Rezension – Márton Békés: Nationaler Block. Das System der nationalen Zusammenarbeit

Der Historiker und Politikwissenschaftler Márton Békés zeigt in seinem Buch, dass hinter der Politik der ungarischen Fidesz-Partei und ihres Parteichefs mehr steckt als plumper Populismus.

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17.1.2024
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Rezension – Márton Békés: Nationaler Block. Das System der nationalen Zusammenarbeit
Nationaler Block ist im November 2023 im Jungeuropa Verlag erschienen© latoszogblog.hu

Bei dem Ungarn Victor Orbáns handele es sich um das „realpolitische Maximum unter den herrschenden EU-Verhältnissen“, schließt der langjährige Publizist Benedikt Kaiser in seinem Vorwort zu Nationaler Block. Das System der nationalen Zusammenarbeit, das Ende vergangenen Jahres im Jungeuropa Verlag veröffentlicht wurde. Das klingt zunächst einmal wenig inspirierend, da Ungarns Vorgehen gerade für junge Rechte eher wie das politische Minimum erscheint. Wer von politischer Wende spricht, denkt gern in großen Kategorien; größer, als das Binnenland inmitten des Pannonischen Beckens zunächst darstellen vermag.

Doch Békés gelingt es, die wahrscheinlich für viele Leser bislang unbekannte Welt der ungarischen Politik in kurzweiliger und doch fesselnder Art und Weise zu eröffnen. Der „Systemwechsel in zwei Etappen“, wie der Autor die Phase nach Zusammenbruch des kommunistischen Regimes bis zur Wahl Orbáns zum Ministerpräsidenten 2010 nennt. Diese Veränderungen fallen bei Békés nicht einfach aus dem Himmel, besonders die Bildung eines eigenen „historischen Blockes“ an Wählerstimmen liest sich, als ob ein Bildhauer einen Block Granit bearbeitet. Doch nicht allein der Erfolg der eigenen Arbeit, sondern auch der Misserfolg des politischen Gegners bewertet der Autor als entscheidend und räumt der Beschreibung der liberalen Regierungen 1994-1998 und 2002-2010 genügend Raum ein. Die Auslöser für das Scheitern der postkommunistisch-liberalen Regierung dieser Jahre klingt nach drei Jahren Ampelkoalition beinahe prophetisch:  

„Die Gelegenheit, die ursprünglichen Ziele des Systemwechsels von 1989/90 zu verwirklichen, ergab sich, nachdem zwischen 2008 und 2010 zwei Mythen zugleich entlarvt worden waren. Erstens brach das linke Monopol auf das Fachwissen, das zum Regieren unerlässlich ist, zusammen, als die Reformregierung der Gyurcsány-Kabinette, die zwischen 2004 und 2009 an der Macht war, in eine Krise stürzte, die nach einer gewissen Zeit nicht einmal mehr durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit kaschiert werden konnte. Zweitens wurde die Glaubwürdigkeit der progressiven Intellektuellen […] zersetzt, sodass die Gültigkeit ihrer Wirklichkeitsdeutung und die Exklusivität ihrer sprachlichen Hegemonie nicht mehr aufrechterhalten werden konnten.“

Das Regierungssystem Orbán

Während beachtliche Wahlerfolge konservativer oder rechter Parteien in Europa in den letzten Jahren keine Seltenheit waren, kann wohl keine europäische Rechtspartei einen derart langen Machterhalt vorweisen wie die Koalition Fidesz-KDNP. Die Maßnahmen zur Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen in das „Regierungssystem Orbán“ nehmen gut ein Viertel des Buches ein. Und hier sehe ich die wohl einzige Schwäche des Buches, wenn man sie als eine solche auslegt: Es fehlt die kritische Distanz. Das darf nicht als kleinbürgerliches Blöken um eine neutrale Sichtweise in politischen Belangen verstanden werden, immerhin handelt es sich beim Jungeuropa Verlag nicht um eine öffentlich-rechtliche Medienanstalt und bei Márton Békés nicht um einen Journalisten. Doch zu verschweigen, dass unter der Bildung eines „historischen Blockes“ nicht auch Menschen außerhalb dieses Blockes stehen (müssen), die Vorwürfe der Korruption auch unter Orbán-Anhängern immer wieder geäußert werden und der Wirkungskreis der Fidesz-KDNP eben nicht „die gesamte ungarische Nation mit all ihren geografischen, sozialen, demografischen und soziokulturellen Segmenten“ ist, wie es Békés behauptet.

Dabei wäre es weder für die Glaubwürdigkeit der vorangegangenen Darstellungen im Buch noch für die Strahlkraft der realpolitischen Gegebenheiten im Buch abkömmlich gewesen, diese Verhältnisse zu thematisieren. Denn bei der Analyse der politischen Opposition, der globalistisch orientierten Linken, ist Békés äußerst umsichtig und zeichnet die Bruchlinien von den 90er-Jahren bis heute akkurat nach. Wie das „Konzept der nationalen Integration“, das über das „System der nationalen Zusammenarbeit“ laut dem Autor von der gesamten ungarischen Rechten vertreten werde, jedoch jene integriere, die die Nation nicht nur als Abstammungs-, sondern auch Willensgemeinschaft ablehnen, bleibt offen. Denn hier könnte gerade die deutsche Rechte Erkenntnisse gewinnen, auf die sie mit Ausblick auf die anstehenden Landtagswahlen eventuell früher als später konfrontiert sein könnte: Mehrheitsfähige, auf kulturelle Hegemonie ausgerichtete Innenpolitik.

Die vorangegangene Kritik ändert jedoch nichts daran, dass Nationaler Block. Das System der nationalen Zusammenarbeit von Márton Békés für mich bereits jetzt zu den wichtigsten Büchern der letzten Jahre zählt. Der erfrischende Innenblick in ein System, das man selbst häufig nur durch die Linse der ausländischen Opposition zu Orbán erlebt, ist dabei nur einer von vielen Gründen. Die Erkenntnis, dass politische Erfolge jenseits des Populismus möglich und dauerhaft sein können, ist geradezu Balsam für die Seele. Es kann nur zu hoffen sein, dass die deutsche Rechte in einigen Jahrzehnten auf eine ebenso erfolgreiche Geschichte zurückblicken kann – die Bedingungen dafür sind gegeben.

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Zur Person:

Mike Gutsing, Jahrgang 1999, hat Geschichte studiert und lebt in Mitteldeutschland. Das besondere Interesse des Korporierten gilt der deutschen Geschichte und Kultur.

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