Österreich nach dem Amoklauf in Graz: Von Panik, Politik und Pistolen
Nach Amoktaten wie jener in Graz flammt schnell die Debatte über Waffenverbote auf. Robert Willacker plädiert hingegen für einen nüchternen Blick auf die Ursachen und Zusammenhänge.
Trauernde Menschen am Grazer Hauptplatz.
© IMAGO / Dirk SattlerNach tragischen Ereignissen wie dem jüngsten Amoklauf an einer Grazer Schule wird schnell der Ruf nach schärferen Waffengesetzen laut. Eine sachliche Diskussion darüber wird jedoch meist durch zwei Dinge erschwert: zum einen durch den hohen Grad an Emotionalisierung unter dem unmittelbaren Eindruck des traumatischen Ereignisses; zum anderen durch die Vermischung von teils ganz unterschiedlichen Phänomenen wie Terroranschlägen, Tötungen, Suiziden oder Amokläufen. Hinter jedem dieser Begriffe stecken ganz eigene soziale und psychische Mechanismen, die zu einer vollständigen Lagebeurteilung im Detail betrachtet werden müssten. Nachdem sich die öffentliche Diskussion jedoch auf ein „Waffenverbot, ja oder nein?“ verengt, nimmt auch dieser Beitrag direkt und nur darauf Bezug.
Was Studien über Waffen und Gewalt aussagen
Ganz allgemein gesprochen zeigt die Mehrzahl der weltweiten Studien eine positive Korrelation zwischen der Verfügbarkeit von Schusswaffen in der Zivilbevölkerung und Waffengewalt; es sei jedoch angemerkt, dass auch eine Vielzahl wissenschaftlicher Erhebungen existieren, die einen solchen Zusammenhang nicht feststellen können. In beiden Fällen sind die untersuchten Zusammenhänge aber keineswegs immer linear oder kausal zu betrachten. Das tatsächliche Gewaltpotenzial, das mit privatem Waffenbesitz einhergeht, hängt ebenfalls nach aktueller Studienlage wesentlich von sozioökonomischen Faktoren wie Regulierung, gesellschaftlicher Stabilität, allgemeinem Wohlstand, sozialen Spannungen und kulturellem Kontext ab.
Das Beispiel Europa: Waffen ohne Welle der Gewalt
Europäische Länder wie die Schweiz, Island oder auch Österreich zeigen, dass ein relativ hoher Grad an Waffenbesitz in der Bevölkerung nicht zwangsläufig zu mehr Gewalt führen muss. In Island etwa gibt es rund 30 Waffen pro 100 Einwohner – dennoch ist die Zahl an Tötungsdelikten durch Schusswaffen dort faktisch null. Auch in der Schweiz sind bei einer ähnlich hohen Zahl an Waffen in der Bevölkerung etwaige Amokläufe oder tödliche Schusswaffengewalt relativ selten und im europäischen Vergleich von unterdurchschnittlicher Häufigkeit. Ähnlich verhält es sich in Österreich: trotz geschätzten 1,5 Millionen registrierten Schusswaffen waren im Jahr 2024 bei insgesamt 68.205 Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität nur 352 Mal Schusswaffen im Spiel. Ja, jede Tat ist eine zu viel, aber Relationen sind für die Gesamtbetrachtung dennoch wichtig.
Nicht das Objekt, sondern der Umgang zählt
Hinter diesen Zahlen verbirgt sich ein zentrales Muster: nicht der Waffenbesitz an sich ist das Problem, sondern der unkontrollierte oder verantwortungslose Umgang damit. Psychologische Tests sowie sichere Verwahrungs- und Ausbildungspflichten bilden ein insgesamt verlässliches Kontrollsystem, das Missbrauch stark erschwert. In Staaten wie Österreich, der Schweiz oder Island ist all das gegeben.
Die Waffengesetzgebung der Alpenrepublik schafft es, dass relativ liberale, aber dafür gut durchdachte Gesetze die bürgerlichen Freiheiten mit dem Bedürfnis nach öffentlicher Sicherheit optimal verbinden. Hinzu kommt ein kultureller Faktor: in zentraleuropäischen Ländern mit liberalen, aber verantwortungsbewussten Waffenbesitzstrukturen werden Schusswaffen zumeist nicht als Mittel zur Selbstinszenierung oder Instrument zur politischen Machtdemonstration verstanden, sondern sind meistens an Sportschießen, die Jagd oder regionales Brauchtum gebunden. Diese Entpolitisierung des Waffenbesitzes unterscheidet europäische Modelle auch grundlegend vom amerikanischen Kontext.
Der Ruf nach Verboten – und warum er oft trügt
Insgesamt zeigt uns die Studienlage, dass ein differenziertes, liberal reguliertes Waffenrecht im Zusammenspiel mit stabilen gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen keinen Widerspruch zur öffentlichen Sicherheit darstellt. Auch wenn Einzelfälle wie der Amoklauf von Graz in all ihrer Tragik und dem unvorstellbaren Leid, das sie erzeugen, den verständlichen Wunsch nach sofortigem politischem Handeln hervorrufen, so sind sie bei nüchterner Betrachtung genau das: Einzelfälle. Deshalb ist nun auch eine Politik gefragt, die das Selbstbewusstsein hat, nicht in blinden Aktionismus zu verfallen und dabei sinnvolle Bürgerrechte wie den privaten Waffenbesitz einfach über Bord zu werfen.