Über die Sprache als Herrschaftsinstrument in der Postdemokratie
Zwischen Deutungshoheit und Denkverbot stellt Frank-Christian Hansel die Macht sprachlicher Formeln in den Mittelpunkt. Er zeigt, wie politische Begriffe unsere Wahrnehmung steuern und was geschieht, wenn wir sie hinterfragen.
Mit ihrem Vorgehen gegen Kritiker hat die ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in den vergangenen Monaten mehrmals für Aufregung gesorgt.
© IMAGO / Christian GrubeIn Zeiten hegemonialer Diskursordnung und medialer Totalvernetzung ist nicht mehr das offene Wort, sondern die kontrollierte Sprachformel das Medium der Macht. Sprache ist nicht mehr nur Trägerin von Gedanken – sie formt sie. Sie reguliert nicht, was gesagt wird, sondern was gedacht werden darf. Wer über Begriffe herrscht, der herrscht über Wirklichkeit.
Ein Schlüssel zur ideologischen Verformung politischer Debatte liegt im modernen Neusprech – jener manipulativen Sprachform, wie sie George Orwell in „1984“ antizipierte und die heute unter neuen Vorzeichen das politisch Sagbare kontrolliert. Was einst als Begriff zur Beschreibung totalitärer Sprachkontrolle galt, ist in der Gegenwart zur unsichtbaren Normalsprache der Herrschenden geworden. Beispielhaft lässt sich das an drei Begriffskomplexen zeigen:
„Hass und Hetze“ – die semantische Abriegelung der Meinungsfreiheit
Die Formel „Hass und Hetze“ fungiert als Bannspruch gegen jede abweichende Position. Ihre Funktion ist nicht deskriptiv, sondern exorzistisch: Sie verbannt das Abweichende aus dem Raum des Legitimen. Was früher unter die Meinungsfreiheit fiel, wird heute durch diese Phrase pathologisiert und kriminalisiert. Damit erfährt die Meinungsfreiheit eine stille Umkodierung: Nicht mehr alle Meinungen sind geschützt, sondern nur jene, die sich im Rahmen der offiziellen Linie bewegen. Der Scheinpluralismus maskiert eine tiefgreifende Diskursexklusion.
„Unsere Demokratie“ – der moralische Besitzanspruch auf das Politische
Der Ausdruck „unsere Demokratie“ ist kein inklusives Bekenntnis, sondern ein ausschließender Identitätsmarker. Wer gegen „unsere Demokratie“ opponiert – sei es mit Kritik an Institutionen, Prozessen oder Akteuren –, wird nicht als Demokrat im Dissens, sondern als Faschist gebrandmarkt. So wird der Demokratismus zur autoritären Ideologie, die politische Gegnerschaft als moralische Entartung deklariert. Die Folge ist eine tiefgreifende Delegitimierung des politischen Streits – zugunsten eines moralisierten Konsenses, der keine Alternative mehr duldet.
„Rassismus“ und die Migrationsfrage – das Schweigegebot im Namen der Moral
Heute ist nicht mehr der biologische Überlegenheitswahn gemeint, sondern bereits die Infragestellung des migrationspolitischen Status quo. Der Rassist ist der, der fragt. Der Antirassist ist der, der glaubt. Migration wird der rationalen Debatte entzogen und stattdessen dem sakralen Raum der Unantastbarkeit überantwortet. Die Entpolitisierung eines politischen Themas durch moralische Aufladung ist eine der wirksamsten Strategien spätmoderner Herrschaft.
Remigration – der semantische Gegenpol zur Migrationsideologie
In diese verengte Sprachwelt hinein platzt ein Begriff wie ein Sprengsatz: Remigration. Der Ausdruck ist nicht nur eine technische Verwaltungsvokabel, sondern eine machtvolle Gegenschrift zur postmigrantischen Sprachordnung. Er formuliert die Möglichkeit der Rückkehr – nicht individuell, sondern strukturell –, und verletzt damit die erste Dogmatik der Gegenwart: dass Migration immer nur ein Hin, niemals ein Zurück kennt.
Remigration ist somit die explizite metapolitische Gegenposition zum Fundament der postnationalen Erzählung. Antonio Gramsci hätte darin den Versuch erkannt, positiv einen neuen kulturellen Hegemoniebegriff zu setzen. Er markiert das Andere der derzeitigen Ordnung. Deshalb ruft der Begriff so heftige Reaktionen hervor. Er wird nicht rational widerlegt, sondern moralisch verbrannt – in einem ideologischen Feuerritual, das seinen Ursprung in der Angst hat, dass er wirksam werden könnte. Seine Wirkmacht liegt nicht in der unmittelbaren Umsetzung, sondern in der Infragestellung des gesamten semantischen Rahmens. Er macht sagbar, was nicht mehr gedacht werden durfte – und reißt damit ein Loch in die Rüstung des moralisch unantastbaren Konsenses. In dieser Lesart wird Remigration zur strategischen Chiffre für Souveränität – territorial, kulturell, sprachlich.
Diese Beispiele verdeutlichen: Sprache ist kein neutrales Medium, sondern ein epistemisches Herrschaftsinstrument. Wer nicht spricht, wie der Diskurs es verlangt, verliert seine Legitimität als Bürger, als Intellektueller, als Mensch. Doch wer die Macht der Sprache durchschaut, kann beginnen, ihre Ordnung zu überwinden, über sie hinaus zu gehen.
Die Aufgabe der metapolitischen Kritik besteht nicht im bloßen Protest, sondern in der Schaffung neuer Begriffe, die die alte Ordnung entlarven und übersteigen. Der Begriff „Remigration“ ist ein solcher Bruchpunkt. Ihn zu denken heißt, das Undenkbare wieder in den politischen Raum zurückzuholen – als Herausforderung an eine Form der Herrschaft, die glaubt, über Begriffe auch die Zukunft kontrollieren zu können.