Schweizer Arbeitgeberchef: Existenzsichernder Lohn nicht Aufgabe der Arbeitgeber
Firmen müssten keine Löhne zahlen, die zum Leben reichen, meint der Schweizer Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller. Er fordert, dass notfalls die Sozialhilfe einspringt, statt die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen.
Ein rein existenzsichernder Lohn sei nicht die Aufgabe der Arbeitgeber, sagt Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller. Schlussendlich müsse die Sozialhilfe einspringen.
© Screenshot YouTubeBern. – In der Sommersession befasst sich der Nationalrat der Schweiz mit einem brisanten Thema: Darf der Bund kantonale Mindestlöhne aufheben, wenn Gesamtarbeitsverträge (GAV) niedrigere Löhne vorsehen? Während Wirtschaftsverbände und bürgerliche Politiker dies fordern, sorgt eine Aussage von Roland A. Müller, dem Direktor des Arbeitgeberverbands, nun für zusätzlichen Zündstoff, wie der Blick berichtet.
„Existenzsicherung nicht Aufgabe der Firmen“
In einer Anhörung der Wirtschaftskommission des Nationalrats Ende März äußerte Müller deutliche Zweifel an der Forderung nach existenzsichernden Löhnen. „Man kann von den Arbeitgebern oder von der Wirtschaft nicht verlangen, dass sie Existenzsicherung betreiben. Irgendwo hört es auf“, sagte er laut internen Unterlagen, die der Zeitung Blick vorliegen. „Da muss dann schlussendlich die Sozialhilfe einspringen.“
Dabei betonte er auch die finanzielle Rolle der Unternehmen im Sozialsystem: „Ein rein existenzsichernder Lohn ist nicht die Aufgabe der Arbeitgeber.“ Diese würden die soziale Sicherheit ohnehin über Unternehmenssteuern mitfinanzieren. Das Ganze sei eine epische Frage, erklärte Müller.
Kritik von links
Insbesondere auf der linken Seite stießen die Aussagen des Arbeitgeber-Vertreters auf heftige Kritik. So warf SP-Nationalrätin Jacqueline Badran Müller eine einseitige Lastenverteilung vor: „Die Gewinne privat, die Kosten dem Staat.“
Sie widersprach auch dem Arbeitgeberbild, das in Müllers Position impliziert sei: Hinter Müllers Aussagen stecke ein Bild der Arbeitgeber als „gnädige Herren mit den milden Gaben“. Badran, die selbst Unternehmerin ist, formulierte es scharf: „Wenn ich keine existenzsichernden Löhne zahlen kann, bin ich eine miese Unternehmerin oder eine hinterlistige Ausbeuterin meiner Leute. Sie können weder die eine noch die andere Variante ernsthaft gutheißen.“ Aus ihrer Sicht dienen Mindestlöhne dazu, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen: Mit Mindestlöhnen schaffe man gleich lange Spieße, sodass „die schwarzen Schafe, eben die Ausbeuter oder die schlechten Unternehmen“ herausgefiltert würden.
Mindestlöhne als Schutz vor Working Poor
Derzeit haben fünf Kantone eigene Mindestlöhne eingeführt, die zwischen 20 Franken im Tessin und 24,50 Franken in Genf liegen. Nur in Neuenburg und Genf haben diese Vorrang gegenüber den Löhnen von Gesamtarbeitsverträgen (GAV).
In der Anhörung erinnerte Gewerkschaftsvertreter Luca Cirigliano an die sozialen Hintergründe der kantonalen Regelungen: „Die Kantone Neuenburg und Genf waren mit riesigen Zahlen an Arbeitnehmenden konfrontiert, die 100 Prozent gearbeitet haben und trotzdem auf dem Sozialamt gelandet sind. Das wollte man nicht.“
Er warnte vor möglichen Rückschritten, sollten kantonale Mindestlöhne durch GAV-Regelungen unterlaufen werden: „Die Sozialämter der Kantone Genf und Neuenburg müssten sich auf einen Ansturm ohnegleichen vorbereiten.“ Teilweise bedeute das 300 Franken weniger Lohn pro Monat.
Müller warnt vor Jobverlust durch Mindestlöhne
Gegenüber dem Blick verteidigte Müller seine Aussagen. Zwar sei es grundsätzlich unbestritten, dass Löhne zum Leben reichen sollten: „Natürlich ist es das Ziel, dass man vom eigenen Lohn leben kann – das ist völlig unbestritten.“ Doch die Realität sehe oft anders aus, etwa in wirtschaftlich schwachen Branchen.
„Zu hohe Mindestlöhne führen dort dazu, dass diese Jobs verschwinden. Damit ist den Betroffenen auch nicht geholfen.“ Ihm zufolge ist es besser, wenn Menschen im Arbeitsmarkt bleiben, statt arbeitslos zu werden. „Kein Arbeitgeber zahlt bewusst tiefe Löhne, um die Boni hochzuschrauben“, so Müller.
Sozialpartnerschaft statt kantonale Vorgaben?
In der aktuellen Debatte steht für Müller vor allem die Sozialpartnerschaft im Vordergrund. Er fordert, dass Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften Vorrang vor kantonalen Eingriffen haben sollten. „In den GAVs werden auch bessere Arbeitsbedingungen, Weiterbildung oder Ferien verhandelt“, betonte er. Würden die Kantone eigenständig an den Mindestlöhnen drehen, drohe das gesamte Gleichgewicht der Sozialpartnerschaft zu kippen: „Dann gerät das ganze Gefüge in Gefahr.“