Deutschland setzt zunehmend auf Arbeitskräfte aus Indien
Um die wachsende Arbeitskräftelücke zu schließen, setzt Deutschland auf indische Fach- und Pflegekräfte. Während Deutschland davon profitiert, verschärft die Abwanderung die Pflegenot in Indien dramatisch.
Blutspendeaktion in Hyderabad, Indien.
© IMAGO / DepositphotosBerlin. – Um den wachsenden Arbeitskräftebedarf zu decken, setzt Deutschland zunehmend auf die Einwanderung indischer Fach- und Pflegekräfte. Zwar sind Erfolge sichtbar, doch die Bilanz bleibt gemischt: Der Anteil indischer IT-Spezialisten sinkt, Bewerbungen von Spitzenuniversitäten bleiben rar und zugleich verweigert Neu-Delhi oft die Rücknahme unerwünschter Asylbewerber, wie die Nachrichtenplattform German Foreign Policy berichtet.
Strategische Herausforderung
Die alternde Bevölkerung verschärft die Lage. Laut der Bundesagentur für Arbeit kann der Bedarf bis 2035 nur mit einer jährlichen Nettozuwanderung von 400.000 Arbeitskräften gedeckt werden. Dabei spielt die Migration aus Indien eine zentrale Rolle: Seit der Einführung der EU-Blue Card im Jahr 2012 stieg die Zahl der indischen Staatsbürger von 40.000 im Jahr 2005 auf rund 280.000 im Jahr 2025, darunter etwa 152.000 Erwerbstätige. Angesichts dieser Entwicklung sprechen manche Beobachter sogar von einem „Migrationswunder“.
Um die Einwanderung zu erleichtern, ist 2020 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten. 2022 folgte ein Migrations- und Mobilitätspartnerschaftsabkommen (MMPA), das „sichere, geordnete und reguläre Migration” ermöglichen soll. Während Länder wie Australien, Kanada oder Großbritannien die Zuwanderung aus Indien einschränken, nutzt Berlin die entstandene Lücke.
Hürden bei der Anwerbung
Trotz der Partnerschaft ist Deutschland unzufrieden. Kaum Bewerbungen von Indiens Eliteuniversitäten erreichen deutsche Hochschulen. Zudem nimmt Indien nach Auffassung der Bundesregierung zu wenige von denjenigen Indern zurück, für die die Bundesrepublik ökonomisch keine Verwendung hat. Die Zahl der Rücknahmen ist sogar gesunken. Um Abschiebungen zu erleichtern, wurde Indien deshalb zum sicheren Herkunftsland erklärt.
Auch im IT-Sektor zeigt sich ein Problem: Der Anteil hochqualifizierter Fachkräfte schrumpft. Laut der SWP-Studie ist dies auf die schwächere Wirtschaft in Deutschland zurückzuführen.
Anwerbung von Pflegekräften aus Kerala
Deutschland wirbt besonders stark Pflegekräfte an. Hier klafft eine gewaltige Lücke von 250.000 bis 690.000 unbesetzten Stellen. Bereits in den 1960er-Jahren zeigte die Bundesrepublik Interesse am südindischen Bundesstaat Kerala. Christliche Pflegekräfte aus dieser Region galten aufgrund ihres „sanften Benehmens” und ihrer „christlichen Werte” als besonders geeignet. Damals schlossen sich Kirchenvertreter zusammen, um eine „Massenproduktion” von Pflegekräften einzuleiten.
Diese Tradition wird fortgeführt: Im Jahr 2021 unterzeichnete die Bundesagentur für Arbeit ein formelles Abkommen mit dem indischen Bundesstaat Kerala, um Fachkräfte systematisch zu rekrutieren. Die Kompatibilität der Ausbildungssysteme erleichtert diesen Prozess.
Folgen für Indien
Die massive Abwanderung hat drastische Konsequenzen für Indien. Während die WHO mindestens vier Krankenschwestern und Hebammen pro 1.000 Einwohner empfiehlt, liegt die Quote in Indien bei lediglich 0,6. Dem Land fehlen somit rund 4,3 Millionen Fachkräfte.
Von den 3,26 Millionen ausgebildeten Pflegekräften sind nur 1,4 Millionen tatsächlich im Beruf tätig. Ein Grund hierfür sind die schlechten Arbeitsbedingungen. So lag der Mindestlohn 2017 bei etwa 195 Euro, viele Pflegekräfte erhielten jedoch nur 58 Euro pro Monat. Hinzu kommt, dass die Ausbildung mit Kosten zwischen 7.000 und 9.300 Euro vergleichsweise teuer ist.