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Die AfD und die Paralyse der Bürgerlichkeit

In seinem Kommentar zieht Florian Sander hinsichtlich der letzten Wahlen folgende Konsequenzen für die AfD: Keine Scheuklappen mehr! Es braucht eine programmatische und habituelle Verbreiterung

Kommentar von
13.4.2023
/
5 Minuten Lesezeit
Die AfD und die Paralyse der Bürgerlichkeit

Florian Sander

Die AfD bleibt im Düsseldorfer Landtag. Den von linksgrün-medialer Seite hoffnungsvollen, teils euphorischen Prognosen im Anschluss an die Landtagswahl von Schleswig-Holstein, denen zufolge die AfD nun der Reihe nach aus den Parlamenten flöge, wurde bereits eine Woche später eine zumindest halbwegs klare Absage erteilt. Ein Dämpfer für das schon vorschnell frohlockende massenmediale Vorfeld des politischen Establishments. So weit, so gut. Aber dennoch: Zufrieden stimmen kann einen das magere Ergebnis der sogenannten „kleinen Bundestagswahl“ nicht.

Westdeutsche Ignoranz

Vorweg: Es gibt wohl keine Formulierung, die gegenwärtig die Arroganz des bundesdeutschen Westens mehr zum Ausdruck bringt als die oben genannte, vielleicht nur noch übertroffen von einer Formulierung eines ZDF-Journalisten am Wahlabend, nach der NRW „die Bundesrepublik in klein“ sei. Durch kaum etwas wird die Parallelwelt, in der die Akteure der Systemmedien leben, deutlicher, als durch derlei Formulierungen, die nur allzu klar aussagen, dass die Lebensrealitäten und Einstellungen in den neueren Bundesländern für sie nicht wirklich dazu gehören – und das, obwohl sie sich eben bei Wahlen regelmäßig in teils äußerst unterschiedlichen Ergebnissen ausdrücken, meist zugunsten der AfD, früher auch zugunsten der Partei Die Linke. Man hält sich in seiner westdeutsch-etablierten Abgehobenheit für repräsentativ für die Bundesrepublik – alle anderen Regionen rangieren unter „ferner liefen“ oder eben gleich „Dunkeldeutschland“.

Es ist bedauerlich und ärgerlich, wenn sozialstrukturelle Realitäten, die vom Selbstbild abweichen, nicht zur Kenntnis genommen werden. Bei Medienleuten allemal – noch mehr aber, wenn es in Teilen der AfD genauso ist. Regelrecht absurd wird es, wenn nun einzelne West-Vertreter der Partei meinen, den notorisch erfolgreicheren Ost-Vertretern erklären zu müssen, woran es lag, und die jüngsten Entwicklungen allen Ernstes zum Anlass nehmen wollen, eine neue Episode der Rechts-Distanzieritis einzuleiten. Dass es diese nicht braucht, sollten andere Beiträge an dieser Stelle mehr als oft genug deutlich gemacht haben. Was es allerdings braucht, ist eine thematische, aber eben auch personelle Verbreiterung der Partei. Letztere symbolisiert und unterstützt dabei die erstere in der alltäglichen Kommunikation.

Jüngste Umfragen zur Wahl haben gezeigt, dass der AfD die meisten Kompetenzen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung zugestanden werden. Dies ist nichts Neues. Zugleich zeigte die vom WDR veröffentlichte Erhebung aber auch, dass ihr deutlich geringere Kompetenzen in den Bereichen der sozialen Gerechtigkeit, der Arbeitsplätze, der Bildungspolitik und der Wohnungspolitik zugestanden werden. Felder, in denen nicht nur die AfD der östlicheren Bundesländer, sondern etwa auch Le Pens Rassemblement National (RN) in jener Erhebung wohl deutlich besser dagestanden hätte – mit ein Grund dafür, wieso es letztere eben in die Stichwahl zur französischen Präsidentschaftswahl geschafft hatte. Le Pen ist es personell, habituell und programmatisch gelungen, sozial benachteiligte Schichten anzusprechen und als Wähler zu gewinnen.

Soziodemografische Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Nun ist aus der West-AfD bei derlei Einwänden inzwischen fast reflexhaft zu hören, der Westen sei ja soziodemografisch nicht identisch mit dem Osten. Aber ist diese Diagnose eigentlich so zutreffend? Nordrhein-Westfalen etwa hat, vor allem im Rheinland oder in Ostwestfalen, zwar – wie übrigens u. a. Berlin-Brandenburg auch – seine „Speckgürtel“. Zugleich besteht es aber in seinem Kern auch aus einem extrem post-industriell und inzwischen von Leerständen und sozialen Schieflagen geprägten Ruhrgebiet, das an vielerlei Orten von Teilen des abgehängten Ostens sozialstrukturell kaum zu unterscheiden ist, ja oft sogar noch schlechter dasteht. Allerhöchstens mit Blick auf den Anteil der Migranten gibt es Unterschiede – Migranten, welche aber in nicht geringen Teilen und selbst in Städten des westfälischen Speckgürtels selbst mittlerweile zur Wählerklientel der AfD gehören oder sich zumindest für diese offen zeigen, da eben sie es sind, die zuweilen als erstes die Konsequenzen von offenen Grenzen, fehlendem Wohnraum oder eben Preissteigerungen zu spüren bekommen, und die oftmals – man denke hier an italienische oder griechische Gastarbeiterfamilien – für Islamismus und Clan-Kriminalität kaum mehr übrig haben als die Biodeutschen, ja die sogar als erstes darunter leiden, da sie in den zuerst betroffenen Vierteln leben.

Mit anderen Worten: In diesen Bereichen liegt ein nicht unbeträchtliches Potenzial, das aber der AfD-Landesverband NRW – so viel lässt sich nun nach dieser Landtagswahl sicher sagen – nicht zur Genüge genutzt hat. Zwar gibt es hoffnungsvolle Entwicklungen wie etwa eine spürbare Verjüngung der Landesliste, die vermutlich und hoffentlich zu frischem Wind in der neuen Landtagsfraktion führen wird. Verjüngung allein reicht jedoch nicht, sondern es muss eine thematische und habituell-persönliche Verbreiterung her. Was heißt das genau?

Wenn der AfD die Kompetenzen in Sachen soziale Gerechtigkeit, bezahlbarer Wohnraum usw. abgesprochen werden, dann liegt dies natürlich nicht daran, dass sie diese Themen nicht kommuniziert hätte. Das hat sie auch in diesem Landtagswahlkampf durchaus getan – sowohl im Wahlprogramm als auch im konkreten Wahlkampf, der auf kurze, prägnantere Botschaften setzte. Wer jedoch auch langfristig, abseits populistischer Stimmungspolitik, Themen glaubwürdig setzen und artikulieren will, der muss mehr tun als das – nämlich zeigen, auf welche Weise er dies umsetzen will. Bloße Empörungsrhetorik und „Unglaublich!!!“-Postings im Boomer-Stil allein sind hier nicht zielführend.

Schreckgespenst Umverteilung

Wer soziale Probleme adressieren will, der Muss auch sagen, wie er sie lösen will. Und hier kommt man schließlich an jene Kröte, die für manch allzu bürgerlich-liberalen Parteifreund, der habituell eigentlich immer noch eher in den Sphären der alten FDP verankert ist, nur schwer zu schlucken ist, die er aber perspektivisch wird schlucken müssen, wenn er bzw. sein Landesverband nicht bei Ergebnissen auf FDP-Niveau – also in der Einstelligkeit – verharren will. Diese Kröte heißt: Umverteilung.

Ist es zu rechtfertigen, wenn in Zeiten, in denen zunehmend größere Teile der Bevölkerung Probleme bekommen, ihre Heizung, ihren Strom, ihr Benzin, ihre Lebensmittel zu bezahlen, zugleich eine zweistellige Anzahl von Familien im Land besteht, deren Milliardenvermögen jeweils für sich genommen so viel umfassen wie das eben jener weiten Teile der Bevölkerung zusammengenommen? Lässt sich ein solches Ausmaß an sozioökonomischer Ungleichheit auf „Leistung“ zurückführen? Wer bitte „leistet“ so viel, dass dieses Ausmaß mit jenem liberalen Konzept zu rechtfertigen wäre, insbesondere in diesen Zeiten? „Leistet“ ein Topmanager oder ein Aufsichtsrat so viel mehr als die Krankenschwester oder die Altenpflegerin? Und, hier die Gretchenfrage für die AfD: Hat es auch nur annähernd etwas mit „Patriotismus“ zu tun, diese Problematik nicht zu thematisieren? Hat es auch nur annähernd etwas mit „Patriotismus“ zu tun, Mietpreis-treibende Heuschrecken wie die „Deutsche Wohnen AG“ vor Enteignung zu schützen?

Marine Le Pen war auch deswegen für rechte Verhältnisse erfolgreich, eben weil sie diese Scheuklappen der liberalen Bürgerlichkeit nicht hatte. Sie war erfolgreich, weil sie dieses heiße Eisen angepackt hat, ohne milieubedingte Scheu, ohne Etepetete, ohne vor dem Igitt-Igitt-Faktor des „Sozialismus“-Vorwurfs aus bürgerlicher Ecke zurückzuschrecken, der eigentlich nicht weniger unterkomplex, nicht weniger affektgesteuert ist als die Nazikeule von links.

Personelles Angebot verbreitern

Wer glaubwürdig soziale Probleme so ansprechen will, dass dies bei den Betroffenen auch entsprechend ankommt, der muss eben solche tieferen Ursachen und Schieflagen ebenfalls adressieren, und dies auch personell glaubwürdig. Konkret bedeutet das, dass sich im Personal der Partei diese Öffnung für unterschiedliche Lebenswelten widerspiegeln muss. Erst dies öffnet den Weg, irgendwann einmal der Dimension und der Natur einer echten „Volkspartei“ wenigstens nahe kommen zu können – denn wer für „das Volk“ sprechen will, der muss als Partei eben auch möglichst all dessen Facetten in sich widerspiegeln.

Dies ist, so viel sollte klar sein, kein Plädoyer für Quoten oder dergleichen (diese würden eben das Gegenteil dessen bedeuten, weil sie das positive Leistungsprinzip aushebeln) – wohl aber für eine gewisse persönliche und habituelle Verbreiterung, die auf Charisma und revolutionäre Energie setzt anstatt auf die betont vor sich her getragene, behäbige „Normalität“ von Kandidaten, die in ihrem Auftreten an CDU-Politiker der 90er Jahre erinnern anstatt eine Partei zu symbolisieren, die optimistische, positive, manchmal auch bewußt freche und provokante Heimatliebe verkörpern könnte. Auch diesen aktivierenden Schwung hat der RN Le Pens vorgemacht.

Übrigens: All diese Kritik soll nicht jene Probleme und Barrieren negieren, denen gerade auch AfD-Politiker im Westen tagtäglich und – so viel muss man durchaus hinzufügen – mitunter mehr als im Osten der BRD ausgesetzt sind, wie der Autor dieser Zeilen als westfälischer Kommunalpolitiker bestätigen kann. Ja: Die Zeitungen und die Medien schweigen uns inzwischen tot. Ja: Die Antifa ist in Teilen NRWs (ähnlich wie in Niedersachsen und Hamburg) personell deutlich stärker, aggressiver und stadtgesellschaftlich verankerter als anderswo in der Bundesrepublik. All dies ist Fakt, und es wäre fair von anderen Landesverbänden der Partei, diese Fakten nicht gänzlich auszublenden, wenn sie die Politik ihrer westlichen Pendants beurteilen.

Konklusion

Und dennoch negiert dies eben nicht die Notwendigkeit einer programmatischen, personellen und habituellen Rundum-Erneuerung, die auch neue Wählerklientele anspricht – Wählerklientele übrigens, die mitunter von den Systemmedien genauso wenig erreicht werden wie die bisherigen Wählergruppen der AfD, die also durchaus noch unbeeinflusst sind von der tagtäglichen politischen Indoktrination, die aber eben von allen Parteien, auch der AfD, bislang noch viel zu sehr ignoriert werden. Um diese zu erreichen, braucht es unverbrauchte Repräsentanten der Partei, die in ihrer Biografie, ihrem Auftreten und in ihrer Außenwirkung nicht dem allgemein gezeichneten Klischee entsprechen und keine Scheu haben, programmatisch in neue Richtungen vorzustoßen; die echte Lösungen für bestehende soziale Probleme offerieren – und die aus der Paralyse der spießbürgerlichen Vorgarten-Behäbigkeit herauszuführen imstande sind.


Zur Person:

Dr. Florian Sander, geboren 1984, studierte Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Bielefeld. Er publiziert in verschiedenen patriotischen Medien.

Hinweis: Dieser Kommentar wurde im Jahr 2022 erstmalig im Konflikt Magazin veröffentlicht.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.

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