Die Janitscharen – Vom Knabenzins zu Sultansmachern

Im Ukrainekrieg sind auf beiden Seiten Tausende Söldner im Einsatz. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Söldnergruppen und Privatarmeen sind so alt wie der Krieg selbst

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Die Janitscharen – Vom Knabenzins zu Sultansmachern
Die Janitscharen waren im Osmanischen Reich die Elitetruppe der Armee.© IMAGO / UIG

Meuternde Söldner, Privatarmeen mit weit verzweigten Wirtschaftsimperien, schwer bewaffnete nichtstaatliche Gruppen mit politischer Macht und Ambitionen, gelungene und gescheiterte Putschversuche, Märsche auf die Hauptstädte, blutige Niederschlagung der Aufstände, Auflösung und Eingliederung in die „offizielle“ Armee – nicht nur im heutigen Russland, auch in der Weltgeschichte gab es solche abenteuerlichen Unternehmungen. Ergo: nichts Neues unter der Sonne.

„Der Suppenmeister“

Sie waren bei Feind und Freund gleichermaßen gefürchtet. Wegen ihrer besonderen Grausamkeit ebenso wie wegen ihrer großen Kampfkraft. Der Krieg war ihr Lebensinhalt. Der Kampf war ihr Hauptgeschäft. Daneben bauten sie ein Finanzimperium aus Ländereien und Unternehmen auf. Schritt für Schritt bildeten sie einen Staat im Staate. Ihr Einfluss auf die Politik wuchs ständig. Sie waren nur dem Staatsoberhaupt direkt unterstellt. Ihr militärischer Befehlshaber trug den Titel „Suppenmeister“.

Man fühlt sich unweigerlich an Prigoschin und seine Wagner-Truppe erinnert. Schließlich trägt er den Spitznamen „der Koch“ oder „Putins Koch“. Am Anfang seiner Karriere standen Restaurants und Catering. Vom Kreml- und Armeekoch stieg er zum Söldnerführer und Multiunternehmer auf. Mehr und mehr nahm „der Koch“ die Rolle eines Volkstribunen mit politischem Einfluss ein – bis hin zum berüchtigten „Marsch auf Moskau“.

Der „Suppenmeister“ hingegen war der militärische Oberbefehlshaber der Elitetruppe der Osmanen: der Janitscharen. Ihr Name bedeutet so viel wie „neue Truppe“. Sie entstanden im 14. Jahrhundert als Leibgarde des Sultans. Zunächst rekrutierten sie sich aus dem großen Reservoir christlicher Kriegsgefangener. Das expandierende Osmanische Reich eroberte nach und nach das gesamte Byzantinische Reich, später auch den Balkan, den Kaukasus, Zypern, Kreta und Malta.

Immer neue Gebiete bedeuteten immer neue Grenzen. Zur Befriedung und Sicherung wurden Rekruten aus den eroberten Ländern ausgehoben. Da es sich um Christen handelte, wurde das System der Knabenlese oder des Knabenzinses eingeführt. Im Durchschnitt wurde jeder 40. Knabe im Alter von sieben bis 14 Jahren seinen Eltern entrissen. Im Orden der Derwische – was so viel wie „pflügen“ oder „sammeln“ bedeutet – erfolgte eine strenge muslimische Ausbildung im Geiste der Mystiker oder Sufis, wie sie im Orient genannt werden.

Das Korps als Heimat und Familie

Dies war nicht die einzige Parallele zu den Ritterorden des Christentums. Die Janitscharen lebten nach dem Gebot des Zölibats. Ihr Leben verbrachten sie auf den Feldzügen oder in den Kasernen, der „Alten Kaserne“ und der „Neuen Kaserne“ in Istanbul. Ihr Sold war eher symbolischer Natur und wurde von ihrem „Besitzer“, dem Sultan, gezahlt. Nichts Ungewöhnliches im Orient. Dafür war die Verpflegung vorbildlich. Die Führungsgrundsätze „Ohne Mampf kein Kampf“ oder „Ohne Verpflegung keine Bewegung“ könnten hier ihren Ursprung haben.

Daher rührt auch die Bezeichnung „Suppenmeister“ für den militärischen Führer. Wie bei den europäischen Landsknechtsregimentern und Freibeuterflotten des 16. und 17. Jahrhunderts gab es einen Inhaber und einen militärischen Führer: also Oberst und Oberstleutnant. Bei den Janitscharen trugen die Offiziere den Dienstgrad „Oberkoch“ und als Rangabzeichen zwei gekreuzte Löffel, als Standarte diente ein mächtiger Suppenkessel.

Das Janitscharenkorps war Heimat und Familie zugleich. Die drei Divisionen wurden als „Gemeinschaft“ bezeichnet. Der „Vater“ war der Sultan. Schließlich wurden die Männer schon als Knaben zum Dienst gezwungen. Erst mit 24 oder 25 Jahren galt man als vollwertiger Janitschar. Ähnlich wie in Sparta, wo man erst mit 30 Jahren Vollbürger wurde. Nach dem Tod eines Janitscharen ging sein Vermögen in den Besitz des Regiments über, was selbst in der Fremdenlegion mit ihrem Grundsatz „legio patria nostra“ nicht üblich ist.

Politische Macht

Wie bei Prigoschin, Wallenstein oder den Templern ging die militärische Macht Hand in Hand mit der politischen Macht, die als Bedrohung und/oder als Instrument empfunden wurde. Zunächst ging es natürlich um Geld. Nach mehreren erfolgreichen Aufständen mussten die Sultane einer Erhöhung des Soldes und regelmäßigen Belohnungen zustimmen. 1566 hob Selim II. das Zölibat auf. Türkische Familien durften ihre Söhne zu den Janitscharen schicken. Schließlich standen Karrierechancen bis hin zum Großwesir offen. 1683 wurde die Knabenlese abgeschafft. Als Landbesitzer und Geschäftsmann beschäftigte man sich mehr mit Politik als mit Krieg. Mit zunehmender Geschäftstüchtigkeit nahm die Kampfkraft ab. Dazu trug bei, dass die Söhne der Janitscharen nicht mehr die strenge Ausbildung, den „cursus honorum“, durchlaufen mussten.

Als Staat im Staate konnten Reformversuche durch die Sultane oder Großwesire im Keim erstickt werden. Sultane, wie Osman II. 1622, wurden abgesetzt und erdrosselt. Bei den Osmanen durchaus üblich, erfolgte der Putsch jedoch erstmals ausschließlich durch die Janitscharen ohne Unterstützung einer anderen Partei oder Fraktion am Hof. Vergleichbar mit dem Eigenleben der Prätorianer in Rom.

Ähnlich erging es Selim III., der mit Hilfe westlicher Militärausbilder eine moderne Armee nach europäischem Vorbild aufbauen wollte. Auch der diktatorisch regierende Großwesir und Reformer Mustafa Pascha wurde in seinem Palast belagert, bis er sich schließlich mit seinen letzten Männern in die Luft sprengte.

Das Ende der Janitscharen

Der Reformdruck nahm unterdessen mit der Niederlage in einem der zahlreichen russisch-türkischen Kriege 1808 enorm zu. Sultan Mahmud II. konnte seine Position 1826 so weit festigen, dass er die Gründung einer „Siegreichen Armee Mohammeds“ in Angriff nahm. Der darauf folgende Janitscharenaufstand sollte als der letzte von vielen in die Geschichte eingehen. Denn diesmal war dem Sultan die Unterstützung des Volkes und der übrigen Armee sicher. So konnten die Janitscharen in die Kasernen zurückgedrängt werden, wo sie von der Artillerie zusammengeschossen wurden. In der Geschichte des Osmanischen Reiches wird das Ende der Janitscharen daher als „wohltätiges Ereignis“ beschrieben.

Den ganzen Beitrag „Söldner – Söhne des Ares wie des Hermes“ lesen Sie in der FREILICH-Ausgabe 23 „Der neue linke Terror“. Dort lesen Sie über die indische Sepoy-Meuterei, die deutschen Freikorps und die österreichischen Heimwehren.