Hans-Thomas Tillschneider (AfD)

„Nord-Stream war Ausdruck deutscher Souveränität!“

Mit seinem Kommentar führt der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider die Debatte mit seinem Parteikollegen Norbert Kleinwächter weiter und wirft diesem vor, die AfD als eine vasallige Giorgia-Meloni-Rechtspartei und Deutschland als Hilfssheriff des Weltpolizisten USA zu wollen.

Kommentar von
16.3.2023
/
6 Minuten Lesezeit
„Nord-Stream war Ausdruck deutscher Souveränität!“
Hans-Thomas Tillschneider© Metropolico

Schritt 1: Norbert Kleinwächter erklärt in einem Video die AfD zur Partei der westlichen Werte und fordert trotz der Sprengung der Ostseepipelines, am Bündnis mit den USA festzuhalten.

Schritt 2: Ich gebe ihm zurück, die AfD sei nicht die Partei der westlichen Werte, sondern der deutschen Souveränität.

Schritt 3: Kleinwächter flüchtet sich zur Behauptung, „nationale Souveränität“ sei ein „westlicher“, mithin auch US-amerikanischer Wert, weshalb wir zur Durchsetzung unserer nationalen Souveränität das Bündnis mit den USA bräuchten.

Da steht die Debatte jetzt, und da machen wir weiter.

US-amerikanischer Widerstand gegen Nord-Stream-Pipelines

Sicherlich, die Idee der nationalen Souveränität ist in einem Kontext „westlichen“ Denkens aufgekeimt. Hier sind die Philosophen, die Kleinwächter erwähnt hat, recht am Platz. Es waren die Franzosen und Engländer, die den Nationalstaat vor uns Deutschen gedacht haben, wie sie ja auch vor uns zu Nationalstaaten geworden sind. Schön und artig fasst Kleinwächter den Zusammenhang von Nationalstaat, Demokratie und Souveränität zusammen, wenn er sagt:

 „Ohne Nation und ohne Volk gibt es keine Souveränität, keine Ordnung, keine Freiheit und auch keine Werte. Demokratie benötigt diesen stabilen Ordnungsrahmen. Sie ist, genau genommen, kein Wert an sich, sondern ein modus operandi der Souveränitätsausübung, der dem Freiheitsgedanken in besonderem Maße Rechnung trägt: Souverän ist eben nicht ein König, Präsident oder Diktator. Die Macht geht vom Volke aus, das in freier Willensbildung Macht überträgt.“

Bravo! Nur leider übersieht Kleinwächter bei seinem Lob der Souveränität, dass der schärfste Widerstand gegen die deutsche Souveränitätsausübung von den USA ausgeht. Oder wie sollen wir die Sprengung der Ostseepipelines anders interpretieren?

Das Nord-Stream-Projekt lag im nationalen deutschen Interesse. Es hätte uns jahrzehntelang Wohlstand und Energiesicherheit beschert. Die Verträge waren ausgewogen und deshalb war die freie Entscheidung dafür aus deutscher Sicht richtig. Es war der frei gebildete, demokratische Wille des deutschen Volkes, dieses Geschäft mit den Russen abzuschließen. Nord Stream war der vitalste Ausdruck deutscher Souveränität. Die USA wiederum haben mit der Sprengung der Pipelines eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht, was sie davon halten.

Was nützt es da noch, wenn, wie Kleinwächter mit ermüdendem Aufwand zu zeigen meint, der Begriff der nationalen Souveränität auf einem geistigen Fundament gewachsen sein soll, das wir mit den USA teilen würden?

Abgesehen davon stehen wir auch kulturell den USA ferner, als es uns die pro-amerikanische Propaganda der letzten Jahrzehnte glauben machen will. Die USA haben einen anderen Begriff von Volkssouveränität. Ihr Staatsvolk stellt eben kein historisch gewachsenes Volk dar.

Bauernsöhne mit zu wenig Erbteil, Verbrecher auf der Flucht, entlassene Söldner, Glücksritter und Gescheiterte jeder Couleur und aus aller Herren Länder – sie wurden in den USA verschmolzen, ein durch Einwanderung gebildetes, ein Einwanderungsland par excellence. Deutschland aber ist bekanntlich kein Einwanderungsland, sondern ein historisch gewachsener Nationalstaat, und zwar erst recht, wenn es nach der AfD-Programmatik geht.

USA als Blaupause für den Weltstaat

Ein Russland, das russisch sein will und nicht nur seine Souveränität, sondern auch seine Identität verteidigen will, steht einem Deutschland, das deutsch sein will, kulturell näher als die USA, für die unser europäisches Verständnis von nationaler Identität ein Fremdwort ist. Der Melting Pot USA ist die Blaupause für den Weltstaat, in dem alle Kulturen und Nationen aufgehoben sind. Die Werte der USA sind letztlich globalistische Werte, weshalb es nur konsequent ist, dass der Globalismus, den wir bekämpfen, von dort her seinen Ausgang nimmt.

Auch wenn es dem Westler (Западник) Kleinwächter nicht gefällt: In ihrer Bodenständigkeit, in ihrer christlich-abendländischen Verwurzelung und wegen der vielfältigen historisch-geographischen Berührungspunkte zwischen Deutschland und Russland stehen uns Deutschen die Russen auch und gerade kulturell ungleich näher als die Pioniere des Wilden Westens.


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Die Hoffnung der Entwurzelten auf den Neuanfang, das ganz große Tabula-rasa-Machen und anything goes, das sind die USA. Aus diesem uns Europäern zutiefst fremden Geist ist eine nachhaltige Dynamik hervorgegangen, die aus den USA aktuell die einzige Weltmacht und damit zugleich das größte Hindernis deutscher Souveränitätsausübung gemacht hat.

Und jetzt genug mit diesem Geplänkel! Das alles ist nämlich für unsere eigentliche Frage so gut wie nicht relevant. Kulturelle Nähe oder Ferne hin oder her, europäische Staatsphilosophie hin oder her: Angesichts der Sprengung der Pipelines und angesichts der Steine, die uns die USA in den Jahren davor schon – auch unter Trump! – in den Weg gelegt haben, grenzt es an politische Irreführung, hier über kulturell-geistige Affinitäten zu plaudern.

Es geht auch nicht um Modernismus gegen Postmodernismus. Es geht darum, dass die USA um jeden Preis verhindern wollen, dass auf dem eurasischen Kontinent durch eine intensive Zusammenarbeit von Deutschland und Russland eine Macht entsteht, die ihre eigene Weltmacht einschränken könnte. Das ist der Rahmen des Spiels.

Kleinwächter will transformierte EU am Rockzipfel der USA

Reden wir Tacheles! Kleinwächter will, wie er sagt, keine „multipolare Weltordnung, sondern eine plurale Weltordnung nationaler, demokratischer und unterschiedlicher Staaten“. Damit legt Kleinwächter ein Bekenntnis zur Unipolarität, mithin zur Weltherrschaft der USA ab. Kein anderer Staat dieser Welt ist für sich allein in der Lage, die absolute Macht der USA einzudämmen. Die USA brauchen nach ihrem Divide-et-impera-Grundsatz gerade jenes Durcheinander und Nebeneinander von vor sich hin wurstelnden Nationalstaaten, die ja nicht auf die Idee kommen sollen, zu ihrem Schutz und Vorteil Bündnisse ohne Kontrolle durch die USA einzugehen.

Ganz im Interesse der USA fordert Kleinwächter auch kein Ende der EU, die sich als sehr hilfreich bei der Niederhaltung Europas erwiesen hat. Kleinwächter will nur „die bestehenden Strukturen transformieren, statt sie für überkommene Vorstellungen eines ‚souveränen Europa‘ von der iberischen Halbinsel bis zum Ural zu opfern.“ Worte von entwaffnender Ehrlichkeit! Kleinwächter will in der Tat kein souveränes Europa, sondern eine transformierte EU irgendwo am Rockzipfel der USA.

Dabei verheddert Kleinwächter sich in eine Fülle entlarvender Widersprüche! Geht es darum, gegen die multipolare Weltordnung zu argumentieren, wird die Freiheit der Nationalstaaten besungen; geht es hingegen darum, dass wir Deutschen (im Interesse der USA) bitte keine interessengeleitete Außenpolitik betreiben, sondern uns an einem wie auch immer gearteten Westliche-Werte-Zirkus beteiligen sollen, postuliert Kleinwächter: „Wir können uns nicht auf rein deutsche Werte oder Tugenden zurückbesinnen“.

Den Briten billigt Kleinwächter zu, ihre ur-britische Bill of rights von 1689 gegen die Europäische Menschenrechtskonvention auszuspielen, um Abschiebungen zu rechtfertigen, die AfD soll sich aber damit abfinden, dass unsere Werte, so sagt Kleinwächter das explizit, „keine spezifisch deutschen Werte“ sind. 

Über die Sprengung der Pipelines durch die USA sieht Kleinwächter großzügig hinweg. Sie soll kein Hindernis für ein Bündnis mit den USA sein. Dass aber Russland 1861 und damit leider erst vor 162 Jahren und nicht schon früher die Leibeigenschaft aufhob, das soll uns, geht es nach Kleinwächter, eine Freundschaft mit Russland verbieten. Er meint das ernst.

Fazit: Kleinwächter will die AfD als eine vasallige Giorgia-Meloni-Rechtspartei und Deutschland als Hilfssheriff des Weltpolizisten USA. Das ist das Geheimnis hinter dem Wortgeklingel und dem ganzen staatsphilosophischen Budenzauber. Kleinwächter verkörpert das, wovor der Publizist Jürgen Elsässer mit Recht als „Amerikanisierung der Rechten“ gewarnt hat. Wenn wir eine echte Alternative für Deutschland sein wollen, wenn wir nicht in Armut und Unfreiheit die nützlichen Idioten des US-Hegemons spielen wollen, sollten wir uns von solchen Ansätzen fernhalten.


Zur Person:

Dr. Hans-Thomas Tillschneider ist Islamwissenschaftler und sitzt seit 2016 für die AfD im Landtag Sachsen-Anhalt. Dort ist er der kulturpolitische Sprecher der AfD-Fraktion.


Hinweis der Redaktion:

Norbert Kleinwächter hat entschieden, die Diskussion mit Tillschneider nicht weiterzuführen, sondern möchte stattdessen folgende Bemerkung unter diesem Beitrag veröffentlichten: Allerdings bitte ich um eine kurze Anfügung einer Bemerkung unter Tillschneiders letztem Artikel:

„Die aus diesem Artikel hervorgehende, von Herrn Tillschneider vorgenommene Interpretation meiner Aussagen weise ich entschieden zurück. Der geneigte Leser ist herzlich eingeladen, meinen Gedankengang in meinem Artikel nachzuvollziehen. Dieser legt erschöpfend dar, was zu dem Thema auszuführen ist.“

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.