Gated Communities: Geschlossene Gesellschaft – Zutritt nur für geladene Gäste

In den USA boomen „Gated Communities“ schon lange. Kirche, Kindergarten und Eisenhower-Museum prägen die Vorstadtidylle. Das solidarische Mitteleuropa wählt subtilere Formen der Segregation. Um nicht auf das Großstadtflair verzichten zu müssen, igelt man sich in exklusiven Luxusquartieren ein – fernab von Mietskasernen, Gewalt, Schmutz und Lärm.

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Gated Communities: Geschlossene Gesellschaft – Zutritt nur für geladene Gäste
Eingang der Arkadien-Wohnanlage in Potsdam.© Kemistrystorm, CC0, via Wikimedia Commons

„Ghettoisierung“, „Parallelgesellschaften“ und „No-Go-Areas“ sind Themen, welche auch der Mainstream nicht gänzlich ausblenden kann. Spätestens mit den jüngsten Migrantenunruhen in Frankreich und den migrantischen Bandenkriegen in Schweden sind die Brennpunkte des sich abzeichnenden „Kampfes der Kulturen“ in den Kleinstädten beziehungsweise im einst beschaulichen Skandinavien angekommen. Gemäß Toynbees Axiom von „challenge and response“ versuchen die Gastgesellschaften, Antworten auf diese Herausforderungen zu finden. Vorbilder hierzu finden sich in der Populärkultur, etwa in den Filmen Soylent Green oder Elysium, in denen die Oberschicht dem dystopischen „Escape from New York“-Szenario entflieht, indem sie sich ein sicheres Utopia erschafft. Reale Beispiele finden sich in Lateinamerika und Südafrika, wo hohe Kriminalitätsraten herrschen. Die Oberschicht verschanzt sich dort hinter Wachtürmen und Stacheldraht, auch um sich vor Entführungen zu schützen. Auch an einem eher überraschenden Ort wird man in dieser Hinsicht fündig: im Libanon.

Überraschend ist auch die Zusammensetzung der Insassen dieser „Gefängnisse der Gesetzestreuen“. Angehörige der Mittelschicht bilden Kommunen, bohren nach Wasser, errichten Wassertanks, verlegen eigene Stromleitungen. So möchte man der zusammenbrechenden Infrastruktur des „failed state“ entkommen. Dieses Modell wurde aus der Not geboren, da einzelne Mittelschichtshaushalte sich diese private Versorgungssicherheit nicht leisten können. So schließen sich mehrere Familien zu „Enklaven“ zusammen.

In Europa, vor allem in Mitteleuropa, würde man von „Preppern“, „Reichsbürgern“ oder „Staatsverweigerern“ sprechen, sofern keine polyglotte, kosmopolitische Gesinnung zugrunde liegt. Hier gehen die USA und Europa historisch und kulturbedingt unterschiedliche Wege.

Von „Go West“ zu „Go Suburb“

In den USA ist Sicherheit für 70 Prozent der Bewohner von „Gated Communities“ das wichtigste Entscheidungskriterium. Darüber hinaus bilden diese „Kolonien“ aber auch politische und gesellschaftliche Gemeinsamkeiten und Formen der Selbstverwaltung. Ganz in der Tradition der Pionier- und Frontiergesinnung. Wird es im Osten zu beengt, zu schmutzig und zu unsicher, ziehen Gruppen von Gleichgesinnten mit Hab und Gut auf von Ochsen gezogenen Planwagen einfach weiter nach Westen – fernab von Papisten, Tagelöhnern und Trinkern. Trapper, Büffeljäger und Indianerkämpfer werden angeheuert, um Geleitschutz zu geben und den Weg zu sichern.

Heute zieht es die „Natives“ in die „Suburbs“. Kleinstädte mit insgesamt 16 Millionen Einwohnern, Supermärkten, Arztpraxen, Kindergärten und in den USA unverzichtbaren Kirchen. Viele haben den offiziellen Status einer „Incorporated Gated City“ inne, also den Status einer juristischen Gemeinde, wo der Graswurzelmythos der „One Man, One Vote“-Tradition gepflegt wird, wie „Canyon Lake“, „Rolling Hills“ in Kalifornien oder „The Villages“ in Sumter County im Bundesstaat Florida. Hier finden sich Rentner aus allen Teilen der USA zusammen, um ihren Ruhestand unbehelligt von Torheiten und Moden zu genießen. Populärkulturell vorweggenommen durch die 80er-Jahre-Serie Golden Girls, in der Skandinavier aus Minnesota, Italiener aus New York und französischstämmige „Töchter der Konföderation“ aus Georgia den Herbst ihres Lebens bestreiten.

Im Eisenhower-Museum und bei John-Wayne-Film-Festivals erinnert man sich an die Zeit, als Gott noch Amerikaner gewesen sein muss. Am Golf- und Tennisplatz schließt man neue Bekanntschaften. Strenge Hausordnungen wachen über die Einhaltung von Buschhöhe, Heckenform, Hausfarbe usw., um das Vorstadtidyll zu bewahren.

Die einzigen Elektroautos sind Golfcarts, mit denen regelmäßig Pro-Trump-Paraden abgehalten werden. Die Zeitung The Villages Daily Sun versorgt die Communities mit Lokalberichterstattung und Alltagspolitik. Es ist übrigens das einzige Printmedium unter den Top 20 der USA, dessen Auflage wächst. Das selbst produzierte Radioprogramm ist ein Tochterunternehmen des Fox-Konzerns. Für das County Council kandidieren ausschließlich Republikaner, keine Demokraten.

„Urbanismus light“ mit Concierges und Diskretion

Zurück von Transatlantis nach Cisatlantis: Der Barbarossapark in Aachen ist von einem zweieinhalb Meter hohen efeuberankten Drahtzaun umgeben. Zutritt zu den 29 Eigentumswohnungen gibt es nur nach bestandener Gesichtskontrolle. Garantiert durch Videoüberwachung und so genannte „Doormen“. Die Einwohnerschaft rekrutiert sich aus wohlbetuchtem Bildungsbürgertum mit einem Altersdurchschnitt von 50 Jahren. Alleinstehende und Paare halten einander die Waage.

Merkwürdig mutet die engste Nachbarschaft an – Studenten, Partymeile und Touristen. Experten sprechen von einem „Urbanismus light“. Konzerte, Theater, alternative Kinos, Kleinkunstbühnen, exotische Restaurants, Jazzfestivals, Vinotheken, Einkaufsmöglichkeiten, multiethnisches und multikulturelles Großstadtflair: alles in vollen Zügen genossen, ohne die Nachteile und Gefahren von Kriminalität, Gewalt, Mietskasernen, Armut, Schmutz und Lärm in Kauf nehmen zu müssen.

Solche „Enklaven des Wohlbefindens“ gibt es vielerorts. „Arcadia“ in Potsdam am Havelufer, wo 28.000 Quadratmeter der Unesco-Parkanlage von einem Sicherheitszaun umgeben sind. Pförtnerhäuschen, Bewegungsmelder, Kameras und Alarmanlagen werden von Concierges bedient und in Schuss gehalten. Zusätzlich bieten sie Dienstleistungen wie Reparaturen, Rasenpflege und Bringdienste. Das Jobprofil entspricht weniger pensionierten Polizisten wie bei den klassischen Wachdiensten, sondern eher dem der ehemaligen Rezeptionisten, was Diskretion und das Organisieren exklusiver Weine garantieren soll.

Solche Formen „residentieller Segretation“, wie sie Frank Pflüger von der Universität Stuttgart nennt, gibt es auch in den Prenzlauer Gärten oder im alternativen Szenebezirk Kreuzberg in Berlin, in den Klostergärten von Münster ebenso wie in der Leipziger „Central Park Residence“. Der Experte Tilman Harlander sieht darin noch ein Randphänomen, doch der Trend zu innerstädtischen Luxusquartieren sei unaufhaltsam.

Was die Lage in Mitteleuropa von anderen Phänomenen unterscheidet, ist die Tradition der öffentlichen Stadtplanung. Was für die Österreicher der Gemeindebau und die Wohnbauförderung war, war für die Preußen der Stadtplaner James Habrecht. Dieser formulierte 1868 das staatspolitische Ziel der wünschenswerten Durchmischung der sozialen Schichten. Daraus entwickelte sich ein „verdammtes“ soziales Gewissen.

Solidarität verpflichtet zu subtiler Segregation

Dieses hat subtilere Formen als geschlossene Apartmentanlagen oder bewachtes Wohnen. So erzwingen hohe Preise Segregation und Abschottung, wie im Lukas-Areal in Dresden, im Rosenpark in Stuttgart-Vaihingen oder in den Lenbach-Gärten in München. Gutverdienende Akademiker mit mehreren Wohnsitzen genießen die Vorzüge des „abgeschirmten Wohnens“, ohne böse Überraschungen bei der Rückkehr von einem anderen Wohnsitz.

Exklusivität als Prestigeobjekt wird gerne diskret gehandhabt. Gilt es doch, den Schein der Solidarität zu wahren. In Osteuropa hingegen wird damit sogar offensiv geworben. So prangt an einer entsprechenden Wohnanlage in St. Petersburg das Transparent: „Hier wohnen Sie am teuersten.“

Geschlossene Wohnanlagen sind das am stärksten wachsende Segment des osteuropäischen Immobilienmarktes. Nach der Wende ist die öffentliche Stadtplanung weitgehend zusammengebrochen und private Investoren sind in das Vakuum vorgestoßen. Allein im Großraum Warschau gibt es 400 geschlossene Siedlungen, in denen Zäune Prestige versprechen.

Der Kulturgeograph Georg Glasze plädiert bei den lateinamerikanischen oder europäischen Spielarten für den Begriff „bewachtes“ oder „abgeschlossenes Wohnen“, da die „Gated Communities“ in den USA, wo der Begriff ursprünglich geprägt wurde, auf „vorstädtisch“ wie „gemeinschaftlich“ setzen.

Letztendlich stellt die ultimative Nagelprobe die Beschaffenheit der Wählerschaft dar. Wer stimmt für geschlossene Grenzen und eine restriktive Migrationspolitik und wer stimmt für offene Grenzen und großzügige Zuwanderungsregelungen, während Mauern, Zäune und Wachdienste rund um die Wohnviertel der Oberschicht hochgezogen werden. „Defund the Police“, massenhafte Suspendierungen „nicht-woker“ Polizisten, Förderung des Linksextremismus, Teuerung durch die Energiewende etc. befeuern die Teilung in „Erste“ und „Dritte Welt“ zusätzlich. Wer von der „Zweiten Welt“ dann bei dieser Reise nach Jerusalem noch einen Stuhl bekommt und wer nicht, wird die Verteilungskämpfe der Zukunft prägen.