Der Anfang vom Ende und bis heute aktuell – Die erste polnische Teilung

Am 5. August jährt sich zum 251. Mal der „Petersburger Vertrag“, der die erste Teilung Polens festschrieb. Doch dieses Ereignis war nicht voraussetzungslos, und manche Probleme Polens, das einst die Grenze zwischen dem zivilisierten Westen und den barbarischen Horden des Ostens bildete, beschäftigen die Menschen bis heute. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing skizziert eine Schicksalsstunde unseres europäischen Nachbarvolkes.

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Der Anfang vom Ende und bis heute aktuell – Die erste polnische Teilung
Das Gemälde von Jan Matejko zeigt den Versuch des Abgeordneten Rejtan, die Teilung Polens zu verhindern© Jan Matejko, Public domain, via Wikimedia Commons

Der Niedergang der polnisch-litauischen Union begann bereits zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zahlreiche innere Konflikte religiöser, politischer, aber auch ethnischer Natur führten zu einer nachhaltigen Schwächung des föderalen Ständestaates. Die polnischen Adeligen bildeten häufig eigene Fraktionen, um ihren Willen gegenüber dem König durchzusetzen. Während der Regierungszeit Augusts des Starken von Wettin (1697-1733) versuchte dieser zwar, eine absolutistische Herrschaft nach westeuropäischem Vorbild durchzusetzen, wurde aber durch den selbstbewussten polnischen Adel daran gehindert.

Dieser verstrickte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in innere Konflikte und suchte zunehmend ausländische Partner zur Finanzierung seiner Fehden. So wurde Stanislaus August Poniatowski 1764 mit massiver russischer Unterstützung König und musste mit der Adelsversammlung Sejm einen Vertrag unterzeichnen, der die Abhängigkeit des polnischen Staates von Russland formalisierte.

Widerstand und Unterdrückung

In Polen herrschte seit dem Mittelalter die Szlachta, der aus dem mittelalterlichen Ritterstand hervorgegangene Landadel. Dieser nach heutigem Verständnis „identitätsstiftende" Adel lehnte teilweise die Aufklärung ab und kleidete sich als Zeichen der Ablehnung westeuropäischer Einflüsse trotz historischer Feindschaft sogar in türkische Gewänder. Die Szlachta hatte bereits im Polnischen Erbfolgekrieg für die Thronwürde des eigenen Potentaten gekämpft. War Stanislaw August Poniatowski zunächst nur durch umfangreiche Bestechungen und die Anwesenheit einer großen russischen Streitmacht als Marionette gewählt worden, so entzog er sich bald dem fremden Einfluss und versuchte, eigene Reformen durchzusetzen, etwa eine Reform des Abstimmungsverfahrens im Sejm, die die Einstimmigkeitsklausel aufhob.

Die Konföderation von Bar (polnisch Konfederacja barska) organisierte sich, als die russische Mobilmachung zur Unterzeichnung des „Ewigen Vertrags“ zwischen König und Sejm führte, der das Einstimmigkeitsprinzip festschrieb und die politische Gleichberechtigung von orthodoxen und protestantischen Christen garantierte. Gerade diese Gruppen waren eng mit der russischen Zarin Katharina der Großen verbündet und hatten eigene Konföderationen gegründet, um Druck auf die polnischen Katholiken auszuüben.

Frieden auf Kosten Polens

Der Aufstand des polnischen Landadels gegen den russischen Einfluss und den Marionettenkönig Poniatowski führte zur Kriegserklärung des Osmanischen Reiches an Russland und zur Solidarisierung Frankreichs und Österreichs mit den Aufständischen. Der Konflikt, der sich aufgrund der internationalen Verflechtungen des Adels und der Bündnisse zu einem internationalen Krieg auszuweiten drohte, zwang die Parteien zu einer im weitesten Sinne diplomatischen Lösung. Treibende Kraft dieser Bemühungen war der preußische König Friedrich der Große, der sich insbesondere nach der Erklärung Österreichs, aktiv in den Krieg einzugreifen, gezwungen sah, eine gewaltfreie Beendigung des Konflikts herbeizuführen.

Zu diesem Zweck drängte er die an Polen angrenzenden Staaten, sich dessen Territorien einzuverleiben, ein Vorhaben, bei dem auch das aufstrebende Königreich Preußen nicht leer ausgehen sollte. Um das „Gleichgewicht der Kräfte“ zu wahren, sollten alle Konfliktparteien durch Gebietsgewinne entschädigt werden, so dass es nicht zu einem exklusiven Machtzuwachs in Osteuropa kommen konnte. Polen sollte Westpreußen an Friedrich II. verlieren, Galizien an die Habsburgermonarchie und große Teile Weißrusslands an das russische Zarenreich. Mit dem Vertrag vom 5. August 1772 musste Polen ein Viertel seines Territoriums abtreten, auf dem ein Drittel seiner Gesamtbevölkerung lebte.

Vom Intermarium zum Geisterstaat

Herrschte die mittelalterliche Dynastie der Jagellónen noch über weite Teile Osteuropas und kontrollierten damit indirekt ein Gebiet von der kroatischen Mittelmeerküste über Danzig an der Ostsee bis hin zu den weiten Steppen am Schwarzen Meer, so fand man nach der zweiten und dritten Teilung Polens für die kommenden 123 Jahre kein eigenständiges Staatsgebiet des polnischen Volkes.

Das heute teils belächelte, teils gefeierte nationale Selbstbewusstsein der Polen ist ein Ergebnis dieses staatspolitischen Exodus in der Vergangenheit. War das Ende des polnischen Staates auch der Beginn der Nationalbewegung, so dauerte es doch über 100 Jahre und unzählige blutig niedergeschlagene Aufstände und tausende toter Polen, bis die polnische Nation wieder eine Heimat in Form eines Staates erhalten sollte.

Tiefe Wunden

Die Teilungen mit den europäischen Nachbarn haben tiefe Wunden in die polnische Seele gerissen. Bis heute herrscht ein nicht enden wollendes Misstrauen gegenüber Deutschland auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Eine Folge dieses historischen Traumas, das durch die Grenzstreitigkeiten und die erzwungene Westverschiebung des polnischen Staates im 20. Jahrhundert noch vertieft wurde, ist die bedingungslose Unterwerfung unter die US-Administration.

Auch ein fast sklavischer Opfernationalismus, der sich mit dem Antikolonialismus afrikanischer Staaten gut verträgt, überlagert ein gesundes nachbarschaftliches Verhältnis. Ob solche Schicksalsschläge der Geschichte jemals wieder gut gemacht werden können, kann nur die Zeit zeigen.

Empfehlenswerte Literatur zum Thema:

➡️ Mitteleuropa und Multipolarität*

➡️ Polens Zwischenkrieg*


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