Verdeckte Ausreisemaschinerie: Wie ein Israeli Palästinenser aus Gaza ausfliegt
Der israelisch-estnische Doppelstaatsbürger Tomer Janar Lind steht im Zentrum eines rätselhaften Netzwerks, das aktuell die Ausreise hunderter Palästinenser aus Gaza über fragwürdige Kanäle und intransparente Strukturen organisieren soll.
Bereits hunderte Palästinenser wurden per Flugzeug aus Gaza ausgeflogen. (Symbolbild)
© Foto von Claudio Schwarz auf UnsplashJerusalem/Tallinn. – Eine bislang kaum bekannte Organisation bietet Palästinensern aus dem Gazastreifen an, gegen Zahlung von rund 2.000 Dollar mit Charterflügen in Länder wie Südafrika oder Indonesien auszureisen. Auf ihrer Website gibt die Organisation an, in Deutschland gegründet worden zu sein und in Ostjerusalem Büros zu betreiben. Wie die jüdische Zeitung Haaretz berichtet, existierten jedoch weder eine deutsche noch eine ostjerusalemer Registrierung. Dennoch sei die Gruppe offenbar vom israelischen Verteidigungsministerium an das Militär verwiesen worden, um die Ausreisen zu koordinieren.
Schattenstruktur steuert Abflüge aus Gaza
Wie die Zeitung weiter berichtet, verließen seit Monaten immer wieder Gruppen von Dutzenden Palästinensern über den südlich gelegenen Flughafen Ramon das Land. Laut Haaretz stehe hinter diesen Flügen eine Organisation namens Al-Majd, die sich selbst als humanitäre Einrichtung beschreibt und „Hilfe- und Rettungsmaßnahmen für muslimische Gemeinschaften in Konflikten und Kriegsgebieten“ bereitstelle. Recherchen hätten ergeben, dass hinter dieser Organisation der israelisch-estnische Doppelstaatsbürger Tomer Janar Lind stehe.
Rätselhafte Reise nach Nairobi und Johannesburg
Jüngst trat eine Gruppe von 153 Personen eine Reise an, ohne zu wissen, wohin ihr Flug sie führen würde. Erst in Nairobi stiegen sie in eine südafrikanische Chartermaschine um. In Johannesburg hätten die Behörden ihnen stundenlang die Einreise verweigert, da angeblich Unterlagen fehlten, Pässe nicht abgestempelt waren und es keine Rückflüge gab. Familien, darunter Kleinkinder, berichteten laut der Zeitung, dass sie zwölf Stunden lang ohne Wasser oder Essen in der stickigen Kabine ausharren mussten.
Scharfe Kritik aus Südafrika
Die palästinensische Botschaft in Südafrika verurteilte den Vorgang scharf. Sie sprach von „einer nicht registrierten und irreführenden Organisation, die die tragischen humanitären Bedingungen unseres Volkes in Gaza ausnutzte, Familien täuschte, Geld von ihnen sammelte und ihre Reise auf irreguläre und unverantwortliche Weise organisierte. Diese Einrichtung versuchte später, jede Verantwortung von sich zu weisen, sobald Komplikationen auftraten.“ Zudem warnte das palästinensische Außenministerium die Menschen in Gaza davor, „nicht in die Falle von Menschenhändlernetzwerken, Blutverkäufern und Vertreibungsagenten“ zu geraten.
Laut Informationen von Haaretz habe das sogenannte Büro für freiwillige Auswanderung des israelischen Verteidigungsministeriums Al-Majd an die Armeeabteilung COGAT verwiesen, um die Ausreise zu organisieren. Das 2023 gegründete Büro solle bürokratische Hürden für Palästinenser senken. Wie es genau arbeitet, sei weitgehend unbekannt.
Spuren zu einer estnischen Firma
Al-Majd behauptet, seit 2010 zu bestehen. Doch die Webseite sei erst im Februar freigeschaltet worden, die Social-Media-Links führten ins Leere und es fehlten Belege für angebliche Hilfsaktionen, beispielsweise nach dem Erdbeben in der Türkei. Zudem habe eine ältere Version des Webauftritts das Logo der estnischen Firma Talent Globus gezeigt. Laut estnischem Firmenregister sei diese erst vor einem Jahr von Tomer Janar Lind gegründet worden. Auch in Großbritannien habe er mehrere inzwischen aufgelöste Firmen registriert. Auf seiner LinkedIn-Seite erwähnt er die Unterstützung von Palästinensern in Gaza. In einem Telefonat mit Haaretz wollte er seine Rolle nicht bestreiten, zur Identität der Drahtzieher aber nichts sagen: „Ich möchte mich zu diesem Zeitpunkt nicht äußern, vielleicht später“, erklärte er.
Ausreise nur per WhatsApp und nach Geldtransfer
Die Website sammelt derzeit massenhaft Bewerbungen. Nach einer ersten Zusage verlangt Al-Majd Zahlungen zwischen 1.500 und 2.700 Dollar. Anschließend werden die Teilnehmer in WhatsApp-Gruppen aufgenommen, in denen sämtliche Absprachen über eine israelische Nummer erfolgen.
Die erste Gruppe von 57 Gazanern reiste im Mai ab, die zweite, bestehend aus 150 Menschen, im Oktober. In beiden Fällen erhielten die Teilnehmer die genaue Sammelstelle erst am Vorabend, fuhren anschließend über Kerem Schalom nach Israel und wurden dann zum Flughafen Ramon gebracht. Ein Beteiligter, Muayad aus Gaza, veröffentlichte ein Foto beim Boarding einer Maschine nach Indonesien und schrieb dazu: „Ich habe Gaza – ein Land des Krieges und des Hungers – verlassen und werde nicht zurückkehren. Solange das Töten weitergeht, Gedanken ermordet und Würde begraben wird … Friede über Gaza aus der Ferne.“
Politischer Kontext: Trumps Umsiedlungsplan
Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit griff der US-amerikanische Präsident Donald Trump die Idee auf, die Palästinenser aus Gaza „umzusiedeln“ – in Gebiete, in denen sie ungestört und ohne Gewalt leben könnten. Bei einer Pressekonferenz mit Benjamin Netanjahu erklärte er, die USA würden Gaza „übernehmen“ und in eine „Riviera“ verwandeln, während die Palästinenser in eine „schöne Gegend ein Stück weiter weg“ gebracht würden. Diese Ideen wurden von israelischen Regierungsvertretern aufgegriffen und kursieren seither als „Trump-Plan“.





