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Anders’ neuer Roman „Die Allee“: Ein Familienroman im Schatten der DDR

Die Bauwerke von Hermann Henselmann an der Karl-Marx-Allee symbolisieren den Konflikt zwischen utopischem Architekturtraum und politischer Kontrolle in der DDR. Florentine Anders erzählt diese Geschichte anhand des Schicksals einer Familie, in der die Frauen trotz Unterdrückung zu den eigentlichen Heldinnen werden.

Kommentar von
31.5.2025
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5 Minuten Lesezeit
Anders’ neuer Roman „Die Allee“: Ein Familienroman im Schatten der DDR

Berlin, Karl-Marx-Allee: Man spürt den Häuserzug, der sich von der Weberwiese bis zum Strausberger Platz im Osten der Stadt erstreckt. Nicht als Straße, sondern als Ader, durch die das Blut von Idealen und Kompromissen fließt. Im Jahr 1949 galt es, die Trümmerlandschaften, die die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs hinterlassen hatte, zu beseitigen und einer neuen Idee Platz zu verschaffen. Protagonist dieser Geschichte ist Hermann Henselmann, Architekt, cholerischer Familienvater und Avantgardist. Er ist ein Prometheus in Ketten, der die Welt mit seinen Träumen vom neuen Bauen und Leben formen will, doch er darf nur den Staub der Partei atmen. Er war abhängig vom Willen der politischen Führung in Berlin und Moskau. Aufgrund seines Wesens gelang es ihm aber immer wieder, als Sieger aus politischen Konflikten hervorzugehen. So bluffte er, als er seine Planung für den Strausberger Platz zuerst den Medien statt der Parteiführung vorstellte. Damit düpierte er die politische Bühne, die nun reagieren musste.

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Seine Frau „Isi“, Isabelle von Bamberg, ist zehn Jahre jünger. Sie strebt mit Talent und Trotz gegen ihr Schicksal an. Sie trägt die Schwere von acht Kindern und einem Mann, der sie zunächst bewunderte, als sie sich in den Jahren der Weimarer Republik kennenlernten. In seinem späteren Leben als umtriebiger Stararchitekt vernachlässigte und vergaß er sie jedoch oft. Isa, die Tochter (und Mutter der Autorin), löst sich wie ein Schatten aus der Gewalt des Vaters und flieht mit ihrem Mann nach Leipzig.

Zwischen Familienzwist und Emanzipationsgeschichte

Die Sprache von Anders ist chronistisch und erinnert an Das Narrenschiff von Christoph Hein. Doch die Figuren wirken von weltanschaulichen Motiven beeinflusst: Während die Männer im Werk eher schlecht wegkommen, sind die Werdegänge der Frauen Emanzipationsgeschichten. Einerseits stehen der pädophile Onkel, der übergriffige Arbeitskollege und das narzisstische Familienoberhaupt Hermann, das die kleine Isa blutig schlägt und im nächsten Absatz wie ausgewechselt scheint. Auf der anderen Seite stehen die Biografien von Isa und Isi, die sich trotz allem behaupten. Mutter und Großmutter der Autorin steigen trotz aller Umstände zu den eigentlichen Heldinnen auf. Das Figurenpanorama ist gekennzeichnet durch eine gewisse Schrägheit, zumal unklar ist, was davon tatsächlich wahr und was erfunden ist.

Sicher sind Männertypen wie der Patriarch Henselmann eine explosive Mischung, wenn nicht sogar mit toxischen Folgen. Doch es war seit jeher Aufgabe der Männer, Geschichte zu schreiben. Die Emanzipationsgeschichte der Frau ist hingegen ein Artefakt der Moderne. Vielleicht wird sich diese Epoche als Irrtum herausstellen, wenn ein neues Zeitalter der großen Männer anbricht. Vielleicht müssen wir, also die demokratische Gesellschaft, aber Ernst machen und eine Geschichte der Frauen neben jene der Männer stellen. Diese darf sich aber nicht, wie es heute in Literatur und Medien oft zum Ausdruck gebracht wird, einseitig gegen das Männliche und dessen Natur an sich stellen. Sie muss die ganze Geschichte und ihre Grenzen erlernen. Es wird eine Geschichtsschreibung des Verhältnisses sein müssen, sonst bleibt sie Halbwahrheit, Lüge und Ressentiment, ein entarteter Feminismus, der sich als aufklärerisch und woke aufspielt, aber immer weiter in die niveaulose Abwertung „der Männer“ abdriftet.

Architektur als politisches Korsett und private Tragödie

Kein Wort zu viel, kein Satz, der sich im Ornament verliert. Es ist, als ob sie mit dem Lineal schreibt und mit dem Zirkel die Kreise der Familie Henselmann zieht. Und doch bricht das Chaos durch: die DDR, dieser Staat aus Dogmen und Rost, diese Utopie, die in den Fugen ihrer Plattenbauten fault. Man sieht Henselmann, wie er die Allee entwirft, das Monument einer Ulbricht-Zukunft. Die Moderne, von der er träumt, wird zum Korsett der Partei, seine Visionen zu Zerrspiegeln. „Henselmann kriegte Haue“, singt der nahtlose Wolf Biermann, und man hört das bittere Lachen.

Was ist Die Allee? Ein Familienroman? Ein Zeitpanorama? Ein feministisches Manifest? Es ist alles und nichts davon. Es ist die Zerrissenheit des Menschen, der in den Maschen der Geschichte hängen bleiben muss. Isi ist Architektin und könnte zeichnen und entwerfen wie die Götter, doch sie versinkt in der Küche, im Alltag, der alles abverlangt, und in den Launen eines Mannes, der sie liebt und doch zerstört. Ihre Emanzipation ist ein Tanz auf Messers Schneide, ein Aufbegehren, das weder die DDR noch die Familie duldet. Und Isa, ihre Tochter, flieht, weil Bleiben bedeutet, zu ersticken. Beim Lesen spürt man: Dies ist nicht nur Henselmanns Allee, dies ist die Allee all derer, die an ihren Träumen scheitern, weil die moderne Welt aus Beton ist und Beton nicht natürlich ist. Man kann die Zeit nicht ewig anhalten.

Die DDR als Bühne des Scheiterns und des Aufbegehrens

Die DDR ist das Experiment, das Narrenschiff, aber hier sind es keine Schiffe, sondern Bauwerke, die in den Himmel greifen. Anders schreibt nicht mit Pathos, sondern mit der Wärme und Stärke einer Frau, die weiß, was sie will. Ihre Sätze sind kurz, die Kapitel wirken wie Skizzen, die sich durch das Generationenglas betrachtet zu einem Panorama fügen. Man sieht die Leipziger Demonstrationen, den Mauerbau, die kalten Winde des Kalten Krieges. Man erlebt das Knirschen der Panzerketten näher und intensiver als bei Hein, fast körperlich. Doch Nahaufnahmen, die die Haut der Figuren berühren, vermeidet sie. Sie zeigt kein gerötetes Gesicht, auf dem der Schweiß steht. Sie bricht ab, bevor es episch werden könnte.

Henselmann, der Bauhaus-Jünger, trägt die Fackel einer Ästhetik, die die Welt erlösen sollte: klare Linien, reine Formen, ein neuer Mensch. Doch die DDR ist kein Bauhaus, sie ist ein Labyrinth aus Misstrauen und Macht. Seine Allee, die er voller Stolz entwirft, wird zum Symbol der Unterwerfung. Man denkt an Benns „Statische Gedichte“, an die Kälte der Form, die das Chaos bändigen will und doch nur dessen Echo ist. Die Allee ist statisch und dynamisch zugleich: ein Monument, das sich bewegt; eine Familie, die zerfällt; eine Geschichte, die sich auflöst.

Und doch, inmitten der Trümmer, ein Glanz. Isis Kampf, Isas Flucht, selbst Hermanns trotzige Bauwerke. Anders’ Blick ist der weibliche: Sie zeigt keine Märtyrer wie Hein, sondern Menschen, die atmen, leiden, lieben und scheitern. Die Allee tröstet nicht, sie zwingt zum Hinsehen – und sie steht noch heute. Inmitten der Wunden und Narben gescheiterter Versuche gestalten wir nun unser Land. Wo sind die Männer und Frauen, die weiterbauen, Risiken eingehen, scheitern und doch gewinnen?


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Über den Autor

Kevin Naumann

Kevin Naumann, geboren 1988, ist Autor aus Mitteldeutschland und Herausgeber des Kulturmagazins Die Aster.

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