tennengau fehlten weniger als 30 Stimmen auf den ersten Platz. Doch man schnitt auch in den Städten respektabel ab. Architekt des Erfolgs ist somit auch der sozialpatriotische Kurs im Bund, der mit Herbert Kickl Einzug hielt.

Wohl das beste Beispiel ist die Arbeiterstadt Hallein. Dort schaffte es die FPÖ knapp über dem Niveau des Bundeslandschnitts vom dritten auf den ersten Platz zu springen – obwohl die KPÖ dort überdurchschnittlich gut punktete. Sogar in Salzburg-Stadt, wo die KPÖ erdrutschartige 21,5 Prozent erreichte, war die FPÖ die einzige Landtagspartei, die Zugewinne verzeichnen konnte. Weiter ist sie die eigentliche Hackler-Partei: Bei Personen mit Lehrabschluss; bei Leuten, die mit dem Einkommen schlecht auskommen; bei jenen, die sich bei ihren Sorgen von der Politik nicht verstanden fühlen, lag die FPÖ vorne. Das gilt auch generell für Erwerbstätige, die ÖVP rettete sich über die Pensionisten.  

Konvergente Krisen treffen „einfache Leute“ zuerst

Wie stark soziale Themen die Wahl dominierten, zeigt sich bei der Analyse der Wahlmotive. Bei keiner Partei wurden Inflation und steigende Preise so oft diskutiert wie bei den Blauwählern – gefolgt von den KPÖ-Wählern. Sogar bei der Frage nach dem erschwinglichen Wohnen zeigt sich: Das Thema war für FPÖ-Wähler annähernd gleich wichtig wie für KPÖ-Wähler.

Mindestens ebenso erstaunlich ist die Bereitschaft, die jeweils andere Partei in der Regierung zu sehen: 19 Prozent der KPÖ-Anhänger können sich die FPÖ in der Regierung vorstellen –Spitzenwert. Umgekehrt sind es immer noch 17 Prozent. Während das für die Beschwörung einer „Querfront“ noch nicht ausreicht, zeigt sich durchaus: Konvergente Krisen treffen vor allem das einfache Volk hart.

Das vertraut dann Parteien, die sich Politik für Bürger statt für Eliten auf die Fahnen schreiben. Der durchschnittliche Arbeiter sorgt sich um die Frage, wie er seiner Familie noch ein würdevolles Leben bieten kann. Aus welchen Quellen der Strom kommt, ist ihm weniger wichtig – er will ihn sich leisten können. Von wohlfeilem Gefasel über „Innovation“ und „Klimaschutz“ wird er hingegen nicht satt. 

Ex-Rote an die Urne zurückgeholt

Der sozialpolitische Aspekt, auf den die Freiheitlichen seit Herbert Kickl wieder verstärkt setzen, erweist sich als goldrichtig. Die innerliche und äußerliche Wahrnehmung als „soziale Heimatpartei“, als Stimme des „kleinen Mannes“ ermöglichte der FPÖ den ersten, zweiten und nun auch dritten Aufstieg. Daran ändert auch ein Blick auf die Wählerstromanalyse nichts, obwohl diese ausweist, dass man vor allem Wähler binden konnte, die beim letzten Mal noch schwarz wählten

Denn die FPÖ mobilisierte erneut stark bei den Nichtwählern. Dies ist insbesondere deshalb interessant, weil nach den roten Skandalen bei der Wahl 2013 viele einstige SPÖ-Wähler von der Wahl fernblieben – und auch 2018 nicht zurück an die Urne kamen. Mit einiger Verspätung legen sie ihre Politikverdrossenheit nun ab und wählen vor allem blau. Die KPÖ gewann ihre Stimmen direkt aus frischen Verlusten der SPÖ und Grünen, die ihre letzte Glaubwürdigkeit im linken Lager verjuxten.


Zur Person:

Julian Schernthaner, geboren 1988 in Innsbruck, ist studierter Sprachwissenschafter und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.