Plagiat-Inflation: Das Plagiat als Gradmesser der Dekadenz

Mit dem jüngsten Skandal um die vermutlich plagiierte Doktorarbeit der stellvertretenden Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung wird eine Entwicklung immer deutlicher: Plagiate sind in der Elite Normalität. Sie werden jetzt nur noch aufgedeckt. Ein Symptom gesellschaftlicher Spaltung.

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9.2.2024
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Plagiat-Inflation: Das Plagiat als Gradmesser der Dekadenz

Mit dem Vorwurf des Plagiats sahen sich in der Vergangenheit bereits mehrere bekannte Persönlichkeiten konfrontiert.

© IMAGO / Zoonar

Alexandra Föderl-Schmid, stellvertretende Chefredakteurin der linksliberalen Süddeutschen Zeitung, soll nach einem Bericht der Plattform Nius des Plagiats in ihrer Doktorarbeit überführt worden sein. Der Plagiatsjäger Stefan Weber soll Hinweise darauf haben, dass Föderl-Schmid bei ihrer Doktorarbeit abgeschrieben und unsauber gearbeitet hat, zudem sollen laut Weber Kolumnen und Texte von Föderl-Schmid teilweise ganze fremde Passagen ohne Quellenangabe veröffentlicht haben. Es ist ein weiterer Plagiatsskandal unter vielen, die teilweise bis in höchste akademische, politische oder auch wirtschaftliche Kreise reichen. Erst kürzlich trat die afroamerikanische Harvard-Präsidentin Claudine Gay nach Vorwürfen nichtakademischen Arbeitens von ihrem Amt zurück – auch sie soll Dutzende Passagen plagiiert haben. Einige Kritiker stellten aufgrund der Vorwürfe sogar die eigenständige wissenschaftliche Arbeit von Gay in Frage. Weitere Namen, die plagiierten oder mit Plagiatsvorwürfen überhäuft wurden, ließen sich an dieser Stelle aufzählen: Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Franziska Giffey (SPD), Anne Schavan (CDU), Christine Aschbacher (ÖVP). Anlass für die öffentliche Aufregung sind oft Dissertationen – wenn natürlich Bildungsminister wie Schavan unter Plagiatsverdacht stehen, ist das besonders zum Schmunzeln.

Nun gibt es bisher keine besonderen Statistiken, die in irgendeiner Weise aussagekräftig genug wären, um die aktuellen Entwicklungen rund um Plagiate zu beschreiben. Auch wenn der aktuelle Medienrummel um die jüngsten Plagiatsskandale täuschen mag, so ist doch nicht ganz von der Hand zu weisen, dass wir es mit einer „Plagiats-Inflation“ zu tun haben – immer mehr Menschen, vor allem in Elitepositionen, schreiben skrupellos ab und werden dabei erwischt. Dass es durch die digitalen Möglichkeiten heute viel einfacher ist, Plagiate zu finden, ist logisch, aber der politische Hintergrund von Plagiatsvorwürfen ist nicht zu übersehen. Am deutlichsten wurde dies bei Guttenberg, der als „konservativer“ Politiker ordentlich durch den medialen Fleischwolf gedreht wurde und erst als dünne Wurst abdanken und später in die Privatwirtschaft abtauchen musste. Damals war der Plagiatsskandal eine gefühlte Medienbombe, heute denkt man bei der neuesten Plagiatsmeldung nur noch „Ach, der auch?“. Im Gegensatz zu Guttenberg hat Giffey ihren Skandal politisch überlebt und ist heute noch in Berlin aktiv. Als linke Politikerin und auch als Frau bekam sie einen großen Bonus bei Kritikern und Medien. Ein Hinweis darauf, dass diese Skandale durchaus auch von der Medienmacht und den Interessen dahinter leben.

Guter Plagiator, schlechter Plagiator

Guttenberg wurde als nicht-linker Politiker als Freiwild markiert, während Giffey nur eine Entschuldigung und die Rückgabe des Doktortitels brauchte, um in den Kreis der Elite zurückkehren zu können. Diese politische Folie ist auch im aktuellen Skandal um die Süddeutsche Zeitung zu erkennen. Einige Akteure gehen gar nicht auf die Vorwürfe gegen die stellvertretende Chefredakteurin ein, sondern lenken die Aufmerksamkeit direkt auf angeblich rechte oder antifeministische Motive der ursprünglichen Initiatoren der Kampagne. Warum das? Für die eine Seite ist es so einfacher, den Vorwürfen der anderen auszuweichen, denn schließlich hat mit Nius ein „rechtspopulistisches“ Medium den Skandal aufgedeckt. Für die linke Elite besteht der Skandal eigentlich nur darin, dass sie nun selbst die Medizin schmecken muss, die sie jahrelang selbst konservativen und rechten Politikern mit Freuden verabreicht hat. Das nimmt man der Gruppe um Julian Reichelt, der bis vor kurzem selbst zur großen Gruppe bei Bild gehörte, sehr übel.

Weiter gedacht bedeutet diese Beobachtung, dass wir es mit einer Rückkehr der Politik zu tun haben. Es kommt Bewegung in die Sache. Wäre vor 15 Jahren in der BRD ein Plagiatsskandal wie der um Giffey oder andere unwahrscheinlich gewesen, weil alle den Burgfrieden hielten, sei es in der Politik oder in den Medien, so ist jetzt mit vielen alternativen Medien, der AfD und der starken FPÖ sowie dem Zusammenbruch der Mitte eine unglaubliche Spannung ins ganze Haus der Eliten gekommen. Es wird ungemütlicher. Wir können also in Zukunft mit mehr Skandalen dieser Art rechnen. Dass da ausgerechnet Weidels Doktorarbeit den Überprüfungen standhalten konnte, ist da mehr als nur ein Hinweis: Ist es nicht bemerkenswert, dass gerade bei einer rechten Politikerin der AfD keine Plagiate gefunden werden konnten?

Die hyperakademisierte Gesellschaft

Aber nicht nur das. Man kann hinter diesen Reibereien um abgeschriebene Zeilen auch noch etwas anderes erkennen: Nämlich, dass das ganze System der wissenschaftlichen Integrität und des akademischen Betriebs einfach nicht mehr funktioniert. Die Gründe dafür sind vielfältig. Am offensichtlichsten ist natürlich, dass an vielen Universitäten mit dem Einzug der Gender Studies und anderer Disziplinen die elementarsten Mechanismen der Wissenschaft an einigen Stellen außer Kraft gesetzt wurden. Hinzu kommt, dass die Universitäten, aber auch die jungen Nachwuchswissenschaftler aufgrund der knappen finanziellen Ressourcen immer mehr unter Druck geraten: Sie müssen noch einen Aufsatz mehr publizieren, sie müssen noch mehr von Kollegen zitiert werden, sie müssen noch mehr große Entdeckungen machen. All das, um akademische Glaubwürdigkeit und Bekanntheit zu erlangen. Es ist logisch, dass einige versuchen, dabei zu betrügen – das ist verständlich. Das größte Problem ist aber die große Nivellierung: Der akademische Betrieb ist so aufgebläht worden, dass die Universität nicht mehr als Bildungsstätte für die Elite existiert, sondern für die Masse – mit allen Problemen, die Massen und Unqualifizierte mit sich bringen. Die bürgerliche Liebe zu akademischen Titeln tut dem System dann den Rest, ebenso wie der politische Sumpf und Filz von Professoren und akademischem Mittelbau, den jeder Student kennt – wer besonders gut mit dem Professor kann, hat es leichter, einen begehrten Doktorandenplatz zu bekommen.

Die Folge einer politisierten Gesellschaft und eines aufgeblähten akademischen Betriebs ist dann ganz einfach: Immer mehr Menschen promovieren – und damit auch immer mehr Menschen, die plagiieren. Zum Teil aus Faulheit, aus Mangel an Kreativität oder Qualifikation oder einfach aus Dummheit. Dass man damit manchmal durchkommt, hilft der wissenschaftlichen Integrität nicht unbedingt. Die Massenuniversität hat eben auch ihre Nachteile, nämlich die mangelnde Selektion. Letztlich sind sie aber nur ein Symptom einer dekadenten Gesellschaft, die immer mehr das Formale – das Tragen eines akademischen Titels – über den Inhalt stellt, weil der Inhalt überfordert. Ein Zitat von Hans Delbrück mag hier einen guten Hinweis geben: „Es ist das Eigentümliche bei absterbenden Ideen, dass, weil sie kraftlos geworden sind, ihre Träger die Form über den Inhalt stellen, die Form heiligen, sich an sie anklammern, weil sie sonst allen Halt verlieren würden“. In dem Sinne kann man vielleicht das ganze Spektakel um Plagiate auch entspannt hinnehmen: Es ist ein Zeichen für die absterbende hyperakademisierte Gesellschaft.


Zur Person:

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Im Sommer 2020 war er Mitgründer des konservativen Onlinemagazins konflikt. Im Jahr 2021 folgte das Buch Postliberal im Verlag Antaios. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei FREILICH. Seine Interessensgebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

Twitter: https://twitter.com/Bruno_Wolters

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.

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