Die Wahrheit über die Sanktionen

Deutschland erhöht Russland-Importe um 38 Prozent
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Moskau/Berlin/New York. – Unmittelbar nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine hatte Bundesaußenministerin Baerbock (Grüne) großspurig als neues Ziel der deutschen Politik ausgegeben, man wolle Russland „ruinieren“. Ein dreiviertel Jahr später ist davon nicht mehr viel übriggeblieben. Von der angestrebten internationalen Isolierung Russlands kann keine Rede sein – aber nicht einmal die selbstauferlegten Handelsbeschränkungen mit Russland konnte Deutschland auch nur annähernd durchhalten. Erstaunlicherweise ist sogar das Gegenteil der Fall: der Wirtschaftsaustausch zwischen Deutschland und Russland nahm in den letzten Monaten nicht etwa ab, sondern zu.

Nur wenige Ländern reduzierten Handel mit Russland

Die New York Times wollte es genauer wissen und beauftragte den Wirtschafts-Think Tank „Observatory of Economic Complexity“ (Beobachtungsstelle für wirtschaftliche Komplexität) mit Recherchen. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Die Analysten fanden nämlich heraus, dass gerade einmal fünf von dreizehn untersuchten Ländern ihren Handel mit Russland reduzierten: das Vereinigte Königreich (-79 Prozent), Schweden (-76) und die USA (-35). Diese Länder verzeichneten einen signifikanten Rückgang ihres Handels mit Russland.

Viele andere Länder weiteten ihre Handelsbeziehungen zu Russland erstaunlicherweise aus, und das nicht zu knapp – trotz einer zur Schau getragenen grimmigen Sanktionspolitik. So hat Belgien – Sitz des NATO-Hauptquartiers und zahlreicher EU-Institutionen! – seine monatlichen Einfuhren aus Russland um unglaubliche 138 Prozent erhöht, die Niederlande um 74 und selbst Deutschland um 38 Prozent.

Russische Rohstoffe nicht ersetzbar

Der Thinktank untersuchte die Exporte nach und Importe aus Russland der 13 wichtigsten Handelspartner Russlands: China, Deutschland, USA, Türkei, Südkorea, Großbritannien, Niederlande, Japan, Indien, Belgien, Spanien, Brasilien und Schweden (in der Reihenfolge des Handelsvolumens). Die monatlichen Handelsströme zwischen den untersuchten Ländern und Russland für den Zeitraum von 2017 bis 2021 wurden dazu mit dem Durchschnitt der Wirtschaftsdaten seit März 2022 verglichen.

Für die Analysten ist klar, wie es zu der eklatanten Diskrepanz zwischen der offiziellen Politik und den realen Handelsbeziehungen kommt: russische Produkte, Roh- und Ausgangsstoffe sind für die Abnehmerländer nicht ersetzbar. Es gibt keine Alternativen. Wörtlich schreiben die Experten: „Die internationalen Automobilhersteller sind nach wie vor von Russland abhängig, wenn es um Palladium und Rhodium geht, die für die Herstellung von Katalysatoren benötigt werden. Französische Kernkraftwerke sind auf russisches Uran angewiesen, und Belgien sieht sich weiterhin in einer Schlüsselrolle im russischen Diamantenhandel.“

Automobilindustrie von Russland abhängig

Anders formuliert: Russland, die Rohstoff-Schatzkammer der Welt, lässt sich nicht umgehen. So entfallen auf Russland 60 Prozent der weltweiten Asbestexporte, 28 Prozent des Roheisens, 26 Prozent der Uran-Brennelemente. Aus Rusland kommen 24 Prozent der Leinsamen-Exporte, 20 Prozent bei Nickel und Weizen und 15 Prozent aller Eisenbahnwaggons. 14 Prozent der Kalidünger, 12 Prozent der Stickstoffdünger und 13 Prozent der anderen Düngemittel werden ebenfalls aus Russland geliefert. Ohne russisches Palladium und Rhodium würde auch die weltweite Automobilindustrie vor erheblichen Schwierigkeiten stehen.

„Für viele Länder ist ein Leben ohne russische Rohstoffe unglaublich schwierig. Vor dem Krieg bestanden mehr als zwei Drittel der russischen Exporte aus Erdöl, Erdgas und den wichtigsten Metallen und Mineralien, die für den Antrieb von Autos, die Beheizung von Häusern und die Versorgung von Fabriken in aller Welt benötigt werden“, berichtete die BBC dazu.

Russische Seite profitiert

Besonders paradox: der Wert der russischen Ausfuhren ist seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine nicht etwa gesunken, sondern gestiegen – selbst in Staaten, die sich aktiv gegen Russland wenden und die Sanktionen der EU am stärksten unterstützt haben. Aber: „Es ist sehr schwierig, ohne russische Ressourcen zu leben“, weiß Sergej Alexander Alexaschenko, früherer stellvertretender Finanzminister Russlands und stellvertretender Gouverneur der russischen Zentralbank. „Es gibt keinen Ersatz.“

Russland seinerseits hat als Reaktion auf die westlichen Sanktionen die Ausfuhr von mehr als 200 Gütern untersagt, darunter Telekommunikations-, Medizin-, Automobil-, Landwirtschafts- und Elektrogeräte sowie Holzprodukte. Infolgedessen ging zum Beispiel das deutsche Handelsvolumen mit Russland um drei Prozent zurück. Aber: das Minus liegt zum weitaus überwiegenden Teil auf der deutschen Seite, während die russische Seite profitierte – die deutschen Warenexporte nach Russland gingen um 51 Prozent zurück, während die deutschen Einfuhren aus Russland gleichzeitig um beachtliche 38 Prozent nach oben gingen.

Chemische Industrie ebenfalls von Russland abhängig

Besonders wichtig sind die Einfuhren aus Russland für die deutsche Automobilindustrie, das Rückgrat des Industriestandorts Deutschland: „Ein durchschnittliches deutsches Auto im Wert von 50.000 Euro enthält etwa 500 Euro russische Wertschöpfung, davon 150 Euro russische Energieprodukte und 350 Euro andere Produkte“, bilanzieren die Analysten. Auch die chemische Industrie ist extrem von russischen Produkten abhängig.

Die russische Führung hat angesichts der Entwicklung Grund zur Zufriedenheit. Auch im Kreml ist nicht verborgen geblieben, dass die westlichen Sanktionen zum Gutteil ins Leere gelaufen sind. „Nichts ist zusammengebrochen“, resümierte Kremlchef Putin. Die Grundlagen der russischen Wirtschaft und der Russischen Föderation haben sich als viel stärker erwiesen als irgendjemand, vielleicht sogar wir, gedacht hatten.“ Die westlichen Länder hätten „sich zum Ziel gesetzt, die russische Wirtschaft zum Einsturz zu bringen, haben dieses Ziel aber nicht erreicht“.

Noch gibt sich der Westen unbelehrbar. Die EU bereitet gerade ihr neuntes (!) Sanktionspaket vor, das nunmehr auch Beschränkungen im Energiesektor vorsieht und die Zusammenarbeit mit Russland im Nuklear- und Brennstoffbereich verbietet. Auch die USA haben – neben zahlreichen Sanktionen gegen Einzelpersonen – alle russischen Öl- und Gasimporte verboten. Weitere Importverbote sind im Gespräch. Man muss kein Prophet sein, um die Prognose zu wagen, dass sich der Westen auch damit in erster Linie selbst ins Knie schießen wird.