Wie alternativ sind „Achtung Reichelt“ und „Pleiteticker“ wirklich?

Ex-BILD-Chefredakteur Julian Reichelt hat nach seinem Ausscheiden mit der Plattform Pleiteticker ein starkes neues Medium aus dem Boden gestampft. Vor allem im alternativen Lager konnte sich Reichelts neues Medium etablieren. Doch der Schein trügt, meint FREILICH-Redakteur Bruno Wolters.

Kommentar von
18.6.2023
/
6 Minuten Lesezeit
Wie alternativ sind „Achtung Reichelt“ und „Pleiteticker“ wirklich?
Julian Reichelt betreibt erfolgreich den Pleiteticker© IMAGO / Jörg Schüler

Im Frühjahr 2021 musste der wohl umstrittenste Chefredakteur im deutschsprachigen Raum seinen Hut nehmen: Die Rede ist von Julian Reichelt, der die BILD-Zeitung mit einem Paukenschlag verlassen musste. Von vielen, vor allem Linken, gehasst, hat der 43-jährige gebürtige Hamburger ein unbestreitbares Talent, als Führungspersönlichkeit ein reichweitenstarkes Medium aufzubauen. Nicht umsonst liest man hier und da, Reichelt habe die BILD trotz – oder gerade wegen – seiner Kontroversität und unorthodoxen Herangehensweise noch einmal vor dem Niedergang gerettet. Seit 2022 beweist er einmal mehr sein bereits erwähntes Talent für die Medien.

Reichelt hat mit finanzstarken Hintermännern und einem erstaunlich jungen Team sowie einigen bekannten Anti-Woke-Journalisten wie Ralf Schuler und Judith Sevinç Basad einen YouTube-Kanal und mit dem Pleiteticker einen stark wachsenden Blog aus dem Boden gestampft. Vor allem letzterer ist für einen Rechten eine große Bereicherung, da man hier täglich den Niedergang Deutschlands in schnellen und kurzen Texten verfolgen kann. Auch audiovisuell ist Reichelts Team stark unterwegs: Mit dem ehemaligen ÖRR-Dokumacher Jan A. Karon, der vom RBB wegen einer emotionalen Twitter-Aussage über die katastrophalen Zustände in Somalia vor die Tür gesetzt wurde, hat der Pleiteticker durchaus Mediengeschichte schreiben können.

Pleiteticker hat alternative Mediengeschichte geschrieben

Tatsächlich sprechen Beobachter davon, dass die Videoproduktionen aus dem Hause Reichelt zu den Silvesterkrawallen zum großen Sieg der CDU bei der Wiederholungswahl in Berlin beigetragen haben. Warum? Reichelts junges Team war sich nicht zu schade, an Silvester zu arbeiten und die Zustände auf den Straßen deutscher Großstädte zu filmen. Das Filmmaterial strafte alle Linken Lügen, die hinter vorgehaltener Hand von „gruppendynamischen Prozessen junger Männer“ sprachen, denn jeder konnte in den kostenlosen Dokumentationen sehen, welche Menschen für die katastrophalen Zustände verantwortlich waren, über die am nächsten Tag überall diskutiert wurde. Auch an anderen Orten war das Videoteam aktiv, so zum Beispiel bei den Protesten gegen den Kohleabbau in Lützerath.

Keine Frage: Beim Pleiteticker ist man sich nie zu schade, den Finger in die Wunde zu legen. Man zieht zu Not auch mal vor Gericht. So hat man nach einer juristischen Auseinandersetzung mit der Behörde von Innenministerin Faeser Informationen und Daten über die Dienstreisen der Amtsinhaberin erhalten. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass Pleiteticker ein Vorbild für kritischen Journalismus sein kann. Reichelt und seine Plattform bereichern mit ihrer Arbeit die alternativ-patriotische Szene und erschweren die Arbeit der linksliberalen Mächtigen und Eliten, die nun damit rechnen müssen, von journalistischen Profis angegriffen zu werden.

Kritischer Vorzeige-Journalismus

Dennoch ist zumindest aus patriotischer und rechter Sicht eine gewisse Kritik angebracht, wie der Politologe Benedikt Kaiser in seiner Kolumne bei der Sezession zu Recht anmerkt. Reichelt und sein Team seien Brückenbauer, denn sie sorgten mit ihrer Arbeit dafür, dass „die Reichweite für migrationskritische und grünengegnerische Standpunkte mit der Reichweite Reichelts wächst“. Aber: Gleichzeitig würden sich die angesprochenen Akteure mit Kritik an der Union zurückhalten. Oder in Kaisers Worten: „Bei Reichelts Medien bleibt zudem völlig ausgeblendet, dass die Union die Hauptverantwortung für diese Missverhältnisse trägt“.

Diese Punkte sind nicht von der Hand zu weisen. Und wenn man sich die Berichterstattung des Reichelt-Teams genauer anschaut, muss man diese Feststellung vielleicht sogar noch etwas präzisieren. Der Pleiteticker wirkt manchmal wie eine Art Wahlkampfplattform der Union. Dazu ein paar Beispiele: Die Union wird in der Regel positiv besprochen und als Korrektiv zur Ampelregierung dargestellt. So werden prominente Kritiker der Ampelregierung aus den Reihen der Union häufig in den ersten Reihen positioniert, in der sie dann aus einer CDU/CSU-Perspektive die Ampel kritisieren. Entsprechend häufig trifft man auf den ehemaligen CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, vor allem im eigenen Talkshow-Format.

Die AfD wird kaum erwähnt

Bosbach und andere untermauern damit das Bild der angeblich „konservativen Union“, die jedoch mit 16 Jahren Merkel und über 50 Jahre Regierungsbeteiligung insgesamt erst für viele Zustände in diesem Land sorgte. Es soll an dieser Stelle aber auch nicht verschwiegen werden, dass auf dem Pleiteticker-Blog auch leise Kritik an der Union zu lesen ist, wie ein kritischer Beitrag über den Parteivorsitzenden Merz zeigt. Insgesamt überwiegt jedoch die eher unionsfreundliche Haltung. Am deutlichsten wird dies in einem TikTok-Video, in dem eine Pleiteticker-Redakteurin einen „Faktencheck“ zur Frage, ob die Union transfeindlich sei, durchführt und zu dem Ergebnis kommt, dass dies nur ein falscher Vorwurf der Grünen sei.

Noch deutlicher wird die parteipolitische Positionierung aber bei der Themenauswahl. Ein Beispiel ist das Themenfeld Außenpolitik: So ist der Pleiteticker hundertprozentig auf Unionslinie – Beiträge zur Nordstream-Sabotage finden sich gar nicht, dafür einige zu den Protesten im Iran. Und um wirklich jedem Kritiker das eben Gesagte endgültig klar zu machen: Die AfD wird so gut wie totgeschwiegen und auch teilweise von Reichelt-Redakteuren polemisch auf Twitter kritisiert und auf den Verfassungsschutz verwiesen, um die vermeintlich rechtsextreme Einstellung der Partei zu beweisen. Nun ist das natürlich kein Verbrechen und auch Journalisten haben ihre politischen Überzeugungen – auch ich als FREILICH-Redakteur. Außerdem war die AfD noch nie zu Reichelts Talkshows eingeladen.

2025 kann alles anders sein

Um es klar zu sagen: Dass Reichelt und sein Team eine Berichterstattung wählen, die die Union gut aussehen lässt, ist natürlich in Ordnung, denn schließlich ist es ein privates Medium und er entscheidet selbst über die Blattlinie. Ich will der Reichelt-Redaktion deshalb auch nicht ihre Existenzberechtigung oder Brisanz absprechen – wie gesagt, der Pleiteticker und sein junges Team machen eine hervorragende Arbeit, die vor allem die Ampelregierung ärgert und schon einige bloßgestellt hat.

Die Frage am Ende ist aber: Wie wird der Pleiteticker zum Beispiel 2025 berichten, wenn es einen Unionskanzler geben könnte und die Ampel abgewählt wird? Wird er dann genauso kritisch sein wie heute? Ausgehend von den derzeitigen eher Unions-nahen Verhältnissen beim Pleiteticker ist diese Frage vielleicht so zu beantworten, dass sie vor allem den AfD-nahen Lesern nicht gefallen wird. Es ist durchaus vorstellbar, dass der Pleiteticker bei einem Union-Bundeskanzler dann vom größten oppositionskritischen Medium zu einer Plattform wird, die dann selbst die Opposition und damit die AfD und ihr Umfeld kritisiert.

Anti-AfD-Texte sind zu erwarten

Plötzlich wird ein „knallharter CDU-Innenminister“ gefeiert, der im Streit mit dem grünen Koalitionspartner eine geplante Asyl-Obergrenze von 500.000 Menschen pro Jahr als Kompromiss durchgesetzt hat. Vielleicht gibt es auch antichinesische Beiträge. Möglicherweise sind auch konkrete Anti-AfD-Texte zu erwarten, vor allem dann, wenn die AfD in Ländern wie Thüringen und Sachsen tatsächlich das Machtmonopol der Union in Frage stellen sollte – wovon jetzt schon auszugehen ist.

Insofern lese ich die Beiträge von Pleiteticker mit Gewinn, bin mir aber bewusst, dass sich das bald ändern könnte, wenn die Union regiert. Insofern kann man Reichelt und Pleiteticker allenfalls als Alternative zu den Ampelparteien bezeichnen, aber nicht als Alternative zum falschen Ganzen. Die gewünschte Alternative, nämlich professionelle Medien auf dem Niveau von Pleiteticker und Co. kann nur durch unsere eigene Arbeit organisch wachsen. Deshalb zum Schluss noch einmal der Aufruf: FREILICH abonnieren!


Zur Person:

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Im Sommer 2020 war er Mitgründer des konservativen Onlinemagazins konflikt. Im Jahr 2021 folgte das Buch Postliberal im Verlag Antaios. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessensgebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

Twitter: https://twitter.com/Bruno_Wolters

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.