Das Ende des „Mythos“ Remigration: Wie die Rechte sich selbst gefangen hält
Die Remigration bewegt sich im Spannungsfeld zwischen politischem Ideal, rechtlicher Bindung und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Paul Strieder zeigt die sich daraus ergebenden Herausforderungen auf.
Der österreichische Aktivist und Autor Martin Sellner prägte den politischen Begriff und das Konzept der „Remigration“.
© Martin SellnerImmer Ärger mit Gruppe C. Im Rahmen von Martin Sellners Strategie der „Remigration“ sind das die „nicht assimilierten Staatsbürger“, also diejenigen, die dem Pass nach als „Deutsche“ gelten, aber nicht deutscher ethnischer Volkszugehörigkeit sind. In der mittlerweile vorliegenden Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts zum Compact-Verfahren dient die staatsbürgerliche Gleichheit dieser Gruppe als Hauptargument für die Verfassungswidrigkeit der „Remigration“. Die Zwangslage, in die das Konzept die Rechte bringt, hat es sich selbst zuzuschreiben.
Remigration argumentiert, dass Demokratie und Rechtsstaat auf die ethnische Homogenität des Staatsvolkes angewiesen seien, sprich, dass die formal „Deutschen“ auch real größtenteils Deutsche sind. Aus dieser Sicht ist es Gruppe C, die diese Voraussetzung untergräbt. Daraus schließt man, dass sich eine Politik der Wiederherstellung der Homogenität zugunsten des ethnisch-deutschen Bevölkerungsteils, des eigentlich verfassungskonstituierenden „Souveräns“, als Rettungsmanöver der Demokratie verkaufen und sich im Zweifel vor Gericht verteidigen ließe. Die Angehörigen der Gruppe C sollen dazu bewegt werden, ihre BRD-Staatsangehörigkeit aufzugeben oder sich an dieses deutsche Staatsvolk ethnisch-kulturell zu assimilieren. Da das Ziel die Rettung von Demokratie und Rechtsstaat ist, dürften dazu keine rechtsstaatswidrigen Mittel ergriffen werden: Alles muss auf freiwilliger Basis geschehen.
Freiwilligkeit als Fiktion – was die Coronaerfahrung lehrt
Die Kritik an der Remigration richtet sich nicht darauf, dass sie Multiethnisierung begrenzen will. Die Kritik ist, dass sie politisch zu sehr davon abhängig macht, dass eine substanzielle Rehomogenisierung des Staatsvolkes gegen alle heute schon absehbaren demografischen Trends gelingt, als dass dies ihre Selbstverpflichtung auf Freiwilligkeit glaubwürdig erscheinen ließe. Es liegt schließlich in der Natur der Freiwilligkeit, dass nicht kontrolliert wird, wie sie wahrgenommen wird – sonst wäre es keine Freiwilligkeit. Das haben wir während der Coronapandemie gelernt.
Dennoch erklärt die Remigration dieses Ziel für alternativlos, um die Voraussetzungen des Rechtsstaats zu retten, die in der multitribalen Gesellschaft sonst zu entfallen drohen. Wohlgemerkt: Dies ist derselbe Rechtsstaat, der einen bei der Durchführung der zu seiner Rettung nötigen Maßnahmen binden soll. Scheitern diese, gibt es ihn ohnehin nicht mehr lange. Was bindet einen dann? Es war naiv zu glauben, Gerichte würden nicht erkennen, worauf diese Argumentation hinausläuft: eine inhaltliche Konditionierung der Rechtsbindung der eigenen Politik, eine ethnische Konditionierung der durch den Nationalstaat gewährleisteten Rechtssicherheit überhaupt und letztlich die Selbstermächtigung zum Rechtsbruch.
Wenn Ethnie über Recht steht
In rechtsgerichteten Kreisen ist die Ansicht verbreitet, Recht sei ohnehin Politik. Wenn die Politik behauptet, etwas sei aufgrund des Rechts nicht möglich, etwa die Rückabwicklung von Einbürgerungen, dann sei das immer das Recht, das sie selbst setze. Das ist zwar ein Teil der Wahrheit, ohne dies hier ausführlicher behandeln zu können, aber dennoch wird damit die Gewaltenteilung geleugnet. Das ist die Büchse der Pandora. Wenn ich das Recht für beliebig änderbar halte, kann ich gar nicht rechtsbrüchig werden. Das Rechtsstaatsbekenntnis der Remigration ist vor diesem Hintergrund leicht als taktisches Lippenbekenntnis auszumachen.
Remigration baut einen Erwartungsdruck auf, der sie zum rechtsstaatswidrigen Handeln zwingen kann, den Anspruch auf gleiche Rechtssicherheit tatsächlich von der Zugehörigkeit zur staatstkonstituierenden deutschen Ethnie abhängig zu machen, auch wenn sie das bislang demonstrativ ausschließt. Aus ihrer inneren Logik heraus tut sie das allerdings nicht schlüssig, und hier liegt das Problem. Der Versuch, die außerrechtsstaatlichen Voraussetzungen des Rechtsstaats durch ihn zu retten, würde zu seiner Selbstaufhebung führen.
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Der voluntaristische Irrtum der Rechten
Politisch denken heißt, vom realistischen Grenzfall auszugehen. In einer Live-Diskussion auf X, die der Autor dieses Textes mit Martin Sellner führen durfte, quittierte dieser den Einwand, bei reiner Freiwilligkeit sei das wahrscheinliche Szenario doch, dass ein substanzieller Teil von Gruppe C bleibt, mit den Worten: „Lassen Sie es uns doch erst einmal versuchen!“ Diese Form des Zweckoptimismus ist das Gegenteil von Politik, prägt aber das voluntaristische Politikverständnis der Remigration. Sellner fürchtet, dass man mit diesem Argument die Erfolgschancen von Remigrationsanreizen im Vorhinein mindert. Mit anderen Worten: Es unterminiert die „Atmosphäre“ der „Verabschiedekultur“, die man erzeugen will. Der Staat soll es zwar jedem freistellen, ob er remigriert, aber auch signalisieren, von wem er nicht wünscht, dass er bleibt.
Daran zeigt sich, dass Remigration nicht als „echte“ politische Theorie durchgehen kann. Sie kann nicht garantieren, dass Freiwilligkeit in ihrem Sinne genutzt wird. Da davon aber ihre Rechtsstaatskonformität abhängt, bringt sie sich in einen politisch riskanten Selbstwiderspruch. Sie ist ein aktivistisches Schlagwort, ein „mobilisierender Mythos“, der als solcher nicht streng definiert sein darf, da seine Funktion darin besteht, eine Koalition verschiedener Akteure, die Unterschiedliches darunter verstehen können müssen, zusammenzuhalten.
Die Liberalen zum Beispiel verstehen unter „Remigration“ zu Sellners Missfallen nur Abschiebungen. Immerhin kann er es als seinen Erfolg betrachten, dass sie ihn überhaupt nutzen. Es käme nur noch darauf an, ihnen metapolitisch die „richtige“ Bedeutung unterzuschieben. Der Autor wurde immer wieder gefragt, warum er Sellners Buch nicht wörtlich nehme. Die Antwort lautet: Es ist eben ein aktivistisches Buch, das eine entsprechend aktivistische Funktion erfüllt – was nicht heißt, dass diese illegitim wäre –, nämlich die eines Alibis gegen den Vorwurf, man beabsichtige, Staatsbürger aufgrund ihrer Ethnie auszubürgern.
Remigration ist kein Konzept, sondern ein Mythos
Es ist klar, dass dies nicht „beabsichtigt“ ist. Es geht jedoch nicht darum, was Sellner oder jemand anderes sich persönlich wünscht, denn in der Politik geht es nicht um gute Absichten, sondern um Notwendigkeiten und gerade auch um die unbeabsichtigten Konsequenzen dessen, was man fordert. Dazu gehört die Verselbstständigung von Begriffen, die in der jetzigen Konstellation noch eine moderate Bedeutung haben, die sich unter sich verschärfenden Umständen jedoch für Extreme öffnen können. Um das im Fall der Remigration auszuschließen, hätte man von Beginn an der Fiktion entgegentreten müssen, Multiethnizität sei mehr als bloß begrenzbar und die ethnische Rehomogenisierung eine reale Aussicht. Mit Krah: Finger weg von Gruppe C! Dies wäre jedoch mit dem „Mythos“ unvereinbar gewesen.
Mit seiner Entscheidung hat das Gericht diese Entscheidungsverweigerung nun aufgelöst, indem es den Begriff „Remigration“ auf eine bestimmte Auslegung festgelegt hat – natürlich die extremistischste, die denkbar gewesen wäre. Wer sie künftig bemüht, mit welcher Intention auch immer, droht für diese Bedeutung haftbar gemacht zu werden. Der Versuch der AfD, eine zweite, Gruppe C aussparende Definition zu platzieren, ist damit praktisch gescheitert. Der „Mythos“ hat seine Funktion erfüllt.
Wenn die Rechte Demokratie und Nation ethnisch begründet, neigt sie dazu, die Feindschaft jenes Nationalstaates ihnen gegenüber als Missverständnis oder als Nicht-Verstehen-Wollen ihrer echten Intentionen zu interpretieren. Dieses Missverständnis gibt es nicht, genauer gesagt, es liegt bei der Rechten. Der Nationalstaat, auf den sie sich zu berufen glaubt, wendet sich konsequent gegen sie, weil ihr ethnischer Volksbegriff nicht seine Homogenitätsgrundlage ist, sondern innerhalb seines Staatsvolkes selbst ein Faktor der Inhomogenität darstellt.
Der Nationalstaat wendet sich gegen seine falschen Freunde
Diese ethnische Inhomogenität, die durch die Remigration nicht aufgehalten werden kann, solange sie verfassungsmäßig bleibt, und nicht wird, wenn sie verboten ist, bedeutet, dass sich das Prinzip der nationalen Homogenität zwangsläufig zulasten der ethnisch Deutschen im Staatsvolk wendet. Heute beobachten wir, wie der Staat versucht, sie durch die Konstruktion einer multiethnischen Willensnation zu bewältigen. Der „Kampf gegen rechts“ ist ein Bestandteil davon. Die Rechte schießt sich selbst ins Bein, wenn sie mit den Schlagworten Homogenität und Assimilation gegen den „Multikulti-Liberalismus“ agitiert. Sie ist das erste Opfer der Prinzipien, auf die sie sich beruft.
Dieses Missverständnis über die Nation speist den Erfolg des Populismus, hemmt aber die Rechte bei der Entwicklung einer zeitgemäßen Theorie. In Ermangelung einer solchen Theorie versteht sie nicht, warum das System so handelt, wie es handelt. Sie ist heute nicht in der Lage, das große Reformwerk auf sich zu nehmen, das auf diesen Staat infolge politischer Versäumnisse in vielen Bereichen in den vergangenen Jahrzehnten zukommt. Diejenigen, die dafür verantwortlich sind, hält genau das an der Macht. Das ist die Zwangslage, in die die Remigration die Rechte hineinmanövriert hat und in der sie sie gefangen hält. Um diese zu lösen und den Deutschen in diesem Staat eine Zukunft zu geben, muss der Populismus endlich in Führung genommen werden und muss das goldene Kalb des Nationalstaates fallen.






