SPÖ-Parteitag: Showdown der Außenseiter

Am 3. Juni findet in Linz der außerordentliche SPÖ-Parteitag statt. In seinem Beitrag für FREILICH kommentiert Gert Bachmann das Ereignis, bei dem eine tatsächliche personelle Weichenstellung vorgenommen wird.

Kommentar von
2.6.2023
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SPÖ-Parteitag: Showdown der Außenseiter
Gert Bachmann

Österreichs politische Landschaft fiebert einem seltenen Ereignis entgegen. Einem Parteitag, dessen Spannung nicht in der Frage liegt, ob der favorisierte Kandidat die 90-, 80- oder 70-Prozent-Grenze unterschreitet, sondern ein Parteitag, wo eine tatsächliche personelle Weichenstellung vorgenommen wird. In der Geschichte der Parteitage ein rares Vergnügen. Während in den Vereinigten Staaten nach einem monatelangen Ringen, Catchen und Schlammwerfen in Form von Primary und Caucus ein definitiver Sieger feststeht, hinter dem sich die Partei vereint, ist die Sache in der beschaulichen Alten Welt einen Tick komplizierter.

Showdowns am Parteitag finden für gewöhnlich dann statt, wenn es zu keiner Einigung im Zuge des Dealens, der Abtäusche wie der Sideletters gekommen ist. Nunmehr findet ein umkämpfter Parteitag statt, nachdem die Basis nach wochenlangem Hauen, Stechen und Anschwärzen ihre Entscheidung getroffen hat. Im amerikanischen System gäbe es einen knappen Sieger und die Sache hätte sich. Doch in Österreich folgt dieses Prozedere nach dem Prinzip des Kaisers Ferdinand dem Gütigen angesichts der ersten 48er-Revolutionäre vor der Hofburg: „Ja dürfens denn das?“

Damit durchbricht die „konservativste“ Partei Österreichs alle Gepflogenheiten wie Gewöhnungen. Ganz dem ureigenen Trieb des Umsturzes wie der Revolution folgend. Zuerst wurde die Neutralisierung der Basis aufgehoben. In weiterer Folge die Parteitagsregie. Mehr Umsturz und Rebellion geht nicht, möchte man meinen. Doch dann besaß die Basis die Frechheit ein Duell zwischen den Außenseitern im Finale herbeizuführen.

Ein Umstand, der im Zuge der Debatten über Umfragen, Stabilität und Kontinuität unterzugehen droht. Was nicht zufällig dem „offiziellen“ Narrativ entspricht. Wer möchte schon, dass dieses Virus der direkten Demokratie und der knappen Entscheidungsfindung Einzug in die Gegebenheiten der österreichischen Innenpolitik findet.

Nun kommt es nicht nur zum Duell zwischen zwei „echten“ Alternativen. Es kommt zum Duell zwischen zwei Außenseitern. Um im Jargon des sportlichen Wettkampfes zu bleiben, tritt auf der einen Seite die Personifikation des rechten Parteiflügels gegen den Repräsentanten des linken Parteiflügels an. Um den Ausgang der ersten Runde besser zu verstehen, was tunlichst vermieden wurde, muss die Sehnsucht sowohl der einen Seite als auch der anderen Seite verstanden werden. Dies ungeachtet der taktischen Schachzüge, welche notgedrungen in den nächsten Wochen bis Monaten dominieren werden.

Zunächst hat Babler seinen 50-Meter-Vorsprung im 100-MeterlLauf eingebüßt. Zuerst stolperte er über den Marxismus und in weiterer Folge über die Europäische Union. Sein Sager im Jahre 2020, dass die EU ein aggressives, militärisches Bündnis sei, welches schlimmere Folgen zeitige als die NATO, würden ebenso viele Parteilinke wie Rechtspopulisten unterstreichen. Doch am Parteitag, wo er auf die Stimmen des Establishments angewiesen ist, um Doskozil zu schlagen, verschlechtern sich dadurch seine Chancen.

Dies mag paradox erscheinen. Jedoch haben Nationalisten und Kommunisten bereits im Jahre 1954 gemeinsam in der französischen Nationalversammlung die Europäische Verteidigungsunion verhindert. Was zur Folge hatte, dass Westdeutschland im Jahr darauf der NATO beigetreten ist. Andererseits darf man die Skepsis gegenüber Bestrebungen zu einer Militarisierung der EU nicht unterschätzen. Immerhin hatte bei der übertragenen Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im österreichischen Nationalrat die Hälfte des SPÖ-Klubs Bauchweh, Kopfschmerzen, Geburtstag oder andere Formen der Unpässlichkeit, wie sie in der Schule bei Klausuren auftreten.

Bobo versus Probo

Die EU als Vaterlands- wie Religionsersatz erfreut sich zwar in konservativen wie grünen Kreisen großer Beliebtheit, ebenso wie der Klimawandel. Aber bei der Linken endet die postmoderne Frömmigkeit bei der Höhe der Stromrechnung. Klimawandel als Opium für die Massen scheitert bei der Stromabschaltung als Konzept. Von diesem Punkt an gehen Bourgeois Bohemien und Proletaire Bohemien getrennte Wege. Bobos versus Probos.

Doch die Logik von Parteitagen folgt eigenen Gesetzen. Den Gesetzen, welchen auch Kaninchenzüchter- oder Sparvereine unterworfen sind. Der Parteitag der SPÖ zählt 609 stimmberechtigte Mitglieder. Delegierte gleichem einem Kieselstein in einem Bachbett. Auf der Ebene der Ortsgruppe noch recht ungeschliffen und kantig, nimmt die Glätte mit Erreichen des Ausflusses hin zu. Über Bezirks- und Landesebene bis hin zur Bundesebene ist das Vorhandensein von querulatorischen und widerspenstigen Charakteren nahezu ausgeschlossen.

Dies gilt für sämtliche Parteien. Um sich gegen böse Überraschungen, also Überraschungen sui generis, zu wappnen, kann auf verschiedene Formen der „Superdelegierten“ zurückgegriffen werden. Bei der Demokratischen Partei in den USA dienen diese als Korrektiv zum Verhältniswahlrecht in den Vorwahlen. „Verdiente“ Parteigrößen sind nicht an die Ergebnisse der einzelnen Bundesstaaten gebunden und können somit Bernie Sanders oder Bobby Kennedy juniors verhindern.

Während die Freiheitlichen sich bei den Superdelegierten auf die Abgeordneten des Wiener Landtages stützen und bei den übrigen Delegiertenzahlen auf die Anzahl der Parteimitglieder setzen, folgt die Volkspartei einem sehr liberalen Ansatz der Inklusion. Wer sich schwarzen Senioren, Jugend, Bauern, Wirtschaft, Goldhaubenfrauen etc. zugeordnet fühlt, ist nolens volens und manchmal auch unwissentlich Mitglied der ÖVP. Wer den Erlagschein für die Volkstanzgruppe ausfüllt oder beim Raiffeisensparverein einzahlt, kann ungewollt den Delegiertenschlüssel von ÖVP-Parteitagen indirekt beeinflussen. So zählte die niederösterreichische Volkspartei mehr Mitglieder als Wähler bei Nationalratswahlen in den 90er-Jahren zu Jörg Haiders Zeiten.

Dominanz der Superdelegierten

Das Verhältnis bei der SPÖ ist zugunsten der Superdelegierten ausgelegt. Von der Wiener Partei abwärts bis zur Vorarlberger „Ortsgruppe“ sind 380 Landes- und Bezirksdelegierte am Werke. Von Wien mit 96 über Nieder- und Oberösterreich mit 84 beziehungsweise 64 Delegierten bis hin zur Steiermark mit 51 und Vorarlberg mit fünf Abgesandten. Burgenland und Kärnten halten sich die Waage mit 28 und 27 Delegierten, während der Westen mit Salzburg, 13, und Tirol, elf, nicht an der Spitze steht.

Je weiter nach Westen, umso geringer der Einflussbereich. Burgenland und Kärnten mit Landeshauptleuten knapp unterhalb 50 oder 40 Prozent sind unterhalb von Ober-, Niederösterreich und Steiermark zwischen 30 und 20 Prozent. Size matters.

Zur Auffüllung der 609 Delegierten, die sich aus dem üblichen Elektorat von Gemeinde-, Bezirks- und Landesfunktionären zusammensetzen, treten 229 Abgesandte als Superdelegierte. Was bislang nicht aufgefallen ist, demonstriert die Ausnahmesituation. 54 Delegierte des Vorstandes, 50 der Gewerkschaften, 30 der Frauen, 20 der Jugend. Hinzu kommen Kontrollkommission, Freiheitskämpfer, Diverse und Erneuerbare Energie.

Unter „normalen“ Umständen würde dies eine Kampfabstimmung zwischen Doskozil und Babler bedeuten. Aber nachdem Bablers Aussagen bezüglich der EU prominent öffentlich wurden – die Aussagen über den Marxismus spielen eine untergeordnete Rolle – könnte sich das Establishment via Superdelegierter und Wien „ungewollt“ Richtung Doskozil neigen. Zusammen mit den Fraktionen aus den Bundesländern die sich „gewollt“ Richtung Doskozil neigen.

Was man nicht unter den Tisch kehren sollte, ist, dass von 609 Delegierten 380 regulär via Bezirke und Länder ausgewählt werden und 229 Superdelegierte sind. Im Sinne der österreichischen Parteitagsdemokratie.

Verbleibt der SPÖ-Nationalratsklub als Joker innerhalb des Poker, rund um den Parteivorsitz. Der Stellvertreter Jörg Leichtfried rechnet sich gute Möglichkeiten aus an der Spitze zu verweilen. Dies ob der Geschäftsordnung des Parlaments. Wonach die Mitglieder des Klubs über den Vorsitzenden des Klubs entscheiden. Jedoch entscheiden die Mitglieder des Klubs gemäß den persönlichen Chancen der Aufstellung durch die Länder. Somit ist dieses Rennen wieder Bestandteil des Pokers.


Zur Person:

Gert Bachmann, 42-jähriger Historiker mit Interesse an Geo- und Sicherheitspolitik. Trotz Studiums in Wien hat ihn die Heimatstadt Villach nie losgelassen. Das Herz des dreifachen Vaters und ehemaligen FPÖ-Landesparteisekretärs von Oberösterreich schlägt für ein freiheitliches Österreich und ein vitales, freies Europa der Vaterländer.

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