„The Menu“ – Ein Krimi-Dinner mit Biss

Ein Film, so erlesen zusammengestellt wie die Speisekarte eines feinen Restaurants, der mit leicht zu verdauenden Botschaften überrascht.

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„The Menu“ – Ein Krimi-Dinner mit Biss

The Menu

© © 20TH CENTURY STUDIOS

Eine einsame Insel, zwölf Gäste und ein berühmter Chefkoch, der für ein Abendessen 1.250 US-Dollar verlangt – ein einfaches Szenario, in das der Zuschauer ohne großen Aufbau hineingeworfen wird. Tyler (Nicholas Hoult) und seine Begleitung Margot (Anya Taylor-Joy) sind von prominenten Gesichtern umringt, während sie mit einer Yacht zur abgelegenen Insel Hawthorn und dem gleichnamigen Restaurant von Meisterkoch Julian Slowik (Ralph Fiennes) unterwegs sind. Darunter sind die berühmte Restaurantkritikerin Lillian Bloom (Janet McTeer) oder der Schauspieler George Diaz, die gemeinsam mit den anderen Gästen jeweils ganz unterschiedliche Gründe haben, den Abend mit einem so exklusiven Dinner zu feiern.

Im Gegensatz zu ihrem Freund Tylor kann Margot jedoch mit der fein zubereiteten Haute Cuisine nur wenig anfangen und findet auch bald heraus, dass ursprünglich eine andere Frau an ihrem Platz sitzen sollte. Diese beiden Tatsachen sorgen nicht nur beim Zuschauer für Irritation, auch dem militärisch gedrillten Küchenpersonal sowie Meisterkoch Slowik stößt diese Tatsache im Verlaufe des Films sauer auf. Der Schauplatz der rauen und doch idyllischen Ostküsteninsel unterstreicht die Grundstimmung des Films, dass es an diesem Abend scheinbar nicht nur um das Essen geht.

Jeder Gang ein Genuss

Nach Filmen wie Avatar überrascht The Menu nicht nur durch seine angenehme Laufzeit von 108 Minuten. Das Science-Fiction-Abenteuer von Regisseur James Cameron verlangte dem Zuschauer mit seinen 193 Minuten Spielzeit einiges mehr ab. Alles wirkt mindestens so fein choreographiert wie die Speisen im Film. Schnitte und Musik sind teilweise so deutlich auf die Handlung abgestimmt, dass es dem Zuschauer sofort auffällt. Das ist nichts Schlechtes – wie Küchenchef Slowik fordert auch Regisseur Mark Mylod seine Gäste indirekt dazu auf, nicht „einfach nur zu essen“, sondern über das Konsumierte nachzudenken. Das wirkt nicht aufgesetzt, alles bewegt sich im Thema des Films und schon während des Betrachtens beginnt man, das Geschehen einzuordnen. Wo liegen die eigenen Sympathien? Wäre man eher Teil der „Scheißeschaufler“ in der Küche oder ist man doch eher Teil der „Nehmer“ im Gästebereich?

Der Film spielt mit dem Zuschauer, der mit der jungen Frau Margot in der Welt der Haute Cuisine immer wieder aneckt, und skizziert dabei einen Gegensatz von ehrlicher, kunstvoller Arbeit und überheblicher Dekadenz. Das ist keine plumpe Klassenkampfromantik, der Film besticht durch seinen äußerst unterhaltsamen Humor und seine durchkomponierte Ästhetik. Getragen wird er vor allem von Ralph Fiennes, der als Mischung aus Gordon Ramsey und Hannibal Lecter Zuschauer und Gäste auf eine nervenaufreibende Reise entlang der filmischen Speisekarte mitnimmt. Jeder Akt des kammerspielartigen Films bekommt einen eigenen kulinarischen Gang und doch bleibt die Frage, ob Kinobesuchern nach dem Dessert der Appetit nicht wohlmöglich vergangen sein könnte.

Leicht bekömmlich, wenn auch schwer im Abgang

The Menu feierte seine Premiere beim Toronto International Film Festival 2022 und gilt bereits jetzt als heimlicher Oscar-Kandidat. Die Mischung aus Thriller und Komödie hat ein sehr angenehmes Tempo, das bei Bedarf jederzeit beschleunigen und abbremsen kann. Der Film kümmert sich nicht in geradezu reaktionärer Weise um den Zuschauer und überfordert ihn nicht mit Dutzenden von Hintergrundgeschichten, Erzählsträngen oder Nebenhandlungen. Das entspannt beim Zuschauen und lenkt die Aufmerksamkeit auf die zentralen Themen.

Der Film greift mehrere Themen auf, mit bekannten Motiven und doch frisch inszeniert. Im Mittelpunkt steht, wenig überraschend, die Kunst des Kochens, aber auch Yuppie-Kultur, Konsumkritik und der Umgang mit der Leistung anderer spielen eine große Rolle. Gegen Ende wird The Menu fast philosophisch. Was bleibt von der Kunst, wenn man ihr das Herz, den Mythos, das Rätselhafte nimmt, und was bleibt von den Menschen dahinter, den Künstlern? Der Film gibt eine klare Antwort und hinterlässt doch einen bitteren Nachgeschmack.

The Menu auf dem Weg zur Leibspeise

Die Atmosphäre des Films erinnert deutlich an Werke wie Book on Eli, Joker oder auch Shutter Island. Es sind Filme, von denen man schon nach dem ersten Kinobesuch weiß, dass sie es wert sind, noch einmal gesehen zu werden. Filme dieser Art können abendfüllende Unterhaltung oder wahre Stundenfresser sein, je nachdem, wie viel der Zuschauer zu investieren bereit ist. The Menu bietet die Möglichkeit, sich zurückzulehnen und dem Drama seinen Lauf zu lassen, aber er motiviert auch zu viel mehr.

Beim Schreiben dieser Kritik stellt sich die gleiche Frage wie dem Chefkoch im Film: Nimmt man dem Werk durch die öffentliche Kritik, durch die Autopsie seines Körpers bereits den Zauber des Geheimnisvollen? Oder liegt die Kunst darin, das Einfache in höchster Qualität zu produzieren? Ab wann ist eine kulturelle Leistung nicht nur ein Konsumprodukt, sondern eine Erfahrung? The Menu stellt all diese Fragen und serviert dem Zuschauer einfache, aber nicht unbedingt die besten Antworten auf dem Silbertablett.

Über den Autor

Mike Gutsing

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