Mit zweierlei Maß – Anmerkungen zum Israel-Iran-Konflikt

Der Iran hat in der Nacht zum 14. April als Reaktion auf den israelischen Angriff auf seine Botschaft in Damaskus Anfang des Monats mehr als 300 Drohnen und Raketen auf Israel abgefeuert. In seinem Kommentar für FREILICH erklärt Hans-Thomas Tillschneider, dass der israelische Angriff aus mehreren Gründen nur als „Provokationsfalle“ verstanden werden kann.

16.4.2024
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3 Minuten Lesezeit
Mit zweierlei Maß – Anmerkungen zum Israel-Iran-Konflikt
© IMAGO / ZUMA Wire

Als Israel am 1. April dieses Jahres ein Nebengebäude der iranischen Botschaft in Damaskus bombardierte, weil es dort einige iranische Generäle vermutete, war das Schweigen des Westens unüberhörbar. Kein Wörtchen der Verurteilung war aus dem offiziellen Berlin, Paris, London, Rom oder Washington zu vernehmen. Zwar wurde die Integrität des souveränen Nationalstaates Syrien verletzt, wurde auf syrischem Boden die diplomatische Vertretung eines anderen souveränen Nationalstaates angegriffen, wurden ohne Prozess Personen liquidiert, weil sie nach Angaben, die niemand überprüfen kann, an dem Terrorangriff der Hamas aus Israel am 7. Oktober 2023 mitgewirkt haben sollen, aber all das schien nicht besonders tadelnswert.

Wollte man aufzählen, was hier alles an Völker- und Menschenrecht und sonstigen Rechten verletzt wurde, würde man so schnell nicht fertig. Von all denjenigen, denen das Völkerrecht heilig ist, wenn es um die Ukraine geht, war jedoch nichts zu vernehmen. Obwohl offenkundig ist, dass Israel den Angriff verübt hat, hat Israel selbst den Angriff nicht bestätigt, allerdings auch nicht abgestritten. Allein dieses eigentümliche Offenlassen sagt schon sehr viel: Offiziell will man den Stein des Anstoßes nicht geworfen haben, weil es nichts gibt, was man einen Pressesprecher sagen lassen könnte, um einen solchen Akt zu rechtfertigen.

Ein Tabubruch in Nahost

Aber abstreiten will man auch nicht, und man hat das Ganze auch nicht als verdeckte Operation durchgeführt. Täuschung ist nicht das Ziel. Der Iran weiß und soll schon wissen, wer diesen Schlag geführt hat. Nur offiziell bekennt man sich nicht dazu. Die andere Seite soll keine Kriegserklärung haben, an der sie sich festhalten und auf die sie sich berufen kann. Unter den inoffiziellen Stimmen, die das israelische Vorgehen verteidigen, war zu vernehmen, es habe sich bei dem Angriffsziel nicht um die Botschaft selbst, sondern ein konsularisches Nebengebäude gehandelt. Wer vom Angriff auf die Botschaft spreche, verbreite deshalb „Fake-News“. Inwiefern dieser Hinweis ernst oder ironisch gemeint sein soll, lässt sich nicht feststellen. Sicher ist nur: Dieses ungenierte Schaffen von offiziell herrenlosen Tatsachen, gekleidet in Wolken aus inoffiziellem dummem Geschwätz, ist wohl die maximale Provokation. Doch weshalb jetzt dieser Schritt?

Mangels offizieller Erklärungen sind wir auf Mutmaßungen angewiesen. Es heißt, Israel dulde keine Ausweitung der iranisch-syrischen Beziehungen. Da Syrien genauso wie der Iran ein souveräner Staat ist, hat Israel hier jedoch nichts zu dulden. Diese israelische Unduldsamkeit allerdings wird vom Westen mit höchstem Langmut geduldet, denn noch nie wurde einer der meist inoffiziellen israelischen Angriffe auf Syrien verurteilt. Genauso wie die US-amerikanischen Militärbasen in Ostsyrien noch nie von einem westeuropäischen Staatsoberhaupt verurteilt worden wären, obwohl sie gegen den Willen der syrischen Regierung auf syrischem Territorium ganz klar völkerrechtswidrig errichtet wurden.

Schweigen im Westen

Wie dem nun sei. Der aktuelle Angriff jedenfalls ist allein mit der üblichen Eindämmung iranischer Aktivitäten auf syrischem Boden nicht zu erklären. Den in dem iranischen Konsulargebäude in Damaskus Getöteten wird – inoffiziell versteht sich – vorgeworfen, am Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen zu sein. Diese Behauptungen sind nichts als bloße Behauptungen, und außerdem sind sie wenig plausibel.

Die mit Iran in Verbindung stehende Hisbollah im Südlibanon hat all denen, die an Eskalation interessiert sind, ja gerade nicht den Gefallen getan, sich von dem plumpen Terrorakt der Hamas zu einem Mittun bewegen zu lassen. Die schwelende Auseinandersetzung an der israelisch-libanesischen Grenze schwelte auch nach dem 7. Oktober 2023 unbeeindruckt von den Ereignissen weiter, ohne dass es dort zu größeren Angriffen der Hisbollah gekommen wäre, was nahelegt, dass der Iran am Hamas-Angriff keinerlei Aktien hatte. Er kann, wie in einem früheren Beitrag von mir dargelegt, auch kein Interesse an einer Eskalation haben; ist er doch in eine große russisch-chinesische Entspannungsinitiative im Nahen Osten eingebunden. Auch die übliche anti-israelische Rhetorik des Iran erfuhr nach dem 7. Oktober 2023 keine Steigerung. Im Osten nichts Neues, könnte man sagen.

Angesichts dieser Hintergründe kann der israelische Angriff auf den Gebäudekomplex der iranischen Botschaft in Damaskus nur als Provokationsfalle verstanden werden. Duldet die iranische Regierung diesen Angriff ohne Reaktion, weiß Israel, dass es ohne Folgen iranische Botschaftsgebäude bombardieren kann. Der Iran würde riskieren, dass Israel sich demnächst noch weiter vorwagt. Reagiert er hingegen militärisch, droht eine Eskalationsspirale, die in einen Großkonflikt müden könnte, den der Iran nicht wollen kann, und zwar schon allein deshalb, weil er ihn verlieren würde. Die jüngsten Raketenangriffe des Irans auf Israel sind deutlich erkennbar der Versuch, diesem Dilemma zu entkommen, also nicht tatenlos zu bleiben, aber auch nicht mit einer zu heftigen Reaktion Israel scheinbare Legitimation für einen Gegen-Gegenschlag zu liefern. Der Militärexperte Carlo Masala hat in der Tagesschau im Prinzip richtig dargelegt, dass der Iran ganz bewusst maßvoll reagiert hat.

Ein kaum aufzulösendes Dilemma

Interessanterweise wurde dies auch in der Mainstreampresse insofern reflektiert, als der iranische Vergeltungsschlag zwar kritisiert, aber nicht mit den schärfsten Verurteilungen bedacht wurde, die üblicherweise in Anschlag gebracht werden, wenn der Wertewesten im Vollgefühl seiner moralischen Überlegenheit das angebliche Fehlverhalten eines nicht-westlichen Staates kritisiert. Was will man auch dagegen sagen, wenn ein Land die Bombardierung seiner Botschaft nicht einfach so auf sich beruhen lässt?

Entscheidend ist jetzt, wie Israel reagiert. Da die israelische Luftabwehr die meisten iranischen Raketen und Drohnen abgefangen hat, bleibt nun beiden Seiten die Möglichkeit, den Schlagabtausch gesichtswahrend darauf beruhen zu lassen. Der Iran hat sich gewehrt, Israel hat seine militärisch-technologische Überlegenheit demonstriert. Der Iran hat schon erklärt, dass die Sache für ihn damit erledigt ist. Sollte Israel jetzt mit einem Gegen-Gegenschlag antworten, der den iranischen Gegenschlag womöglich noch überbietet, gesteht es damit vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein, keinen Frieden zu wollen. Hoffen wir, dass dem nicht so ist.


Zur Person:

Dr. Hans-Thomas Tillschneider ist Islamwissenschaftler und sitzt seit 2016 für die AfD im Landtag Sachsen-Anhalt. Dort ist er der kulturpolitische Sprecher der AfD-Fraktion. Während der Zweiten Intifada (2000-2005) studierte er in Damaskus.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.

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