Gipfeltreffen in Kalifornien: Steuert die Welt auf einen weiteren Krieg zu?

China und die USA haben sich zwar auf eine Wiederaufnahme der Kommunikation auf militärischer Führungsebene geeinigt, in grundsätzlichen Fragen bleiben Xi und Biden jedoch uneins. Anders als in der Ukraine-Frage ist Europa in der China-Frage gespalten. Berlin steuere auf eine konfrontative Außenpolitik gegenüber China zu, während Paris versuche, sich aus dem pazifischen Konflikt herauszuhalten, schreibt der Dr. Politologe Seyed Alireza Mousavi.

18.11.2023
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6 Minuten Lesezeit
Gipfeltreffen in Kalifornien: Steuert die Welt auf einen weiteren Krieg zu?
US-Präsident Joe Biden begrüßt den chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei ihrem Treffen in Kalifornien.© IMAGO / ZUMA Wire / Seyed Alireza Mousavi

Der US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping haben sich bei ihrem Gespräch am Rande des Gipfeltreffens der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) nach langer Funkstille auf eine Wiederaufnahme der Kommunikation zwischen den Streitkräften ihrer Länder geeinigt. Das gab Anlass zur Hoffnung, dass Peking und Washington bereit sind, ihre Spannungen einzuhegen. Zuletzt hatten sich Biden und Xi beim G20-Gipfel im November 2022 auf der indonesischen Insel Bali getroffen. Seitdem hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Dass hochrangige Militärs aus der Volksrepublik und den USA wieder kommunizieren, ist zwar schon ein Schritt zur Deeskalation, aber in den fundamentalen Punkten bleiben Xi und Biden weiterhin zerstritten. Die Weigerung Chinas, während der Ballon-Affäre Anfang des Jahres ein Telefongespräch zwischen den Verteidigungsministern zu führen, zeugte damals von einer neuen Dimension der geopolitischen Rivalität zwischen China und den USA.

Biden stellte erneut klar, dass sich die USA mit der Volksrepublik im Systemwettbewerb befinden. Der US-Präsident bezeichnete in San Francisco Xi abermals als „Diktator“. Xi stört sich an dieser Sichtweise der Beziehungen und plädiert stets für eine multipolare Weltordnung: Der Planet Erde sei groß genug, dass beide Länder erfolgreich sein könnten und der Erfolg des einen auch eine Chance für den anderen sein könne. China und die USA seien unterschiedlich, was ihre Geschichte, Kultur und das Gesellschaftssystem anbelangen, solange sie aber einander respektierten, könnten sie ihre Differenzen überwinden, sagte Xi bei seinem Treffen mit Biden. 

Unterschiedliche Zielsetzungen in Peking und Washington

Der US-Präsident will die Außenpolitik des Ausbaus von Allianzen im Pazifik fortführen. Xi sieht dies vor allem als Versuch einer militärischen Einkreisung Chinas im Südchinesischen Meer. Während Peking versucht, Taiwan die letzten diplomatischen Alliierten abspenstig zu machen, arbeitet Washington in raschem Tempo daran, sein diplomatisches Netz im Südpazifik auszubauen, indem Washington diplomatische Vertretungen auf den Pazifik-Inseln eröffnet. Die USA haben kürzlich eine neue Botschaft in Tonga eröffnet und damit ihre diplomatische Präsenz im Südpazifik verstärkt, um Chinas Machtausbau entgegenzutreten. 


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Bei allen Streitpunkten bleibt Taiwan der zentrale Brennpunkt. Die USA sind derzeit dabei, die abtrünnige Insel gegen die Volksrepublik bis an die Zähne zu bewaffnen. Inmitten wachsender Spannungen zwischen Washington und Peking haben die USA Ende August 80 Millionen US-Dollar an Militärhilfen für Taiwan bereitgestellt. Das Neue an diesem Schritt war, dass die USA erstmals ein spezielles Programm, das Foreign Military Finance (FMF), dafür nutzten. Die 80 Millionen US-Dollar sind kein Kredit. Laut Wang Ting-yu, einem Abgeordneten der taiwanesischen Regierungspartei DPP mit engen Beziehungen zu Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen, sind die 80 Millionen US-Dollar nur die Spitze eines möglicherweise sehr großen Eisbergs. Sie kommen von den US-amerikanischen Steuerzahlern. Zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren verwenden die USA zudem ihr eigenes Geld, um Waffen an einen Ort zu schicken, den sie offiziell nicht anerkennen.

Die dominante Supermacht USA sieht sich zweifellos bedroht von dem wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt der aufstrebenden Großmacht China und ist sich bewusst geworden, welche Risiken es mit sich bringt, wenn eine neue Großmacht mit einer ganz anderen Sicht auf die Welt weltweit an Einfluss gewinnt. Selbst unter den harten US-Sanktionen schreitet China im Technologiewettlauf mit rasender Geschwindigkeit voran. Chinas Soft Power im gesamten globalen Süden nimmt zudem von Tag zu Tag zu. Außerdem organisiert China gemeinsam mit Russland den konzertierten Vorstoß zur Multipolarität.

USA und China ringen um globale Macht

Xi machte aber bei dem Treffen mit Biden keinen Hehl daraus, dass er notfalls bereit wäre, die Taiwanfrage auch mit Gewalt zu lösen.  Ein dritter Konflikt im Südchinesischen Meer – neben Russlands Krieg in der Ukraine und dem neu aufgeflammten Nahostkonflikt würde allerdings die USA sicherheitspolitisch an ihre Grenzen führen. Gemessen daran, dass Xi Jinping das chinesisch-amerikanische-Verhältnis für die wichtigsten bilateralen Beziehungen in der Welt hält, spielten die beiden aktuell größten internationalen Kriege bei seinem Treffen mit Biden in den USA eine geringe Rolle. Das ändert aber nichts daran, dass die Kriege in der Ukraine und Gaza unter anderem im Kontext der Rivalität zwischen den USA und China zu betrachten sind.

Die USA lockten Russland in einen Krieg mit der Ukraine, damit sie die Ressourcen der Russen dort binden und sich dementsprechend ungestört auf China fokussieren können. Außerdem profitieren die USA von der Eskalation in Nahost, da sie damit Chinas zunehmenden Einfluss in der Region eindämmen können. Mit Verärgerung beobachtet der US-Präsident seit längerem, dass Peking an die Seite Moskaus gerückt ist. Bis heute hat Peking den Ukraine-Krieg nicht verurteilt und versorgt darüber hinaus Russland mit Technologie für den militärischen Bereich. Chinas enger Verbündeter, Iran, liefert Moskau Kamikaze-Drohnen zum Einsatz gegen Kiew. 

Uneinigkeit in Europa

Europa ist auf der Führungsebene im Gegensatz zur Ukraine-Frage bei der China-Frage ganz gespalten. Berlin steuert derzeit auf eine konfrontative Außenpolitik gegenüber China zu. Seit dem Ukraine-Krieg bemüht sich aber der französische Präsident Macron, eine europäische Strategie für die geopolitische Zeitenwende zu entwickeln, selbst wenn Berlin sich als treuer Vasall der USA immer querstellt.  Der französische Präsident unterstrich unlängst in einem Interview auf dem Rückflug von seinem jüngsten Staatsbesuch in China, dass Europa seine Abhängigkeit von den USA verringern müsse. Außerdem dürfe sich Europa nicht in die Konfrontation zwischen China und den USA um Taiwan hineinziehen lassen. Im Gespräch mit Politico sagte Macron, das „große Risiko“ für Europa bestehe darin, „in Krisen hineingezogen zu werden, die nicht die unseren sind, was uns daran hindern würde, unsere strategische Autonomie aufzubauen“. Macron betonte mehrfach, dass Europa eine „strategische Autonomie“ anstreben sollte, und das entspricht wiederum der Tradition der unabhängigen Diplomatie in Frankreich. 

Die Bundesregierung hat nach langem Ringen kürzlich eine China-Strategie verabschiedet, bei der das Prinzip des De-Risking im Mittelpunkt steht. In dem Papier heißt es, dass es nicht das Ziel der deutschen China-Strategie sei, sich von China abzukoppeln, aber Berlin wolle kritische Abhängigkeiten künftig vermeiden. Es bleibt aber unklar, was passiert, wenn China und die USA im Südchinesischen Meer weiter eskalieren oder Peking die abtrünnige Insel Taiwan angreift? Die USA würden von Bundesregierung verlangen, dass sie sich an Sanktionen gegen China beteiligen.

Die deutsch-chinesischen Beziehungen sind angespannt

Obwohl der Bundeskanzler Olaf Scholz bisher versucht hat, eine relativ abgewogene Strategie gegen China zu entwickeln, wollen die Grünen in der Koalition und die Oppositionspartei CDU mehr Härte gegen China. Norbert Röttgen, Mitglied des Auswärtigen Ausschuss, schrieb kürzlich in der Welt, dass Europa im Wettbewerb gegen China den USA zur Seite stehen solle: „Arbeitsteilung mit Europa wäre unvermeidlich.“ Röttgen will Deutschlands Außenpolitik den US-Ambitionen anpassen, ohne erstmals deutsche Interessen auf geopolitischer Ebene zu definieren.

Auf mögliche deutsche Sanktionen gegen China würden drastische chinesische Gegensanktionen folgen. Teile der deutschen Volkswirtschaft würde das bis ins Mark treffen. Die Verflechtungen der deutschen Wirtschaft mit China sind sehr groß, etwa in der Autoindustrie. Berlin steckt schon in einem Dilemma, wie es sich angesichts der geopolitischen Spannungen mit Peking positionieren soll, wobei Deutschland derzeit unter den westlichen Sanktionen gegen Russland bezüglich der Energieversorgung leidet und ihm eine Phase der Deindustrialisierung droht. Deutschland liefert Waffen an die Ukraine und leistet Israel bedingungslosen Beistand. Nun steht ein möglicher dritter Krieg am Südchinesischen Meer bevor. Europa und Deutschland stehen am Scheideweg, ob sie ihre Beziehungen zu Eurasien vollständig abbrechen oder ihren transatlantischen Kurs korrigieren wollen.


Zur Person:

Dr. Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler, Carl-Schmitt-Exeget und freier Journalist, spezialisiert auf Geopolitik und lebt in Berlin.