Demografie in Asien: Taiwan schafft sich ab

Unter der Demokratischen Fortschrittspartei (DFP) bekämpft Taiwan die Einwanderung vom chinesischen Festland. Doch warum öffnet die amerikafreundliche Partei den Inselstaat für kulturfremde Migranten aus Indien?

Analyse von
2.2.2024
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8 Minuten Lesezeit
Demografie in Asien: Taiwan schafft sich ab
Unterstützer des Präsidenten Lai ching-te© IMAGO / ZUMA Wire

Taiwans Zukunft ist düster: Das Land mit seinen knapp 24 Millionen Einwohnern vergreist, das Durchschnittsalter liegt bei 43 Jahren. Die Geburtenrate pro Frau sank 2022 auf unter 0,9. Zum Vergleich: Die Deutschen sind im Schnitt 45 Jahre alt, bekommen aber immerhin 1,5 Kinder pro Frau.

Zur Linderung des Arbeitskräftemangels importierte der Inselstaat 1991 erstmals 3.000 Gastarbeiter aus Thailand. Laut dem Arbeitsministerium befanden sich im September vergangenen Jahres bereits 750.000 Arbeitsmigranten in Taiwan. Fast alle stammen aus Indonesien, Vietnam und den Philippinen.

Aufregung um indische Facharbeiter

Auf einer Pressekonferenz am 9. November 2023 verkündete ein Sprecher des indischen Außenministeriums, dass seine Regierung mit Taiwan über ein Abkommen zur Anwerbung indischer Gastarbeiter verhandle. Laut einer Quelle in der taiwanesischen Regierung soll das Abkommen zur Anwerbung von Fachkräften in der Industrie, im Baugewerbe, in der Landwirtschaft und in der Altenpflege bis Ende 2023 unterzeichnet werden.

In der aufgeladenen Stimmung des Präsidentenwahlkampfs schlug die Nachricht ein wie eine Bombe: Über X, Facebook und Line verbreitete sich das Gerücht, ein Abkommen zur Anwerbung von 100.000 Indern sei bereits unterzeichnet. Der Inder-Ansturm würde die Löhne drücken und die Sicherheit taiwanesischer Frauen gefährden.

Sriparna Pathak beschuldigte Taiwan in einem Meinungsbeitrag auf NDTV am 16. November, „Rassismus“ und „Falschinformationen“ zu verbreiten. Die Ressentiment-Journalistin warnte, dass die Stereotypisierung indischer Arbeiter jede Möglichkeit einer indisch-taiwanesischen Zusammenarbeit zunichte mache. Die „bösartige Propaganda“ gegen Inder in den sozialen Medien übersehe, dass sexuelle Gewalt auch in Taiwan vorkomme.

Mit der deutschen Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 lässt sich Pathaks Einzelfall-Logik kontextualisieren. Aus der PKS-Tabelle 62 in Verbindung mit Daten aus der Ausländerstatistik geht hervor, dass nur drei von 100.000 Chinesen wegen Vergewaltigung verdächtigt wurden. Demgegenüber waren im gleichen Zeitraum 14 von 100.000 Indern tatverdächtig. Inder waren 2022 in Deutschland also fast fünfmal so häufig der Vergewaltigung verdächtig wie Chinesen.

Taiwans Establishment betreibt Schadensbegrenzung

Taiwans Arbeitsministerin Xu Mingchun (DFP) bemühte sich noch am selben Tag um Schadensbegrenzung. Zu Medienvertretern sagte Xu, ein Abkommen zur Anwerbung indischer Gastarbeiter sei noch nicht unterzeichnet worden. Die Behauptung, Taiwan wolle 100.000 Inder importieren, sei eine „Falschnachricht“ (jia xiaoxi). Sie warnte ihre Mitbürger vor „der Falle kognitiver Kriegführung“.

Inzwischen war aus der taiwanesischen Einwanderungsdebatte eine außenpolitische Krise geworden. Der X-Account des taiwanesischen Außenministeriums verlinkte am 21. November Pathaks „Rassismus“-Vorwurf. „Als eine pluralistische Gesellschaft“, versicherte das Außenministerium auf Englisch, werde man Gastarbeitern aus Indien vorurteilsfrei begegnen.

In einem weiteren Post beschuldigte das Außenministerium die Volksrepublik China, hinter dem „jüngsten Anstieg rassistischer Kommentare“ zu stecken. Schützenhilfe erhielt das Außenministerium vom transsexuellen Digitalminister Tang Zonghan (parteilos), dessen Vorname auf Chinesisch inzwischen „Feng“ (Phönix) und auf Englisch „Audrey“ lautet. Die US-Denkfabrik Council on Foreign Relations lobte Tang im Sprachrohr Foreign Affairs für seinen Einsatz gegen „chinesische Propaganda“. Tang habe mit ChatGPT betriebene Bots einsetzen lassen, um im Wahlkampf gemeinsam mit der „Zivilgesellschaft“ (civil society) unliebsame Informationen zu diskreditieren.

Die gleiche Meinung vertraten Tangs Regierungskollegen. Das taiwanesische Außenministerium postete auf X, dass China Fake-Accounts verwende und Informationen manipuliere, um die taiwanesisch-indische „MilkTeaAlliance“ zu brechen.

Taiwanesen protestieren: kein Herz für Inder

Gegen die „MilkTeaAlliance“ protestierten am 3. Dezember im Regierungsviertel von Taibei rund 100 junge Taiwanesen. Die taiwanesische Zeitung Baodaozhe berichtete, dass die schwarz gekleideten Aktivisten in unmittelbarer Nähe des Präsidentenpalastes auf dem Kedagelan-Boulevard tellergroße Plakate mit der Aufschrift „Taiwans Demokratie schützen / Großkundgebung / 123, Indien kommt vorbei“ in die Höhe hielten.

Auf einer mitgebrachten schwarzen Pappwand präsentierten die Aktivisten ihre Forderungen: 1) Stopp der Aufnahme weiterer Gastarbeiter, 2) Aussetzung von Anwerbeabkommen per Referendum, 3) Bessere gesetzliche Überwachung von Gastarbeitern, 4) Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Taiwan.

Die Organisatorinnen Yuna und Livia verrieten Baodaozhe, dass sich die Teilnehmer zuvor online über die sozialen Netzwerke Line und Discord vernetzt hätten. Um sich vor gesellschaftlichen Konsequenzen zu schützen, würden die Teilnehmer Pseudonyme verwenden. Auf den von Baodaozhe veröffentlichten Fotos tragen die meisten Aktivisten einen Mundschutz.

Inder sind geopolitischer Spielball

Die geopolitische Dimension des indischen Gastarbeiterdramas wird in einer Talkshow des taiwanesischen Senders SET News deutlich, welcher der pro-amerikanischen Demokratischen Fortschrittspartei (DFP) nahesteht. Der DFP-Politiker Wang Yichuan warf dem Präsidentschaftskandidaten der Guomindang, Hou Youyi, in der Sendung vom 6. Dezember einen Doppelstandard vor: Hou befürworte die Einreise von chinesischer Studenten nach Taiwan, protestiere aber vehement gegen die Anwerbung indischer Gastarbeiter.

Ma Yingjiu (Guomindang) öffnete Taiwan 2011 für Austauschstudenten aus der Volksrepublik China. Am Ende seiner Präsidentschaft befanden sich bereits 42.000 chinesische Studenten auf der Insel. Als Cai Yingwen (DFP) 2016 die Nachfolge von Ma antrat, wurden die Austauschprogramme radikal zurückgefahren. „Diese neue Situation ähnelt stark der des Kalten Krieges, als es keinen Personenaustausch gab“, sagte Zuo Zhengdong, ehemaliger Leiter des Guomindang-Büros für Festlandangelegenheiten.

Die Oppositionspartei Guomindang verfügt im Gegensatz zur regierenden DFP über eine chinafreundliche Wählerbasis. Eine Flutung Taiwans mit chinafeindlichen Indern ist für die Guomindang ein rotes Tuch. Für die USA hingegen wäre eine Indisierung Taiwans geopolitisch nicht von Nachteil. Guomindang-Wähler stammen überwiegend von hanchinesischen Einwanderern ab, die erst in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre nach Taiwan kamen. Ihre familiären und kulturellen Bindungen zum Festland sind daher besonders stark.

Guomindang gegen, DFP für Inder

Zhao Shaokang, Kandidat der Guomindang für die Vizepräsidentschaft im vergangenen Wahlkampf, ist ein Beispiel dieser taiwanesisch-chinesischen Verbindung. Sein Vater wurde in Hebei geboren und floh 1949 als Offizier mit Chiang Kai-shek vor Maos Kommunisten vom Festland nach Taiwan. Zhao sprach sich in der Vergangenheit häufig für eine Wiedervereinigung Taiwans mit China aus.

Xiao Meiqin (alternative Schreibweise: Hsiao Bi-khim) symbolisiert dagegen die transatlantische Ausrichtung der herrschenden DFP. Die designierte Vizepräsidentin Taiwans wurde als Tochter eines taiwanesischen Pastors und einer weißen Amerikanerin in Japan geboren. Bereits im August 2013 sagte Xiao, dass sie mehrere Gesetzesvorschläge eingebracht habe, um Ausländern die Einbürgerung in Taiwan zu erleichtern. Wer sechs Jahre in Taiwan lebe, so Hsiao, solle die taiwanesische Staatsbürgerschaft erhalten.

Dass Hsiao als Agentin des US-Wokeismus agiert, zeigt sich auch an ihrer Reaktion auf die Legalisierung der Homo-Ehe. Diese hatte der taiwanesische Gesetzgeber 2019 gegen ein Referendum des Volkes durchgesetzt. Gegenüber The Diplomat sagte Hsiao im Februar 2021: „Taiwan hat einen langen Weg zurückgelegt, um eine der liberalsten und globalsten Gesellschaften Ostasiens zu werden. […] Soziale Werte und Respekt für Vielfalt und Offenheit sind zu einer wichtigen Eigenschaft von Taiwan geworden.“

Taiwans neuer Präsident für Masseneinwanderung

Taiwans designierter Präsident Lai ching-te (DFP) postete am 18. Dezember zum UN-Feiertag „International Migrants Day“: Ein Foto zeigt den Wahlkämpfer hinter einer Gruppe südostasiatischer Frauen. Zwei der Frauen tragen das traditionelle Ao Dai in den vietnamesischen Nationalfarben. Unter dem Foto steht auf Englisch, dass Migranten Taiwan „bereichern“ würden. Im Textfeld über dem Foto schreibt Lai ebenfalls auf Englisch, dass Migration Taiwan „divers“ mache.

Zwei Tage später lieferte sich Lai im taiwanesischen Fernsehen einen Schlagabtausch mit seinem Konkurrenten von der Guomindang. Hou Youyi, Spitzenkandidat der Guomindang im Präsidentschaftswahlkampf, warf der regierenden DFP vor, 100.000 indische Einwanderer nach Taiwan importieren zu wollen. Lai entgegnete: Die Behauptung sei bereits widerlegt und warf seinem Kontrahenten die Verbreitung von „Fake news“ (jia xunxi) vor.

Lai wurde am 13. Januar zum neuen Präsidenten Taiwans gewählt. Als Vize der noch bis Mai amtierenden Präsidentin Cai Yingwen ist er seit bereits acht Jahren in die hohe Politik der DFP eingeweiht. Die westextreme Ausrichtung der designierten Vizepräsidentin, Xiao Meiqin lässt erahnen, dass Taiwan in den nächsten vier Jahren noch woker und diverser werden wird. Die Zukunft des geburtenschwachen Landes scheint nur zwei Wege zu kennen: Auflösung der taiwanesischen Identität als Protektorat der USA durch Masseneinwanderung oder Resinisierung im Zuge der Wiedervereinigung mit dem Mutterland.


Zur Person:

Jonas Greindberg studierte Geschichte und Sinologie in Süddeutschland. Seit Oktober 2022 schreibt er für FREILICH über Hamburger Lokalpolitik, Kriminalität und Einwanderungspolitik.