Des Menschen Wolf – Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

„Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ist der neue Steckenpferdbegriff im politischen Kampf. Wer jemanden nicht mag, darf damit gegeißelt werden.

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Des Menschen Wolf – Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Die Bekämpfung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hat für die deutsche Regierung oberste Priorität© IMAGO / Panthermedia

Mitte Mai 2021 teilte die deutsche Bundesregierung in einer Pressemitteilung mit, dass für sie „die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, von Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und allen weiteren Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit [GMF] oberste politische Priorität“ habe. Deutschland sei „ein Land der Vielfalt“. Diese „Priorität“ lässt sich die Bundesregierung etwas kosten. Bei der Bekämpfung von GMF wird nämlich nicht gekleckert, sondern geklotzt. Rund eine Milliarde Euro, nur für den Zeitraum von 2021 bis 2024, soll hierfür bewegt werden.

Während in der obigen Aufzählung Rechtsextremismus noch eine Erscheinungsform Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit darstellt, erfolgt bei der SPÖ ihre Gleichsetzung mit Rechtsextremismus, wenn auf deren Netzseiten davon die Rede ist, dass Rechtsextremismus „ein Sammelbegriff für alle Haltungen“ sei, „die von einer radikalen Ungleichheit und einer damit verbundenen Ungleichwertigkeit von Menschen bzw. Menschengruppen ausgehen“. GMF richte sich besonders „oft gegen Frauen, Jüdinnen und Juden, Migrantinnen und Migranten, aber auch Arbeitssuchende und arme Menschen“. „Pseudobiologistische Argumente“ würden ausgegraben, um „natürliche“ Hierarchien zu begründen, in denen sich Rechtsextreme „ausgerechnet selbst als Elite“ sähen. Damit ist klar, dass das breite Spektrum von Erscheinungsformen der GMF für Rechtsextreme oder diejenigen, die dafür erklärt werden, reserviert ist.

Die Häufigkeit, mit der das Begriffsungetüm GMF im öffentlichen Diskurs ins Gespräch gebracht wird, unterstreicht dessen beachtliche Karriere in den letzten Jahren. Mittlerweile begründet es sogar Nationale Aktionspläne, wie der Verfasser in dieser Zeitschrift (FREILICH 15/2021) bereits dargelegt hat. Als sein Urheber gilt der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer, der 1996–2013 das Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) leitete. Seit Heitmeyers Ausscheiden leitet Andreas Zick das Institut, der in den bundesdeutschen Leitmedien ein gern gesehener Interviewpartner ist. Auch in seiner Arbeit bildet GMF einen wichtigen Baustein.

„Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ –
Begriffswaffe für das linke Milieu

Worin der Reiz dieses Begriffes liegt, liegt auf der Hand: Er ist für das linke Milieu eine ideale Begriffswaffe, die zudem mit den Weihen sozialwissenschaftlicher Absicherung versehen ist. Der Begriff GMF will abwertende Einstellungen gegenüber Gruppen oder Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit markieren. Die Bielefelder Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von der GMF als einem „Syndrom“, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass verschiedene Symptome – oder besser Vorurteile – häufig gleichzeitig oder korreliert auftreten können.

Das Syndrom GMF umfasst derzeit die Elemente Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Behinderten, Islamfeindlichkeit, Sexismus, Etabliertenvorrechte, Abwertung von Langzeitarbeitslosen. Da sich dem einen oder anderen womöglich nicht erschließt, was Etabliertenvorrechte in diesem Umfeld bedeuten: Gemeint sind hier zum Beispiel autochthone Deutsche oder Österreicher, die der Auffassung sind, dass sie mehr Rechte haben sollten als etwa zugezogene Migranten.

Diese abwertenden Einstellungen werden in der Sozialpsychologie als Vorurteile bezeichnet. Deren Ausdrucksformen seien laut Zick und der Sozialwissenschaftlerin Beate Küpper „Hass, stereotype Wahrnehmung oder diskriminierendes Verhalten“. Zu den Postulaten der GMF gehört, dass Vorurteile gegenüber einer Gruppe, wie beispielsweise Migranten, in der Regel nicht allein aufträten, sondern zusammen mit der Abwertung anderer Gruppen.

Beide Wissenschaftler sind sich einig, dass es vor allem eine ideologische Grundhaltung ist, die ein besonders wichtiger Faktor für Menschenfeindlichkeit ist, nämlich die „Neigung einer Person zum Autoritarismus“, was beispielsweise in einer „übersteigerten positiven Einstellung zu Law-and-Order“ zum Ausdruck kommen soll. Weiter wird die „Bereitschaft zu Gehorsam“ genannt, die mit einer „expliziten Befürwortung von sozialen Hierarchien und [der] generelle[n] Ablehnung von kultureller und religiöser Vielfalt“ einhergeht. Diese Disposition führt zu einer „höheren Zustimmung zu allen Elementen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“.

„Wer ganz allgemein Hierarchien zwischen sozialen Gruppen“ befürworte, der tendiere nach Zick und Küpper „mit einer höheren Wahrscheinlichkeit nicht nur zur Abwertung einer spezifischen Gruppe, sondern in der Regel zur Abwertung einer ganzen Reihe von Gruppen“. So gingen beispielsweise „Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Homophobie nicht selten Hand in Hand“. Dieses Zusammenspiel von Vorurteilen bildet nach Heitmeyer das „Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, das von einem „gemeinsamen Kern“ zusammengehalten werde, der sich als „Ideologie der Ungleichwertigkeit beschreiben“ lasse.

Ideologielastige Studien

Über die Entwicklung der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Deutschland wird jährlich Bericht erstattet. Von 2002 bis 2011 untersuchte eine Forschergruppe unter der Leitung des Soziologen Wilhelm Heitmeyer mittels repräsentativer Befragungen deren Entwicklung und veröffentlichte die Ergebnisse jährlich in der Reihe „Deutsche Zustände“. Seit 2002 erscheinen weiter die Leipziger Studien zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland, erarbeitet von einer Arbeitsgruppe der Universität Leipzig um die Sozialpsychologen Oliver Decker und Elmar Brähler. Seit 2018 ist nicht mehr von „Mitte“-, sondern von „Autoritarismus“-Studien die Rede, und zwar deshalb, weil nun der Schwerpunkt auf der Untersuchung „autoritärer Dynamiken“ liegt.

Auf den Netzseiten der Universität Leipzig kann nachgelesen werden, dass die Studie von 2006 bis 2012 „in Kooperation“ mit der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wurde. 2016 konnten die Otto-Brenner-Stiftung (Stiftung der Gewerkschaft IG Metall), die Linke-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung als Kooperationspartner gewonnen werden. 2018 und 2020 wurde die Studie von der Heinrich- Böll-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung unterstützt.

Die Präsentation dieser ideologielastigen Studien erfreuen sich eines großen medialen Interesses, werden sie doch gern als Beleg dafür hergenommen, wie groß die Gefahr von rechts in Deutschland sei, was wiederum einen warmen staatlichen Geldregen für alle möglichen „Kampf-gegen-rechts“-Initiativen zur Folge hat. Wem das alles – Autoritarismus, Vorurteile – irgendwie vertraut klingt, liegt nicht falsch. Es handelt sich hier um Leitbegriffe des Instituts für Sozialforschung (IfS), die in der von Theodor W. Adorno herausgebrachten Studie „The Authoritarian Personality“ (New York 1950, dt. „Studien zum autoritären Charakter“, 1973) ihre theoretische Unterfütterung fanden. Die Adaption dieser Studie durch die Leipziger „Mitte“- bzw. „Autoritarismus“-Studien und Heitmeyers Ausweitung der Theorie der „autoritären Persönlichkeit“ hin zum „Syndrom GFM“ bedeuten die Übernahme ideologischer, konkret: neomarxistischer Gehalte, die weit- reichende Konsequenzen für deren Erklärungswert haben.

Der „Psychomarxismus“ der Frankfurter Schule

Die „Kritische Theorie“ der Frankfurter Schule steht für eine Synthese von neomarxistischen und psychologischen Theorien, die mit Sigmund Freud in Verbindung stehen. Der Sozialwissenschaftler Albert Krölls nannte das daraus entstehende Amalgam, das heute laut Spiegel (34/2019) vor dem Hintergrund des Aufstiegs des Rechtspopulismus wieder „Konjunktur“ habe, „Psychomarxismus“. Von diesem Geist sind denn auch etliche der Studien des Bielefelder IKG geprägt, wie sie hier bereits vorgestellt wurden. Ihr Ausstoß, häufig durch staatliche Fördergelder alimentiert, steigt proportional zur Intensität, mit der von staatlicher Seite der Kampf gegen rechts forciert wird. Hierbei spielt, das zeigen die Beispiele des Bielefelder IKG, aber auch die „Mitte“- und „Autoritarismus“-Studien, auf die noch zurückzukommen sein wird, der Frankfurter „Psychomarxismus“ eine zentrale Rolle. Er gehört zur DNA der „intellektuellen Gründung der Bundesrepublik“ (2007), wie sie von Clemens Albrecht u. a. skizziert worden ist. Ohne diesen „Psychomarxismus“ wäre eine Begriffswaffe wie die GMF nicht denkbar. Und in diesem Zusammenhang kommt der 1950 publizierten Studie „The Authoritarian Personality“ eine Schlüsselrolle zu.

Der eigentliche Theoretiker des „autoritären Charakters“ ist aber nicht Adorno oder einer der anderen (heute weitgehend unbekannten) Autoren dieser Studie, sondern Erich Fromm, der Mitte der 1930er-Jahre von Horkheimer und Adorno aus dem IfS gedrängt wurde. Fromm rezipierte dabei Thesen des Psychoanalytikers Wilhelm Reich zum Zusammenhang von „autoritärer Triebunterdrückung“ und „faschistischer Ideologie“.

Fromms Vergehen bestand darin, so Jochen Fahrenberg und John M. Steiner in einem Beitrag für die „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“ (56/2004), Sigmund Freuds Theorie „in unzulässiger Weise revidieren [zu] wollen“. Im Kern ging es hierbei darum, dass sich Fromm vom Triebmodell Freuds allmählich löste und sich den Neoanalytikern annäherte, die die Bedeutung der interpersonalen Beziehungen für die Entwicklung des Menschen stark akzentuierten und damit dem angeborenen Sexual- und Aggressionstrieb eine geringere Rolle zuwiesen.

Mit seiner Revidierung des psychoanalytischen Konzeptes von Freud (Triebstruktur, Libido, Todestrieb, Ödipuskomplex) geriet Fromm zunehmend in Opposition zu Adorno und Horkheimer, die Fromms Aktivitäten als „revisionistische“ Infragestellung des Kerns der „Kritischen Theorie“ deuteten, nämlich der Verbindung von marxistischer Kapitalismuskritik mit der Triebtheorie Freuds. Im Freud’schen Gegensatz von Trieb und Kultur sahen die Vertreter der Frankfurter Schule, so der Psychologe Moritz Nestor in der Schweizer Zeitung Zeit-Fragen (1999), nämlich „den Ansatzpunkt, um die bürgerliche Gesellschaft zu erschüttern“. Es galt, „die durch die Kultur angeblich unterdrückten Triebe zu entfesseln und die Menschen in den Kampf gegen die Normen und Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft zu führen“. Der Sexual- und Aggressionstrieb verkörpere den „gesellschaftlichen Gegensatz von Kapitalisten und Arbeitern“. Eine psychotherapeutische Auflösung des Aggressionstriebes lehnten sie als „Revisionismus“ ab, weil damit das Widerstandspotenzial gegen die bürgerliche Gesellschaft geschwächt werde und eine Anpassung an die Gesellschaft die Folge sei.

„Revisionisten“ waren für Adorno letztlich all jene, so resümiert Nestor, „die einen Anspruch auf therapeutische Arbeit im Hier und Jetzt und am einzelnen Menschen haben“, die in der bestehenden Gesellschaft „konstruktiv wirken wollen“. Das lief aus seiner Sicht auf eine „Verlängerung des Fortbestandes der demokratischen Ordnung“ hinaus, die „letztlich in den Faschismus geführt“ habe. Dieser Standpunkt ist vor dem Hintergrund der marxistischen Kontinuitätsthese und auch Klassentheorie zu sehen, bei der der „Bürger“ im Ruch steht, latent „faschistoid“ und vorurteilsbehaftet gegenüber „Schwachen“ und „Marginalisierten“ zu sein, die nicht mit dem „bürgerlichen“ Wertekonsens in Übereinstimmung zu bringen sind.

Auch die „Mitte“ wird verdächtigt

Trotz dieser neomarxistischen Verortung bildet die Studie „The Authoritarian Personality“ eine Art Blaupause für die Bielefelder Reihe „Deutsche Zustände“ (2002–2011) unter der Leitung von Heitmeyer und die bereits angesprochenen „Mitte“- oder „Autoritarismus“-Studien. Die „Deutschen Zustände“ beabsichtigten, so Heitmeyer und seine Mitstreiter 2002 im ersten Band, „einen Beitrag zur Selbstaufklärung der Gesellschaft zu leisten sowie eine Art der Selbstreflexion auf Dauer etablieren“. Heitmeyer versucht den Zusammenhang mit der „Authoritarian Personality“ zumindest in den Hintergrund zu drängen, als er mit Blick auf seine Buchreihe „Deutsche Zustände“ auf die Artikelserie „Französische Zustände“ rekurrierte, die Heinrich Heine 1832 verfasste. Dem Bielefelder Soziologen und seinen Adepten geht es darum, das gesellschaftliche Umfeld daraufhin abzuklopfen, ob und inwieweit es Fremdenfeindlichkeit, Rassismus oder Diskriminierung begünstigt. Adornos Blick hingegen galt vor allem dem Antisemitismus, der nur einen Teilbereich innerhalb der Merkmale der GMF bildet.

Auch die Leipziger „Mitte“- und „Autoritarismus“-Studien kommen nicht ohne das Syndrom GMF aus, rekurrieren aber ganz offen auf Adornos Vorarbeiten. Sie verstehen, so Oliver Decker, GMF als „Teil des autoritären Syndroms“. Wer diese „Aggressionen in sich“ trage, schaffe „sich die Objekte für die Abwertung“. Gemäß den Ausführungen des Sozialpsychologen Decker und des medizinischen Soziologen Brähler auf den Netzseiten des „Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft“ umfasse das „autoritäre Syndrom“ als „individuelle Ausprägung“ in direkter Anknüpfung an die Thesen Adornos „als zentrale Elemente Konventionalismus, autoritäre Unterwürfigkeit und autoritäre Aggression“. Konventionalismus meint hier „die rigide und unhinterfragte Übernahme gesellschaftlicher Normen, autoritäre Unterwürfigkeit die unkritische Unterwerfung unter Autoritäten“.

En passant: Das „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft – Thüringer Dokumentations- und Forschungsstelle gegen Menschenfeindlichkeit“ (IDZ) mit Sitz in Jena ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung in Trägerschaft der bestens bekannten Amadeu- Antonio-Stiftung. Es ist Teil des 2020 gegründeten „Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (FGZ), das von dem deutschen Ministerium für Bildung und Forschung bis 2024 mit 40 Millionen Euro gefördert wird. Hier beschäftigt sich das IDZ mit Themen wie „Internationaler Rechtspopulismus im Kontext globaler ökologischer Krisen“, „Relativierung, Revisionismus, Wiederkehr. Die Abwehr der Erinnerung an den Nationalsozialismus seit 1990 und ihre Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ oder „Diversität – Engagement – Zusammenhalt: In- und Exklusionserfahrungen gesellschaftlich marginalisierter Gruppen“. In der Medizin und der Psychologie bezeichnet „Syndrom“ ein durch das gemeinsame Auftreten bestimmter charakteristischer Symptome gekennzeichnetes Krankheitsbild, womit sowohl Decker und Brähler, aber auch Heitmeyer und seine Adepten hinsichtlich der GMF zu erkennen geben, was ihnen mit Blick auf ihr Forschungsfeld „Autoritarismus“ und, dahinterstehend, die „rechtsextreme Persönlichkeit“ von Bedeutung ist, nämlich den Nachweis zu führen, dass es sich hier um ein Krankheitsbild handelt. Rechtsextremisten oder wahlweise auch Rechte sind demnach Menschen mit gestörter Psyche, die „irrationale“ Standpunkte vertreten.

Es geht den Leipziger und Bielefelder Gesinnungswächtern aber nicht nur um den „rechtsextremen“ Rand; verdächtig ist ihnen auch die „Mitte“, die in der Leipziger „Mitte“-Studie 2016 als „enthemmt“ charakterisiert wurde. Diese Charakterisierung ist indes nur folgerichtig, hatten doch Brähler und Decker bereits 2013 ein Kompilat ihrer „Mitte“-Studien unter dem bizarren Titel „Rechtsextremismus der Mitte“ herausgegeben. Unheilschwanger heißt es hier mit Rückgriff auf die einschlägige Studie des US-Politologen Seymour Martin Lipset über den „Extremismus der Mitte“ (in dessen Buch „Political Man“, 1959): „Das gesellschaftliche Zentrum kann zur Bedrohung der bestehenden Gesellschaftsordnung werden“, die „gesellschaftliche Mitte ist nicht davor geschützt, selbst zur Bedrohung der demokratisch verfassten Gesellschaft zu werden“. In „unseren ,Mitte‘-Studien“, so die Herausgeber, seien Lipsets „Erkenntnisse mit den prominenten ersten Untersuchungen zum Vorurteil des exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung verbunden [worden]. Von den Studien ,Autorität und Familie‘ und ,Der autoritäre Charakter‘ ausgehend, haben wir mit unserer Formulierung vom ,Veralten des autoritären Charakters‘ die Gültigkeit ihrer Annahmen für die heutige Zeit bestätigt.“

Einmal mehr wird hier der Versuch unternommen, zwischen bürgerlicher Gesinnung und Rechtsextremismus eine Verbindung herzustellen. Dieser von interessierten linken Kreisen immer wieder unternommene Versuch, diese Verbindung in immer wieder neuen Anläufen zu erhärten und nachzuweisen, kommt nicht von ungefähr. Er folgt dem marxistischen Ideologem, dass die bürgerlich-demokratische Gesellschaft immer anfällig für totalitäre Herrschaft sei, dass sie latent „faschistisch“ sei und damit das auspräge, was Heitmeyer und seine Adepten als „Syndrom der GMF“ ausgemacht haben wollen. Daraus folgt, dass die bürgerlich geprägte Gesellschaftsordnung nie dagegen gefeit ist, in eine autoritäre, „faschistische“ Diktatur zu mutieren.

Welcher Geist hinter dieser Annahme steht, hat der Bildungsforscher Joachim Hoefele in einem Beitrag für „Zeit-Fragen“ (1999) aufgezeigt. Er verweist auf den VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, auf dem deren Generalsekretär Georgi Dimitroff behauptete, der „totalitäre Staat“ sei die Ablösung einer „Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeosie, der bürgerlichen Demokratie“, durch eine andere, durch die „offene terroristische Diktatur“. Die von linker Seite hergestellte Verbindung von „bürgerlicher Gesinnung“ und Rechtsextremismus in Gestalt des „autoritären Charakters“ – oder, jetzt im neuen Gewand, in Gestalt der Erscheinungsformen des „Syndroms der GMF“ – gehe, so Hoefele, „letzten Endes auf die marxistische Geschichtskonstruktion“ zurück, die von Horkheimer und Adorno aufgegriffen worden sei. Damals wie heute lautet das Ziel letztlich, „jeden unbescholtenen Bürger als einen heimlichen Faschisten, Rassisten oder Antisemiten“ und damit als „menschenfeindlich“ zu denunzieren. Damit aber werden auch die Werte und Normen der „bürgerlichen Gesellschaft“ als „unterschwellig faschistisch, rassistisch oder potentiell antisemitisch“ (Hoefele) kontaminiert.

„Rechtsextremismus der Mitte“

Diese Diagnose wirft ein grelles Licht auf die aktuellen Ausprägungen und die Schärfe des „Kulturkampfes“ sowohl in Deutschland als auch in Österreich, in dem die linke Seite im Sinne Herbert Marcuses immer offener „parteiische Toleranz“ zur Durchsetzung von Diversität, Gleichberechtigung oder Multikulturalität an den Tag legt, die gleichsam die Antithesen zur „autoritären Persönlichkeit“ und deren Anfälligkeit für die verschiedenen Ausprägungen der GMF bilden. Nicht die Duldung divergierender Ideen ist nach Marcuse ein Zeichen von Toleranz, so der Politologe Stefan Wallaschek, sondern gerade deren Ablehnung zugunsten eines Verständnisses von Toleranz, das für die Emanzipation der Individuen jenseits existierender Herrschaftsmechanismen optiert. Die Linke reklamiert für sich, genau dafür einzustehen. Neutrale Toleranz, die alle möglichen (und damit auch „rechten“) Meinungen nebeneinanderstehen lasse, wirke hingegen als „repressive Toleranz“ systemstabilisierend, weil sie die wirklichen Machtverhältnisse „verschleiere“. Es geht Marcuse demnach um die „Negation des Bestehenden“ und, so Wallaschek, „um die Emanzipation aus eben diesen Verhältnissen“, was nichts anderes als Gesellschaftstransformation heißt.

Es liegt in der Logik dieses Denkens, dass der angebliche „antiautoritäre Impuls“, der von der Frankfurter Schule ausgegangen sein soll, zu einem „Politwächtertum“ mutiert und damit als „autoritärer Charakter“ wiedererstanden ist, wie der Philosoph Alexander Grau in einem Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung feststellte. Diese „autoritären Charaktere“ finden sich heute allerdings in den Reihen der sich weltläufig gebenden Toleranzprediger, die mittels einer „rigiden Intoleranz“ – deren Legitimation wahlweise aus den Konsequenzen von Klimakrise und Energiewende, der Globalisierung oder den Folgen der Massenmigration abgeleitet wird – bestrebt sind, Meinungsmacht auszuüben, um damit den „vorpolitischen Raum der Diskurse zu beherrschen“. Das geschieht durch systematische Ausgrenzung, Sprachkontrolle – vgl. z. B. Michael Esders’ Sprachregime – und andere Formen der Meinungsbeeinflussung. Alexander Grau ist deshalb der Auffassung, dass es ein „neues (und anderes) 68 braucht“. Er verkennt, dass es hierfür mit Blick auf Deutschland einer intellektuellen Umgründung der Bundesrepublik bedarf, die, folgt man den Thesen von Clemens Albrecht u. a. zur „Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule“, auf den neomarxistisch inspirierten Theoremen der Frankfurter Schule und ihrer Adepten fußt.

Spätestens mit der Formel „Rechtsextremismus der Mitte“ sieht sich jeder autochthone Deutsche und auch Österreicher unter Faschismusverdacht gestellt. Aufgabe rechter oder auch konservativer Politik im „Kulturkampf “ muss es daher sein, die skizzierten Zusammenhänge, die unsere Demokratie in ihrem Kern zu verändern drohen, immer wieder offenzulegen und zu bekämpfen. Es gilt, der Linken die sprachliche Deutungshoheit über pseudowissenschaftliche Erklärungsmodelle wie „Autoritarismus“ oder „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ streitig zu machen, mit deren Implementierung sie gesellschaftsverändernde Ziele verknüpft. Umso wichtiger ist es, Begriffswaffen wie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ oder „Autoritarismus“ als das zu entlarven, was sie sind: Ideologeme, die einzig dazu dienen, den letzten Rest von nationalem und kulturellem Eigensinn, der in Deutschland und Österreich noch verblieben ist, im Namen von „Diversität“ und „Toleranz“ zu schleifen.


Zur Person:

Niklas E. Hartmann, geb. 1991 in Stade, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte. Lebt und arbeitet als freier Lektor, Publizist und Übersetzer in Hamburg.


Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der FREILICH-Ausgabe Nr. 16 „Die Freiheit führt das Volk“ (April 2022). Hier bestellen.