„Kulturelle Aneignung“: Wie Cancel Culture die Kulturszene unter Druck setzt

Dürfen Blonde Rastalocken tragen? Darf man sich Buddha-Figuren ins Badezimmer stellen, Kindergesichter beim Sternsingen schwarz anmalen oder sie an Karneval in Indianerkostüme stecken? Seit einigen Jahren wird auch in Deutschland verstärkt über kulturelle Aneignung diskutiert.

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„Kulturelle Aneignung“: Wie Cancel Culture die Kulturszene unter Druck setzt

Viele meinen, nur Schwarze dürfen Dreadlocks tragen

© IMAGO / Rolf Zöllner

Ob Poncho, Rastazöpfe oder Indianerkostüm – die Kritik an vermeintlich rassistischen Stereotypen in unserer Alltagskultur beherrscht in den letzten Jahren immer häufiger die Schlagzeilen von Tages- und Wochenzeitungen. Debatten um Klassiker wie die „Winnetou“-Bücher von Karl May ziehen sich mitunter über Monate hin, selbst Kinderbücher mit „unsensiblen Klischees“ werden aus dem Verkehr gezogen. Kritiker bezeichnen solche Vorfälle als „kulturelle Vereinnahmung“, aber was bedeutet das eigentlich?

Der Begriff „cultural appropriation“ entstammt dem Sprachgebrauch der angloamerikanischen „cultural studies“, die bis heute als stark politisiertes Forschungsfeld gelten. Er beschreibt zunächst wertneutral die Aneignung von Merkmalen einer Kultur durch eine andere. Kulturelle Aneignung ist also in der Theorie vor allem ein Teil der Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Kulturen, wie sie in der Geschichte und heute die Normalität darstellen. Beispiele hierfür sind der Austausch von Lebensgewohnheiten zwischen den skandinavischen Wikingern und der indigenen Bevölkerung in England, Frankreich oder Osteuropa. Auch Integration und Assimilation sind Möglichkeiten des Kulturaustausches, die eine vollständige oder teilweise Übernahme von Kulturmerkmalen durch eine Minderheit darstellen.

Schwarze Kultur wird angeblich ausgenutzt

Kulturelle Aneignung wurde zuerst von den „Critical Race Studies“ in den 1990er-Jahren problematisiert. Vor allem afroamerikanische Aktivisten und Intellektuelle versuchten, auf die Ausbeutung schwarzer Kultur in der Musik- und Filmindustrie aufmerksam zu machen. Inzwischen ist diese Strömung im angloamerikanischen Raum von der „Critical Whiteness“-Bewegung überlagert worden. Beide Diskurse sind vom linksliberalen Denkmuster der „Reflexion von Machtverhältnissen“ bestimmt. Eine unüberschaubare Menge an deutscher und internationaler Literatur dreht sich in den letzten Jahren um die Frage, was es bedeutet, „weiß“ oder „schwarz“ zu sein. Das Chaos der verschiedenen Theorien, Begriffe und Interpretationen ist selbst für Fachleute und professionelle Aktivisten nur noch schwer zu deuten, aber in der Übersicht ergibt sich folgendes Problemfeld.

Die linke, meist dezidiert anti-weiße beziehungsweise hier auch antideutsche Position der „cultural race studies“ spricht von Kulturen nicht als organisch gewachsene Sammlung von Eigenheiten einer abgrenzbaren Gruppe von Menschen, wie sie vielleicht aus konservativ-rechter Sicht beschrieben werden könnte. „Weiße“ Kulturen werden als Konstrukte ungleicher Machtverhältnisse verstanden, die es bestenfalls emanzipatorisch aufzubrechen oder gar abzuschaffen gilt. Ihnen stehen die „farbigen“ Kulturen gegenüber, die je nach Bedarf einer Ethnie zugeordnet werden können. Die Mehrheitsgesellschaft, so die „Critical Whiteness“-Theorie, profitiert von alten Machtverhältnissen wie dem Kolonialismus und eignet sich Kulturelemente der Unterdrückten an, weil diese als besser, exotischer oder nützlicher als die eigenen angesehen werden. Die Begriffe „schwarz“ und „weiß“ stehen für die Rolle im Machtverhältnis, aber auch hier gibt es heftige Debatten über die Verwendung der Begriffe.

Nur Weiße können ausbeuten

Welche Stilblüten diese Theorien treiben können, zeigen die aktuellen Debatten seit dem Ukrainekrieg. Der innere Kreis der linken „Kritischen Weißen“ beschäftigt sich auch mit der Frage, welche Seite des Konflikts nun „weiß“ sei, da beide in der Vergangenheit von Machtverhältnissen profitiert hätten, die als rassistisch, patriarchal oder diskriminierend gelten. Ähnlich verhält es sich mit der „kulturellen Aneignung“. Dieser Ausbeutung fremder Kulturen können sich per definitionem nur „weiße“ Kulturen schuldig machen. Gerade Sänger, Künstler oder andere Medienschaffende geraten immer wieder ins Sperrfeuer solcher Vorwürfe. So wurde auch der bekannte Musiker und Comedian Helge Schneider im Februar 2023 mit der Frage konfrontiert, was er zu einem „Jazzverbot“ sagen würde, da er ja schließlich ein weißer Mann sei. Er erteilte dem Konzept der „kulturellen Aneignung“ eine klare Absage.


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Auch linke Künstler haben ihre Schwierigkeiten mit der „kulturellen Aneignung“. Der deutsche Reggae-Musiker Gentleman, der im kreolischen Dialekt Partois musiziert, sagte in einem Spiegel-Interview: „Ich weiß nicht, ob ich mit dem heutigen Zeitgeist anfangen würde, auf Patois Reggae zu machen. Ich wäre heute nicht mehr so unbefangen wie früher.“ Dabei hat er nichts gegen den Begriff, der für ihn etwas mit „Lernen“ zu tun hat. Auch der von Feministen und linken „Antirassisten“ gefeierte Musiker Peter Fox wurde für sein Lied „Zukunft Pink“ wegen kultureller Aneignung kritisiert. Malcolm Ohanwe, ständiges Sprachrohr der linken Afro-Community in Deutschland, kommentierte auf Twitter: „Peter Fox wird sich jetzt eine goldene Nase verdienen mit südafrikanischem Amapiano, während Schwarze Menschen in den Clubs, wo genau dieser Song rauf und runter gespielt wird, an der Tür abgewiesen werden. Love it.“

„Diskriminierende Machtverhältnisse“, die weiße Mehrheitsgesellschaft, die Geschichte und Kultur der autochthonen Europäer – für wohl nur einen kleinen Teil der Migranten wirkliche Feindbilder, aber ständiger Dreh- und Angelpunkt in Debatten um „kulturelle Aneignung“. Inwieweit der Begriff und das dahinter stehende Weltbild unser Leben beeinflussen, hängt davon ab, wie stark „Weiße“ in ihrer Kultur verankert sind. Wer seine eigene Kultur bewusst lebt, läuft nicht Gefahr, eine andere zu missbrauchen, und wer seine eigene Kultur schätzt, schätzt auch das Fremde.

Über den Autor

Mike Gutsing

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