AfD-Umfragehoch: Bestätigt der Erfolg in Schwerin die aktuelle Stimmungslage?

Die AfD hat es bei der Oberbürgermeisterwahl in Schwerin in die Stichwahl geschafft – zum ersten Mal in einer Landeshauptstadt. Eine gute Chance für die AfD, meint Politikberater Daniel Fiß in seinem Kommentar.

Daniel Fiss
Kommentar von
9.6.2023
/
4 Minuten Lesezeit
AfD-Umfragehoch: Bestätigt der Erfolg in Schwerin die aktuelle Stimmungslage?
Daniel Fiß

Die Politik ist in Bewegung geraten. Auf der einen Seite Nervosität und Anspannung, auf der anderen Seite Motivation und Aufbruchstimmung. Grund dafür sind die seit einigen Wochen stetig steigenden Umfragewerte für die Alternative für Deutschland. Stagnierte die Partei seit dem Ausbruch der Coronakrise 2020 fast zweieinhalb Jahre zwischen zehn und zwölf Prozent, so geht der aktuelle Trend in Richtung einer Verdoppelung der Umfragewerte im Vergleich zu vor knapp zwei Jahren.

Allerdings gilt die alte Binsenweisheit, dass Wahlen nicht mit Umfragen gewonnen werden. Gemessene und tatsächliche politische Stimmungen können durchaus voneinander abweichen. Auch Umfrageinstitute wollen letztlich nur Schlagzeilen produzieren.

Dass es sich beim AfD-Hoch jedoch nicht nur um eine kleine Umfrageblase zu handeln scheint, konnten wir am vergangenen Sonntag in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin beobachten. Dort zog der AfD-Oberbürgermeisterkandidat Leif-Erik Holm (Bundestagsabgeordneter und Landesvorsitzender) in die Stichwahl gegen den SPD-Kandidaten und amtierenden Oberbürgermeister Rico Badenschier ein. Linkspartei, Grüne und auch der von CDU, FDP und dem Wählerbündnis „Unabhängige Bürger“ aufgestellte Kandidat konnten mit deutlichem Abstand distanziert werden.

Überraschendes Ergebnis in Schwerin

Damit erzielte Holm in Schwerin das bisher beste Ergebnis der AfD in einer Landeshauptstadt. Mit 94.000 Einwohnern, einer hohen Rentnerdichte und vielen Beamten und Angestellten in den Verwaltungen dürfte Schwerin nicht gerade eine prädestinierte Zielgruppe für die AfD sein. Schwerin zeichnet sich aber auch durch eine hohe soziale Segregation aus. Es gibt wohl nur wenige Städte, in denen der Kontrast zwischen einer prachtvollen, touristisch attraktiven Innenstadt und einkommensschwachen Plattenbaugebieten mit hohem Migrantenanteil so deutlich ist wie in Schwerin.

Im Ergebnis zeigt sich eine starke Mobilisierung in der Innenstadt mit entsprechenden Spitzenwerten an den Stadträndern mit bis zu über 50 Prozent der Stimmenanteile. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs nahm bereits die deutliche Polarisierung zwischen dem SPD- und dem AfD-Kandidaten vorweg.

Auch der Vergleich mit den letzten Wahlergebnissen der AfD in Schwerin zeigt einen deutlichen Stimmenzuwachs. Trotz deutlich geringerer Wahlbeteiligung als bei der letzten Landtagswahl konnte die AfD auch ihren absoluten Stimmenanteil um knapp 4.000 Stimmen steigern. Bei der Landtagswahl 2021 lag das durchschnittliche Gesamtergebnis für Schwerin noch bei 14 Prozent. Holm konnte diesen Wert fast verdoppeln. Dies zeigt deutlich, dass es der Holm-Kampagne gelungen ist, nicht nur die Kernklientel und das Stammpotenzial zu aktivieren, sondern darüber hinaus eine Dynamik zu entwickeln, die neue Wählergruppen in der Landeshauptstadt erschließen konnte.

Chance für die AfD

Das Erreichen der Stichwahl ist zunächst ein wichtiger symbolischer Erfolg der Kampagne. Realistische Chancen auf eine Aufholjagd gegen den SPD-Kandidaten dürfte Holm nicht haben. Zu groß war der Vorsprung im ersten Wahlgang und alle anderen Parteien haben ihre Wähler bereits zur Unterstützung des amtierenden Bürgermeisters aufgerufen. 30 Prozent + X sollten für die AfD aber durchaus eine Zielmarke für den zweiten Wahlgang sein. Mit einem Sieg Holms hatte ohnehin niemand gerechnet.

Ein Plakat aus dem Wahlkampf

Dennoch hilft diese Kampagne, einige wichtige strategische Ressourcen vor Ort aufzubauen. Für die nächsten zwei Wochen bis zum Wahltermin wird das Duell zwischen Holm und Badenschier die lokale bis überregionale Presse und das Schweriner Stadtgespräch dominieren. Damit erhält die AfD nun noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Zudem müssen sich die Altparteien einmal mehr als Einheitsfront offenbaren, der es nicht um ernsthafte politische Inhalte, sondern nur um einstudierte Rituale gegen die AfD geht. Die Kampagne hat darauf direkt mit dem richtigen Slogan für die Stichwahl reagiert. Trotzig und angriffslustig.

Eine gute Übung

Die Oberbürgermeisterwahl ist auch ein wichtiger Test- und Übungslauf für die folgenden Wahlen. Die neu gewonnenen Wählerpotenziale müssen stabilisiert und geschlossen werden und gleichzeitig reaktivierbar bleiben. Wenn dies gelingt, kann Schwerin auch bei künftigen Wahlen ein wichtiger strategischer Baustein für die Landespartei sein.

Die Oberbürgermeisterwahl in Schwerin kann durchaus als exemplarischer Stimmungstest unter realen Bedingungen für das derzeitige Umfragehoch angesehen werden. Emotionale Barrieren gegenüber der Partei werden abgebaut. Neue Potenziale werden erschlossen und die AfD könnte möglicherweise in eine Phase der Normalisierung eintreten, die sich nicht durch Anpassung an den Mainstream, sondern durch ein eigenes Stärkeprofil durchsetzt. Schwerin hat gezeigt, dass dies auch auf dem eher schwierigen Terrain der städtischen Wählermilieus gelingen kann.


Zur Person:

Daniel Fiß, geboren 1992 in Rostock – studierte sechs Semester Good Governance und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Von 2016 – 2019 war er Bundesleiter der Identitären Bewegung Deutschland. Seit 2017 betreibt er als selbstständiger Unternehmer eine eigene Grafikagentur. Fiß befasst sich intensiv mit den Fragen politischer Kommunikation und ihrer Wirkung und ordnet diese in grundlegende strategische Fragestellungen des rechtskonservativen Milieus ein. Seit 2020 betreibt er dafür den Feldzug Blog, in dem er sich regelmäßig Analysen zu Demoskopie, politischer Soziologie und Kommunikation widmet.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.