Was die zukünftige AfD-Delegation in Brüssel umsetzen muss

Nach zwei Wochenenden, etlichen Vorstellungsreden und Abstimmungen umfasst die AfD-Kandidatenliste zur Europawahl 35 Parteimitglieder, die von Dr. Maximilian Krah als Spitzenkandidat angeführt wird. In seinem Kommentar für FREILICH erklärt Marvin Mergard, was die AfD-Delegation künftig in Brüssel umsetzen muss, um das notwendige Korrektiv sein zu können, das die europäische Rechte braucht.

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13.8.2023
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Was die zukünftige AfD-Delegation in Brüssel umsetzen muss
© IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Krah machte bereits im Vorfeld der Kandidatenaufstellung keinen Hehl daraus, dass er den Erfolg der AfD nicht in einer Mäßigung und Annäherung an das Establishment sieht, sondern in einer klaren Abgrenzung vom politisch-medialen Mainstream. Die seit Jahresbeginn stetig steigenden Umfragewerte seien ein eindeutiger Beleg für diese These, die bemerkenswert sei, da viele rechte Parteien in Europa genau das Gegenteil praktizierten und auf den ersten Blick erfolgreicher zu sein scheinen.

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Giorgia Meloni (FdI) in Italien, die mit einem fulminanten Wahlsieg die formell rechteste Regierung Italiens seit Jahrzehnten anführt. Man könnte meinen, dass mit diesem quantitativen Sieg und der politischen Machtübernahme auch eine Wende in der italienischen Politik, insbesondere in der Migrationspolitik, verbunden sein müsste. Doch wer die klägliche Migrationspolitik des südeuropäischen Landes verfolgt, wird von einer „Festung Europa“ nichts bemerken.

Der klassische Liberale oder Nationalkonservative, der die Nähe zum Establishment sucht, scheitert nicht an der politischen Macht, er scheitert aber an der Verwirklichung seiner zuvor gesteckten Ziele. Die wahre Macht läge darin, seine politischen Interessen ohne Anbiederung und ohne Zugeständnisse in existenziellen Fragen zu verfolgen. Für die Rechte muss es in erster Linie darum gehen, die Massenmigration zu stoppen und dann eine umfassende Remigration einzuleiten.

Insofern ist es bemerkens- und begrüßenswert, dass die AfD einen Kandidaten aufstellt, der sich explizit von dieser Tendenz in Teilen der europäischen Rechten abgrenzt, ohne dabei den Kontakt zu den bisherigen und möglichen künftigen Partnern zu verlieren – im Gegenteil.

Die AfD hat auf ihrem Parteitag mehrfach deutlich gemacht, dass sie an der Seite all jener Kräfte stehen will, die an einem neuen Europa arbeiten wollen: Das Europa der europäischen Nationen.

Die Umfragewerte deuten auf einen deutlichen Zugewinn bei der Europawahl 2024 hin und die Kandidaten, die dann aller Voraussicht nach die AfD-Delegation im Europaparlament bilden werden, zeigen eine neue, selbstbewusste AfD. Diese Abgeordneten werden eine wichtige Rolle in der zukünftigen europäischen Rechten spielen und daher ist es wichtig zu skizzieren, welche Kernanliegen für diese AfD-Politiker von entscheidender Bedeutung sein werden.

1. Konkretisierung des „Bundes europäischer Nationen“

Die Delegierten der AfD haben mit ihren programmatischen Abstimmungen und Redebeiträgen deutlich gemacht, dass sich die Europäische Union in einer Sackgasse befindet. Es bedarf eines Neustarts, der aber als gemeinschaftlicher Neustart verstanden werden muss und nicht in nationalen Sonderwegen („Dexit“) enden darf.

Auf dem letzten Bundesparteitag und der Europawahlversammlung sind drei Begriffe besonders häufig gefallen: „Europa der Vaterländer“, „Festung Europa“ und „Bund europäischer Nationen“.

Die erste Europakonzeption betont häufig die Vormachtstellung der einzelnen Staaten und impliziert oft die Abkehr von europäischer Zusammenarbeit, die über wirtschaftliche Beziehungen hinausgeht. Wenn dies jedoch zu einer generellen Ablehnung europäischer Politik führe, sei dieses Konzept abzulehnen.

Krah wies zu Recht darauf hin, dass es Politikbereiche gebe, in denen eine europäische Zusammenarbeit notwendig sei, die nicht allein auf bilateraler Kooperation zwischen einzelnen Staaten beruhen könne.

Ein gutes Beispiel ist die Steuerung der Migration: Massenmigration und die damit verbundene Überfremdung sind keine rein nationalen, sondern europäische Probleme. Sie erfordern gemeinsame Anstrengungen, gemeinsame finanzielle Mittel und einen gemeinsamen Selbstbehauptungswillen der europäischen Völker und Nationen. Deshalb ist das Schlagwort „Festung Europa“ die richtige Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Sind wir Europäer in der Lage, unseren ethnisch-kulturellen Fortbestand und unser soziales Gefüge zu schützen? Haben wir eine Zukunft in einem europäischen und nicht in einem multiethnischen Europa?

Das letzte Schlagwort, der „Bund europäischer Nationen“, wurde von der AfD als Reaktion auf die vermeintliche Europafeindlichkeit verwendet und versteht sich als konstruktive Leitidee gegen einen zu kurz gedachten Dexit (auch wenn die AfD den Dexit bisher nicht als Kernforderung, sondern als ultima ratio in ihr Programm aufgenommen hat).

Sowohl die AfD als Partei als auch die mit ihr verbundene Delegation in Brüssel müssen diesen Begriff weiter mit Leben füllen. Wie soll dieses Bündnis konkret aussehen? Nach derzeitiger Lesart scheint die AfD verstanden zu haben, dass dieses Bündnis die Zusammenarbeit der Europäer als eigenständiger Pol innerhalb einer multipolaren Weltordnung sein soll. Aber wie viel außenpolitisches Programm verbirgt sich dahinter? Können wir Europäer zwischen den USA und Russland und neben aufstrebenden Staaten wie Indien eine gemeinsame Position einnehmen und diese geschlossen formulieren?

2. Identität und Demokratie – und noch weitere?

Nachdem die AfD ihr Beitrittsgesuch zur europäischen Partei „Identität und Demokratie“ verkündet hat, merkte Krah an, dass es zukünftig eine „ID-plus“ bräuchte, also nicht nur eine Stärkung der ID (als Partei sowie als Fraktion), sondern eine Erweiterung um weitere nahestehende Partner.

Bisher sei es der ID nur sehr schwer gelungen, Partner für sich zu gewinnen, wie z.B. ein Blick auf die Mitgliederliste der Fraktion zeige. Nur acht verschiedene Staaten entsenden Delegationen in die gemeinsame Fraktion, während die konkurrierende Rechtsfraktion „Europäische Konservative und Reformer“ Delegationen aus 16 verschiedenen Staaten vereint.

Wenn die AfD als vielleicht stärkste oder zweitstärkste Delegation die ID (mit)führen wird, kann sie sich dieser Aufgabe nicht verschließen. Es müssen weitere Gleichgesinnte gefunden werden, die aus der wackeligen ID eine gefestigte Gemeinschaft machen. Dabei sollte der Blick nicht nur auf die bisherigen Rechtsparteien gerichtet werden, sondern insbesondere auf mögliche Neuzugänge. Ein Beispiel hierfür ist die bulgarische „Wasraschdane“ (dt. „Wiedergeburt“), die derzeit nicht im Europaparlament vertreten ist, aber auf nationaler Ebene innerhalb weniger Jahre bereits beachtliche Wahlerfolge erzielen konnte. Der Parteivorsitzende Kostadin Kostadinov hielt auf dem letzten Bundesparteitag eine empfehlenswerte Rede vor den Delegierten der AfD, die deutlich machte, dass die Chancen für neue ideologisch nahestehende Partner gut stehen.

3. Die Intellektualisierung der europäischen Rechten

Die AfD zeichnet sich nicht nur durch eine programmatische Abgrenzung vom Establishment aus, sie ist auch eine der am deutlichsten vom rechtsintellektuellen Diskurs beeinflussten Parteien Europas. Auch hierfür steht Maximilian Krah als personifiziertes Beispiel. Er ist regelmäßiger Gast bei Veranstaltungen oder im Schnellroda-Podcast, kennt diverse Autoren der Konservativen Revolution und der Neuen Rechten und macht auf dieser ideologischen Grundlage Politik. Während andere Politiker ihrem Bauchgefühl folgen oder ihre politischen Ansichten rein reaktiv auf die Versäumnisse der aktuellen Politik zu bilden scheinen, ist dies bei Krah nicht der Fall – und nicht nur bei ihm.

Seine Partei und auch viele seiner Parteifreunde, die es auf die vorderen Plätze der Europaliste geschafft haben, zeichnen sich durch eine fundierte Weltanschauung und politische Bildung aus.

Der Einfluss rechtsintellektueller Schriften und Akteure zeigt sich nicht zuletzt in dem bereits erwähnten Schlagwort „Festung Europa“. Auch die nicht selten zitierten Bezüge zum politischen Vorfeld zeugen davon, dass sich die AfD zu einer Partei entwickelt hat, die mehr zu bieten hat als die Radikalität des Wortes in Form von Pöbeleien und Provokationen um ihrer selbst willen. Die AfD muss zum Subjekt der Politik werden, d.h. sie muss eigene Konzepte entwickeln oder bereits tragfähige Konzepte weitertragen, wenn sie nicht zum Objekt des Parteien- und Medienkartells werden will.

Es gibt nur wenige Länder in Europa, in denen der Einfluss von Akteuren aus dem vorpolitischen Raum auf die jeweils etablierte Rechtspartei so unmittelbar erkennbar ist. Gerade deshalb ist es für die AfD-Delegation wichtig, Konzepte und Ideen in die ID-Fraktion, aber auch in die europäische Rechte insgesamt einzubringen. Nur auf dieser ideologischen Grundlage wird es möglich sein, künftige Fehlentwicklungen wie die der aktuellen italienischen Regierung unter Giorgia Meloni zu verhindern.

Die künftige AfD-Delegation wird beweisen müssen, dass sie das notwendige Korrektiv sein kann, das die europäische Rechte braucht. Aber die Mannschaft, die sich hinter dem Spitzenkandidaten Krah versammelt hat, stimmt mich optimistischer denn je.


Zur Person:

Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.