Freilich #34: Am Weg zur Volkspartei?

„Herrengedeck“ von Volker Zierke: Neue Romantik aus Dresden

In Volker Zierkes Herrengedeck geht es um Rausch, Heimat, Liebeschaos und die Sinnsuche von Männern im Schatten der Stadt Dresden – für Kevin Naumann eine eindrucksvolle literarische Antwort auf die Leere der spätmodernen Gegenwart.

Kommentar von
18.7.2025
/
3 Minuten Lesezeit
 „Herrengedeck“ von Volker Zierke: Neue Romantik aus Dresden

„Herrengedeck“ ist Zierkes dritter Roman, der im Jungeuropa Verlag erschienen ist.

Er erträgt die Menschen nicht, jedoch die Stadt. Mit ihrer Geschichte und ihrem Schmerz treibt es den Protagonisten in die Nachtfarben Dresdens, in den Dämmer, allein, in einem Schrebergarten liegend und in die Nacht starrend. Kurz bevor alles im nächtlichen Schwarz verschwimmt, bricht seine Stunde an. Etwas reißt ihn los, eine innere Bewegung. Er durchwandert die Straßen, überquert Brücken und Plätze. Er dringt an Orte vor, unter frischem Regenduft und tannengrünem Blätterdach. Nur das Laternengelb ist noch erkennbar. Er durchschreitet schwere Eisentore wie verwunschene Portale, hinter denen sich die pralle Geschichte seiner Stadt verbirgt.

Hier hallte es einst unter Hackenschlägen: „Deutschland!“ – und nur das hält ihn am Leben: kein Job, keine Politik, sondern das Rauschen des Hains über der Elbe, die in der Ferne verschwindet. Der Roman ist an dieser Stelle sehr tief und verträumt. „Man verlässt die Zivilisation“ und blickt auf die einstige Größe. Blühende und starke Epochen ziehen im Geiste vorbei. Die Stadt, die Diva, ist jetzt grau eingehüllt.

Im Dämmerlicht der Geschichte

Dieser Drang nach dem Ausstieg ist beinahe logisch, neben dem nächtlichen Nachspüren vergangener Tage geht er auch einem ganz normalen Arbeitsalltag nach. Mit seinem Lieblingskollegen gönnt er sich regelmäßig ein oder zwei Bier nach Feierabend oder in der Mittagspause. Grundsätzlich geht es darum, der normalen Zeit im Rausch zu entfliehen. Denn unserer Zeit ist jeglicher Sinn abhandengekommen. Vor allem für junge Männer. So blickt die Hauptfigur auch auf eine Zeit als „Hundertprozentiger“ zurück. So nennt er Vollüberzeugte wie die Aktivisten der Identitären Bewegung. Aber auch die Anhänger des katholischen Glaubens, wie die weibliche Figur „Idylle“.

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Zu ihr entwickelt sich im Laufe des Romans eine Liebesbeziehung mit allen Höhen und Tiefen, die ein modernes Paar heutzutage durchlebt. Immer wieder kommt es zu Streit, auch aufgrund des Glaubens. Mit diesem kann der Ich-Erzähler eben nicht viel anfangen. Er ist bereit, ihn der Liebe wegen zu akzeptieren, verachtet ihn aber eigentlich wie die Hüllen. So nennt er die Alltagsmenschen in ihrem Trott, wie sie vorüberziehen, ohne Aussicht auf ein Ereignis, den Schmerz und das Leiden, die nötig sind, um einen Mythos zu konstituieren.

Zwischen Rausch und Restarbeitswelt

Noch tiefer als in Ins Blaue liegt die Beziehung zwischen den Figuren im Allgemeinen und vor allem das Verhältnis, das der Roman zur weiblichen Figur, zur zweiten Hauptfigur, dem hellsten Stern in diesem Buch, aufbaut. Es handelt sich um jenes zartfunkelnde Gewebe der Liebe, das den Atem des antiken Gottes Eros atmet und die vorliegende Geschichte aus der Sicht des männlichen Erzählers in eine epische Kategorie hebt. Wie sich der Autor vollkommen in die Geschicke des Geschlechterspiels fallen lässt, ist fesselnd. Niemand entkommt der Erotik, der Entfaltung zu einem gemeinsamen Wesen. Der viele Alkohol, das etwas vulgäre und maßlose Leben der Junggesellen-Burschenschafter, die Kneipentouren – all das tritt in diesem Moment zurück. Es gelingt dem Autor, Liebe in spätmoderner Zeit zu zeichnen. Sie ist ambivalent, ausschweifend, toxisch und zart zugleich.

Ein Schatten liegt über der Stadt, etwas Finsteres, das sich durch die Geister der Menschen frisst. So leidet der Protagonist an sich selbst und an dieser Welt, in der er so gern einen Sinn finden würde. Doch erst auf dem Höhepunkt der Zweisamkeit scheint sich der schwarze Schleim in seiner Lunge zu lösen, an dem er leidet und der ihm keine Ruhe lässt.

Die Idylle und das Spiel der Geschlechter

Herrengedeck ist ein Streifzug durch Dresden, das der Autor mit viel Wissen und Zuneigung beschreibt. Seine großen Stärken liegen jedoch in der Suche, bei der er sich vom Typus des modernen Zivilisationsmenschen lösen kann, und in der empfindsamen Beschreibung der entdeckten Umgebungen. Über allem schwebt die Figur der „Idylle“, die wohl nicht zufällig so benannt wurde und den Wunsch nach Geborgenheit, Heimat und Sinn ausdrückt. Volker Zierke schlägt seiner Hauptfigur über die Liebe einen Raum außerhalb des Nihilismus vor, wie er in der heutigen Moderne so häufig im männlichen Geschlecht ausgeprägt ist.

Die Neue Romantik – wenn man es so nennen will – beginnt als Ich-Erzählung an einem lauen Sommerabend in einer Seitenstraße, mitten in einer Dresdner Kneipe. Sie führt vorbei an alten Mauern, lässt den Blick über die Dächer schweifen, lässt die Stadt auf sich wirken, ruft die alten Soldaten im Traum noch einmal herbei und endet mit rotem Lippenstift an der Wange, an einem anderen Ort zwischen Friedrichstadt und Weißem Hirsch. Eine Liebeserklärung an die Heimatstadt in Zeiten seelischer Unruhen. Ein Buch zur rechten Zeit.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Kevin Naumann

Kevin Naumann, geboren 1988, ist Autor aus Mitteldeutschland und Herausgeber des Kulturmagazins Die Aster.

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