Die transatlantischen Gräben werden tiefer

Europäer äußern Unmut über Washington
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Die transatlantischen Gräben werden tiefer

Symbolbild: EU und USA / Bild: flickr CC BY 2.0 (Bild zugeschnitten)

Europäer äußern Unmut über Washington

Brüssel/Washington. – Neun Monate nach Kriegsbeginn in der Ukraine ist ein Ende des Konflikts nicht abzusehen – und noch weniger ist erkennbar, dass Russland am Ende seiner Möglichkeiten ist. Dabei zielen die westlichen Sanktionen ausdrücklich darauf ab, Russlands Wirtschaft zu „ruinieren“, wie es Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Februar formulierte.

Doch nichts davon ist in Sicht. Im Gegenteil: die Sanktionen haben bislang überwiegend dem Westen geschadet, indem sie die Energiepreise und die Inflation nach oben getrieben haben – während die USA die lachenden Dritten sind: die amerikanische Rüstungsindustrie profitiert glänzend vom Krieg in Europa und von der drohenden Energieknappheit in der EU. Gas und Öl, das die Europäer nicht mehr aus Russland beziehen, verkaufen ihnen US-Firmen nun zu deutlich höheren Preisen.

Unmut in Europa wächst

Nun beginnt sich auch unter den geduldigsten Europäern Unmut über die Rolle Washingtons breitzumachen. Die Kritik am transatlantischen Partner wird lauter. Das renommierte US-Magazin Politico hat sich in Brüssel umgehört und dieser Tage ein Stimmungsbild zusammengetragen. Es lässt eine wachsende Kluft zwischen Europäern und Amerikanern erkennen. „Tatsache ist, dass das Land, das nüchtern betrachtet am meisten von diesem Krieg profitiert, die USA sind, weil sie mehr Gas und zu höheren Preisen verkaufen und weil sie mehr Waffen verkaufen“, zitiert Politico einen hochrangigen EU-Beamten, der nicht namentlich genannt werden möchte.

Und weiter: „Wir befinden uns wirklich an einem historischen Wendepunkt“ – die doppelte Auswirkung von Handelsunterbrechungen durch US-Subventionen und die hohen Energiepreise könnte dazu führen, dass sich die öffentliche Meinung sowohl gegen die Kriegsanstrengungen als auch gegen das transatlantische Bündnis wenden könnte. „Amerika muss erkennen, dass sich die öffentliche Meinung in vielen EU-Ländern ändert“, warnt der EU-Funktionär.

USA beschuldigen Russland und Putin

Solche Äußerungen sind in der EU inzwischen keine Einzelstimmen mehr. Kein geringerer als EU-Außenkommissar Josep Borrell forderte Washington unumwunden auf, auf europäische Bedenken zu reagieren. „Amerikaner – unsere Freunde – treffen Entscheidungen, die wirtschaftliche Auswirkungen auf uns haben“, kritisierte er in einem Interview, das Politico mit ihm führte.

Aber in Washington stößt solche Kritik auf taube Ohren und wird brüsk zurückgewiesen. „Der Anstieg der Gaspreise in Europa wird durch Putins Invasion in der Ukraine und Putins Energiekrieg gegen Europa verursacht, Punkt“, erklärte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates von US-Präsident Biden. Das ist zwar sachlich falsch, weil an der Preisexplosion nicht Putin und der Krieg in der Ukraine schuld sind, sondern die eigene Entscheidung der Europäer, sich vom preiswerten russischen Gas abzukoppeln. Aber der brüske Ton aus Washington kommt in Europa nicht gut an – zumal offenkundig ist, dass die USA von der Notlage der Europäer in beinahe unverschämter Weise profitieren: der Preis, den die EU-Länder für Gas aus den USA zahlen, ist fast viermal so hoch wie die Kraftstoffkosten in den USA.

Harsche Kritik seitens Breton

Bei einigen Brüsseler Spitzenfunktionären, aber auch anderen EU-Politikern scheint jetzt die Schmerzgrenze erreicht. Der französische Präsident Emmanuel Macron äußerte sich noch sehr zurückhaltend, als er sagte, die hohen US-Gaspreise seien nicht „freundlich“. Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) forderte Washington auf, mehr „Solidarität“ zu zeigen und zur Senkung der Energiekosten beizutragen. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton war weniger zurückhaltend. Ende November erklärte er im französischen Fernsehen: „Die Vereinigten Staaten verkaufen uns ihr Gas mit einem vierfachen Multiplikatoreffekt, wenn es den Atlantik überquert.“ Natürlich seien die Amerikaner unsere Verbündeten (…), aber wenn etwas schief geht, ist es notwendig, es auch zwischen Verbündeten zu sagen.“

Für besondere Verstimmung sorgt diesseits des Atlantiks, dass die billigere Energie für US-Unternehmen ein enormer Wettbewerbsvorteil ist. Immer mehr Unternehmen planen neue Investitionen in den USA oder verlagern ihre Niederlassungen von Europa in die USA. Erst kürzlich gab der multinationale Chemiekonzern Solvay bekannt, dass er die USA gegenüber Europa für neue Investitionen vorziehe – eine unter vielen ähnlichlautenden Ankündigungen wichtiger EU-Industriegiganten.

Bündnis mit USA wird infrage gestellt

In Brüssel werden zunehmend Zweifel am großen US-Partner laut laut: „Ist Washington immer noch unser Verbündeter oder nicht?“ fragte ein hoher EU-Diplomat unverblümt, der nicht genannt werden will. Ein anderer, nicht weniger gravierender Streitpunkt zwischen Europäern und Amerikanern betrifft Rüstungsfragen im Zusammenhang mit der westlichen Ukraine-Unterstützung. Die USA sind bei weitem der größte Lieferant von Militärhilfe für die Ukraine und haben seit Kriegsbeginn Waffen und Ausrüstung im Wert von mehr als 15,2 Milliarden Dollar geliefert.

Aber der Clou ist: die US-Waffen sind nur geleast. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Washington und Kiew ist der „Lend and Lease Act 2022“. Er entspricht einer ähnlichen Vereinbarung, die die USA im Jahr 1941 mit Großbritannien und der Sowjetunion abgeschlossen hatten. Demnach werden Kriegsgerät, Ausrüstung und Kraftstoff von der US-Regierung an den Partner nur verliehen oder verpachtet und müssten nach dem Krieg zurückgeführt werden. Weil Kriegsgerät aber meist beschädigt oder zerstört wird, haben die Waffen nach Kriegsende oft nur noch Schrottwert. Washington hat deshalb großes Interesse daran, dass die Ukraine ihre Leasing-Verträge pünktlich erfüllen kann.

Und dafür sollen die Europäer aufkommen. Washington zeigt auch keinerlei Zurückhaltung, wenn es darum geht, Druck auf die EU auszuüben, damit diese die benötigten Geldmittel so schnell als möglich an die Kiewer Regierung überweist. Konkret geht es um rund 3,5 Milliarden Euro – monatlich. Diese Summe nannte der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal im September dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel.

Krieg wird zu immer größerer Belastung

Vertreter der US-Regierung unterstützten die ukrainische Position diskret und ließen die EU wissen, es wäre besser, das Geld als nicht rückzahlbare Zuschüsse zu gewähren und nicht als Darlehen. Brüssel solle am besten gleich einen dauerhaften Mechanismus einrichten, über den automatisch monatlich Geld in das ukrainische Budget fließen könnte.

Unter dem Strich wird der Krieg in der Ukraine für die Europäer zu einer immer größeren Belastung: er bedroht ihre Energieversorgung, kostet sie immer gigantischere Geldsummen – und beeinträchtigt längst auch ihre Verteidigungsfähigkeit, weil erhebliche Kontingente an europäischen Rüstungsgütern inzwischen an die Ukraine geliefert wurden.

In Brüssel und anderen EU-Hauptstädten beginnt jetzt die Einsicht zu wachsen, dass Washington ein Teil des Problems ist. Die Vorbehalte werden größer – während der US-Hegemon keinerlei Entgegenkommen signalisiert. Für die transatlantischen Beziehungen ist das Gift. Zumal den Europäern mit Einbruch der kalten Jahreszeit das Wasser bis zum Hals steht. Sollte Kremlchef Putin auf Risse im transatlantischen Bündnis spekuliert haben, könnte seine Rechnung bald aufgehen.

Über den Autor

Hagen Eichberger

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