Gegen Russland ist alles erlaubt: Bundesregierung wirft Rosneft raus

Rosneft Deutschland ist bislang Mehrheitseigner der Raffinerie PCK im brandenburgischen Schwedt. In seinem Kommentar beleuchtet Hagen Eichberger nun den Umstand, dass die russische Firmentochter endgültig vor die Tür gesetzt werden soll.

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27.4.2023
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4 Minuten Lesezeit
Gegen Russland ist alles erlaubt: Bundesregierung wirft Rosneft raus
Rosneft Deutschland ist Mehrheitseigner der Raffinerie PCK© IMAGO / Jochen Eckel

Auf ihrem Konfrontationskurs gegen Russland spielt die Bundesregierung ein riskantes und außerordentlich doppelzüngiges Spiel. Sie hat sich in einer Novellierung des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) weitreichende Befugnisse geschaffen, auf Unternehmen Einfluss zu nehmen, die unter staatlicher Treuhandverwaltung stehen, und sich die Änderungen vom Bundestag absegnen lassen. 382 Abgeordnete stimmten dafür, 272 dagegen. Kritiker sprechen von einer Enteignung.

Eingreifen im Sinne des „Gemeinwohls“

Konkret stand im Bundestag die Abstimmung über den Gesetzesentwurf „zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (Bundestagsdrucksache 20/5993) auf der Tagesordnung. Der Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie hatte zuvor eine Beschlussempfehlung vorgelegt, nachdem man sich dort auf die Eckpunkte der Neuregelung geeinigt hatte.

Im Kern geht es darum, Anteile von Unternehmen unter Treuhandverwaltung des Bundes künftig leichter verkaufen zu können. Politiker der Ampel-Koalition bemühten sich in der Debatte am Donnerstag, die Gesetzesänderung als vorausschauende Grundsatzentscheidung für künftige Notfälle darzustellen; der Grünen-Politiker Bernhard Herrmann sprach gar von einem staatlichen Eingreifen im Sinne des „Gemeinwohls“. Allerdings geht es einzig und allein um den russischen Ölkonzern Rosneft und seine deutsche Tochterfirma. Rosneft Deutschland ist nämlich bislang Mehrheitseigner der Raffinerie PCK im brandenburgischen Schwedt und hält dort 54,17 Prozent der Unternehmensanteile. Damit soll Schluss sein. Schon seit Herbst letzten Jahres steht Rosneft Deutschland unter Treuhandverwaltung, das heißt unter Zwangsverwaltung der Bundesnetzagentur. Jetzt soll die russische Firmentochter endgültig vor die Tür gesetzt werden.

Raffinerie läuft auf Sparflamme

Nach bislang geltendem Recht wäre ein Verkauf des Rosneft-Anteils an der Raffinerie nur zulässig, wenn dies zum Werterhalt des Unternehmens erforderlich wäre. Mit dem nun novellierten Gesetz soll ein Verkauf – das Gesetz spricht verunklarend von einer „Vermögensübertragung“ – auch „zur Sicherung des Funktionierens des Gemeinwesens im Sektor Energie und zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit“ erlaubt sein.

Aber das ist pure Vernebelung. Rosneft hat die Versorgungssicherheit Deutschlands zu keinem Zeitpunkt bedroht. Im Gegenteil, als Tochterunternehmen des russischen Mutterkonzerns war Rosneft vielmehr ein Garant dafür, dass russisches Öl immer zuverlässig nach Schwedt floss, bis im Januar 2023 der deutsche Boykott in Kraft trat. Seither läuft die Raffinerie, die bis dahin 90 Prozent des Kraftstoffs der Hauptstadt Berlin lieferte, nur noch auf Sparflamme.

Gesetz ermöglicht leichtere Einflussnahme

Politiker der Ampel-Regierung machen kein Hehl daraus, dass ihnen die jetzt verabschiedete Neufassung des Energiesicherungsgesetzes die Möglichkeit gibt, direkt auf unter Treuhandverwaltung stehende Unternehmen Einfluss zu nehmen, ohne dass diese erst enteignet werden müssen. Auch die letztere Möglichkeit hatte die Bundesregierung im Vorfeld durchspielen lassen, hatte sich aber davon überzeugt, dass sie sich damit auf juristisch unsicheres Terrain begeben würde. Eine Enteignung wäre womöglich vor internationalen Gerichten für unrechtmäßig erklärt worden. Mit der nunmehrigen Regelung soll dieses Risiko umgangen werden. Auch ohne Enteignung, so das Kalkül, kann die Bundesregierung nun die Rosneft-Anteile an der Schwedter Raffinerie verkaufen – und so den unbequem gewordenen russischen Mehrheitseigner vor die Tür setzen. Der FDP-Politiker Michael Kruse zeigte sich in der Bundestagsdebatte siegesgewiss: mit der jetzt gewählten Gesetzeskonstruktion „führen wir den russischen Einfluss im Energiesektor einem Ende entgegen“.

Allerdings: es ist nicht ausgemacht, dass diese Rechnung aufgeht. Rosneft hatte bereits im letzten Jahr gegen die Zwangsverwaltung durch die Bundesnetzagentur geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage im März ab. Damit will man sich nicht zufriedengeben. Am Montag wurde eine neue Klage eingereicht. Man werde die Vereinbarkeit des neuen Gesetzes mit europäischem, internationalem und deutschem Verfassungsrecht prüfen, wird die von Rosneft beauftragte Anwaltskanzlei Malmendier Legal von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert. „Die sogenannte Vermögensübertragung ist nichts anderes als eine Enteignung“, sagte Anwalt Bertrand Malmendier.

Das ist auch der Ampel-Regierung klar. Keiner der Beteiligten kann sich darüber im Zweifel sein, dass das Prozedere, für das sich Berlin nun entschieden hat, ein abgekartetes Spiel ist. Es geht einzig und allein darum, Rosneft aus dem Rennen zu werfen und dabei notdürftig die rechtsstaatliche Form zu wahren.

Polen will Russland rausdrängen

Wie abgekartet das Spiel ist, wird auch dadurch deutlich, dass ausgerechnet die Bundesnetzagentur mit der treuhänderischen (Zwangs-)Verwaltung der Rosneft-Tochter betraut ist. Die Netzagentur hat bereits in den letzten Jahren eine außerordentlich unrühmliche Rolle bei der Sabotage der deutsch-russischen Energiepartnerschaft gespielt. Sie hat 2021 monatelang die für die Inbetriebnahme der längst fertiggestellten Ostsee-Pipeline Nord-Stream-2 erforderliche Zertifizierung verzögert, ehe das Projekt mit Beginn des Krieges in der Ukraine dann auch offiziell von der Bundesregierung beerdigt wurde. An der Spitze der Bundesnetzagentur steht – wenig überraschend – mit dem Grünen-Politiker Klaus Müller ein langjähriger Parteifreund von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Noch ein Aspekt ist bemerkenswert. Ein besonderes Interesse an der De-facto-Enteignung von Rosneft hat Polen – das seit geraumer Zeit keine Gelegenheit mehr auslässt, den deutschen Nachbarn vor den Kopf zu stoßen. Schon seit Monaten verlangt Warschau einen Ausschluss von Rosneft aus der Raffinerie in Schwedt und dringt zugleich auf eine Beteiligung des polnischen Versorgers Orlen. Also: Russen raus, Polen rein. Allerdings sitzt Polen am längeren Hebel, denn seit dem selbstmörderischen Boykott russischen Öls kann die Raffinerie – und damit der Großraum Berlin – nur noch über den (derzeit polnischen) Hafen Danzig mit Rohöl versorgt werden. Über die Fähigkeit der Deutschen, sich zielsicher ein ums andere Mal selbst ins Knie zu schießen, kann man nur staunen.


Zur Person:

Hagen Eichberger, geboren 1992 in Berlin, studierte Geschichte und Politikwissenschaft. Heute arbeitet er als Medien- und Politikberater. Publizistische Schwerpunkte sind Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber auch Naturschutz und Ökologie sowie subkulturelle Strömungen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.