Schicksalsstunden des Abendlandes – Der Islam vor den Toren Europas

Hat der Islam einen Platz in Europa? Diese Frage wird nicht erst seit Beginn des bewaffneten Konflikts zwischen Israel und Palästina heiß diskutiert. Auch jenseits der üblichen Debatten um Migration, Integration und Toleranz gibt es Gründe, die für und gegen einen solchen Platz sprechen: Die gemeinsame Geschichte. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing stellt drei Momente dieser Geschichte vor und erläutert ihre Bedeutung für das wechselhafte Verhältnis zwischen Europa und dem Islam.

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Schicksalsstunden des Abendlandes – Der Islam vor den Toren Europas
Zweite Wiener Türkenbelagerung im Jahr 1683. (Symbolbild)© IMAGO / agefotostock

Der Beginn der Reconquista – Schlacht bei Covadonga (722 n. Chr.)

Kaum 300 Jahre waren vergangen, seit das Christentum seinen Siegeszug durch Europa angetreten hatte. Ausgehend von der Levante fand die neue Religion schnell Anhänger in ganz Europa und hatte bereits zu Beginn des 4. Jahrhunderts n. Chr. im Kaukasuskönigreich Armenien den Status einer Staatsreligion erlangt. Zwar sollte es noch einige Zeit dauern, bis sich der christliche Glaube auf dem Gebiet des langsam zerfallenden Römischen Reiches und seiner Nachfolgestaaten ausbreitete, doch der Grundstein war gelegt. Mit dem Frankenreich der Merowinger entstand in der Mitte Europas ein mächtiges christianisiertes Reich, das die Bemühungen der Päpste um die religiöse Einheit des Kontinents unterstützte.

Doch mit dem Aufstieg des Islam und seiner Expansion (622-750) hätte das junge Abendland ein jähes Ende finden können. Zehntausende fanatischer Glaubenskämpfer eroberten unter der Führung Mohammeds und der Kalifen weite Teile des Oströmischen Reiches und drangen bis nach Südfrankreich vor. Die Schlacht von Covadonga stellt in diesem Zyklus einen Wendepunkt dar: Was als Widerstand gegen die Heiratspläne eines lokalen muslimischen Machthabers begann, wurde später zum Beginn der Rückeroberungskriege auf der spanischen Halbinsel. Mit Covadonga und spätestens mit der Schlacht von Tours (732) war der muslimische Eroberungsdrang nördlich der Pyrenäen gebrochen.

Sizilien unter dem Halbmond – Der Fall von Taormina (902 n. Chr.)

Die Insel Sizilien, auch Trinakria genannt, weist seit der Antike eine wechselvolle Besiedlungsgeschichte auf. Ihre zentrale Lage machte sie für alle seefahrenden Völker des Mittelmeerraums interessant und strategisch bedeutsam. Ob Phönizier, Griechen, Römer oder später die Normannen - jeder gab der Insel einen Teil ihres bis heute einzigartigen Charakters. Ihr Reichtum machte sie aber auch, wie das übrige Europa, zum Ziel muslimischer Expansionsbestrebungen. Erst 740 n. Chr. gelang es muslimischen Truppen unter dem Prinzen Abd al-Raḥmān ibn Ḥabīb al-Fihrī, die Stadt Syrakus einzunehmen. In den folgenden Jahrzehnten erlebte die Insel ein ständiges Hin und Her zwischen den Invasoren und den byzantinischen Verteidigern, die jedoch immer weiter zurückweichen mussten.


Buchempfehlungen der Redaktion:

➡️ Frederic Höfer: Feindbild Islam als Sackgasse

➡️ Irfan Peci: Politikon 2. Wider die Islamisten

➡️ Brian A. Catlos: Al-Andalus. Geschichte des islamischen Spanien*

➡️ Thomas Bauer: Warum es kein islamisches Mittelalter gab. Das Erbe der Antike und der Orient*

➡️ Tilman Nagel: Die islamische Welt bis 1500*


Nach der Eroberung von Palermo (831), Messina (843) und Enna (859) blieb nur die Stadt Taormina im Norden der Insel als Bollwerk gegen die vordringenden Araber übrig. Die grausame Versklavung der einheimischen Bevölkerung durch die Muslime stärkte den Durchhaltewillen der Byzantiner, und die natürlichen Gegebenheiten der Umgebung schützten die Stadt lange vor einer Eroberung. Der Untergang Taorminas wurde jedoch weniger durch einen geschickten Schachzug der Sarazenen als vielmehr durch innere Unruhen im Byzantinischen Reich herbeigeführt: Kaiser Leo VI. beorderte seine Truppen zurück nach Konstantinopel und schwächte damit die Verteidigung der Stadt empfindlich. Im August 902 wurde Taormina erobert, geplündert und verwüstet – die letzte christlich kontrollierte Stadt Siziliens war gefallen und die Insel für die nächsten 200 Jahre in muslimischer Hand.

Für Gott und Vaterland – Die zweite Belagerung von Wien (1683)

Das Osmanische Reich steht wie kein anderes muslimisches Herrschaftsgebiet für den unermüdlichen Expansionsdrang im Namen des Glaubens. Nach bescheidenen Anfängen als eines von vielen türkischen Beyliks, kleinen unabhängigen Herrschaftsgebieten zwischen den mongolischen Sultanaten im Osten und dem Byzantinischen Reich im Westen, setzten sich die Nachfahren des Stammvaters Osman I. bald gegen ihre Nachbarn durch. Es folgte eine fast 200 Jahre währende Eroberungsphase vom Balkan bis nach Nubien, vom Maghreb bis zum Schwarzen Meer. Ganze Völker wurden von den Osmanen versklavt, die Kinder christlicher Untertanen wurden als Janitscharen sogar zur Elitetruppe des Sultans.

Mit über 120.000 Soldaten war Großwesir Kara Mustafa Pascha nach Wien gezogen, nur etwa 65.000 brachte er in das Reich seines Sultans zurück. Die zermürbende Belagerung Wiens, die vernichtende Niederlage gegen das Entsatzheer unter dem polnischen König Johann III. Sobieski und der hastige Rückzug hatten den bis dahin erfolgreichen Feldherrn zu viele seiner Soldaten gekostet. Kara Mustafa wurde hingerichtet und Wien zum Mahnmal für die Durchsetzungsfähigkeit eines geeinten Europas gegen die muslimischen Invasoren.

Konflikt und Synthese

Vermitteln diese Ereignisse im großen Bild der Geschichte auch den Eindruck eines immerwährenden Kampfes der Völker und Religionen, so prägten die islamischen Einflüsse gerade an den Grenzen des christlichen Europas einzigartige Kulturen und Traditionen. Nicht zuletzt die Hinterlassenschaften in Architektur, Gesang oder Traditionen bringen den fernen Orient fast bis an unsere Türschwelle und bieten damit Möglichkeiten des Austauschs und der Verständigung. Die islamische Welt bleibt für Europa ein geheimnisvoller Nachbar, gegenüber dem es die eigene Souveränität zu behaupten, aber auch die Hand über den kulturellen Gartenzaun auszustrecken gilt.


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