Schmissige Perspektiven (3): DEFA-Spielfilm „Der Untertan“ von rechts gesehen
Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn: Heinrich Manns „Der Untertan“ gehört zu den Filmklassikern schlechthin. In seiner Kolumne zeigt Norbert Weidner eine alternative Perspektive auf die wechselhafte Geschichte des Films.
Heinrich Mann stand zeitlebens im Schatten seines Bruders Thomas Mann. Dennoch erlangten einige seiner Werke große Bekanntheit.
© IMAGO / Rüdiger WölkÜberall liest man derzeit von Thomas Mann. Dieses Jahr wird dessen 150. Geburtstag gefeiert und die Feuilletons der Republik überschlagen sich über entsprechende Lobeshymnen. Aber diese etwas andere Filmrezension widmet sich der Verfilmung eines Romans des älteren Bruders, nämlich Heinrich Mann, dessen Tod sich am 11. März dieses Jahres zum 75. Male jährte und der Zeit seines Lebens im Schatten seines bekannteren und erfolgreicheren Bruders Thomas stand. Dabei wird Heinrich Mann durchaus attestiert, einen gesellschaftskritischen Klassiker erschaffen zu haben – oder gleich mehrere. Insgesamt 18 Romane brachte er zu Papier, darunter auch „Professor Unrat“, der mit Marlene Dietrich als „Der blaue Engel“ ebenfalls verfilmt wurde.
Für das Milieu der studentischen Verbindungen ist der Film „Der Untertan“ ebenso ein Klassiker, aber anders als intendiert. Denn es gibt zwei Filmklassiker, die Angehörige von Studentenverbindungen gesehen haben müssen: Das Liebesdrama „Alt Heidelberg“ und natürlich „Der Untertan“. Warum? Weil zahlreiche Szenen im Milieu der schlagenden Studentenverbindungen angesiedelt sind!
Nationalistisch und kaisertreu – und letztlich opportunistisch
In „Der Untertan“ wird der Protagonist Diederich Heßling als Inbegriff des opportunistischen, obrigkeitshörigen wilhelminischen Bürgers gezeichnet. Der Film zeigt ihn von Beginn an als feigen, schwachen Charakter, der sich stets an stärkere Autoritäten klammert, um daraus persönlichen Vorteil zu ziehen. Bereits als Schüler ordnet er sich unter, um Prügel zu vermeiden, während er später im Leben dieselben autoritären Strukturen stützt, die ihn einst unterdrückt haben. Charakteristisch für Heßling ist sein Verhalten nach dem Prinzip: Unterwerfung nach oben, Herrschaft nach unten. Gegenüber Vorgesetzten und Repräsentanten der Macht – sei es der Vater, die Lehrer, der Kaiser oder später politische Instanzen – zeigt er übertriebene Ehrfurcht, beinahe devoten Gehorsam. Sobald er jedoch selbst in eine Machtposition gelangt, etwa als Fabrikbesitzer oder Kommunalpolitiker, übt er ebenso eine autoritäre Kontrolle aus und nutzt seine Stellung, um andere zu unterdrücken. Dieses Verhalten wird im Film nicht psychologisch erklärt, sondern satirisch völlig überzeichnet, was trotzdem genüsslich umgesetzt wurde.
Paradebeispiel eines unsäglichen Menschentyps
Diederich Heßling wird dabei nicht nur als Individuum gezeigt, sondern gleich als Typus. Der Film versteht ihn als Produkt und zugleich als Stütze des wilhelminischen Kaiserreichs – ein System, das angeblich von obrigkeitstreuer Anpassung, Militarismus und autoritärer Staatsideologie geprägt sei. In seiner Lächerlichkeit wie auch in seiner Gefährlichkeit steht Heßling exemplarisch für ein deutsches Bürgertum, das letztlich den Weg – wie sollte es anders sein – in den Faschismus mitbereitet haben soll. Natürlich wird sein filmischer Gegenspieler Fischer, ein Sozialdemokrat, als einziger Gutmensch präsentiert.
Szenen aus dem Verbindungsmilieu
Diederich Heßling ist ebenfalls Mitglied einer schlagenden Verbindung. Zwar wird stets neutral von „Neuteutonia“ gesprochen, aber später werden „Corpsbrüder“ erwähnt. Bei der fiktiven deutschnationalen und schlagenden Verbindung „Neuteutonia“ handelt es sich somit um ein Corps. Und anhand der zahlreichen Szenen, die das Korporationsleben von damals darstellen oder eher darstellen sollen, kommt der Eingeweihte nicht umhin, auch heute noch geltende Gesetzmäßigkeiten des Verbindungslebens wiederzuerkennen – was unweigerlich zum Schmunzeln führt. Legendär ist etwa die Szene in einem Berliner Lokal, in dem Heßling versucht, einen Schwächeren zu kontrahieren, ihn also zu einer Mensur zu fordern. Dies bekommt ein sichtlich von Schmissen gezeichneter anderer Korporationsangehörige mit – und kontrahiert Heßling stattdessen. Die Mensur findet statt und wird im Film auch durchaus den damaligen Regelungen entsprechend, wie eine Mensur abläuft, anschaulich gezeigt. Natürlich bekommt Heßling einen Schmiss ab, den er fortan stolz trägt.
Ein reiner Propagandafilm
Der dem Film zugrunde liegende Roman von 1918 ist heute noch Pflichtstoff für die bundesrepublikanische Oberstufe. Und meist wird zum Abschluss des Unterrichts die Filmadaption der Deutschen Film AG (DEFA) aus dem Jahr 1951 geschaut – sozusagen als staatsbürgerliche Kunde. Dabei vergisst man in der Regel zu erwähnen, dass es sich bei der DEFA um die in der Sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR beheimatete staatseigene, man nannte es natürlich „volkseigene“, Filmproduktionsgesellschaft, ansässig in Babelsberg, handelte. So wundert es nicht, dass die Hauptthemen der DEFA-Filme der Antifaschismus, der abzulehnende Nationalismus, der sozialistische Realismus, Denkweisen und Darstellungen von Nihilismus, Dekadenz, Formalismus und Spießertum waren. „
Bürgerliche Verhaltensweisen“ sollten im Filmschaffen kritisiert und durch sozialistische Ideale ersetzt werden. Und genau das versucht Regisseur Wolfgang Staudte auch, der 1946 bereits den antifaschistischen KZ-Bewältigungsfilm „Die Mörder sind unter uns“, auch für die DEFA, verantwortete. Dass Hauptdarsteller Werner Peters, später in jeweils vier Edgar-Wallace- und Dr.-Mabuse-Verfilmungen auftretend, Regisseur Wolfgang Staudte und andere Schauspieler wie beispielsweise Paul Esser, der den nationalistischen Regierungspräsident von Wulckow darstellte, und der einem jüngeren Publikum vielleicht als Genove Blom in den Pippi-Langstrumpfverfilmungen der 1960er- und 1970er-Jahre bekannt wurde, später dem antifaschistischen Schutzwall der DDR den Rücken zukehrten und in die BRD übersiedelten, spricht Bände über deren Erfahrungen mit dem realexistierenden Sozialismus.
In der Bundesrepublik erst verboten, dann gekürzt gezeigt
Die bundesrepublikanische Presse warf dem Regisseur und letztlich der DEFA bei Erscheinen des Films vor, er stehe „im Dienste kommunistischer Kulturpolitik“ und betreibe die „Bolschewisierung der Welt“. Daher wurde der Film 1951 in den westlichen Besatzungszonen konsequenterweise verboten. Erst 1952 wurde der Film für die Bundesrepublik freigegeben – aber nur in einer 12 Minuten gekürzten Fassung. Zensiert wurden Szenen, die den deutschen Militarismus als Wegbereiter des Faschismus brandmarkten und Szenen mit allzu deutlicher Kritik an Kirche oder Militär.
Heute ist der Film in der ungekürzten Originalfassung frei zugänglich. Das Film-Label „Filmjuwelen“ hat „Der Untertan“ am 19. Dezember vergangenen Jahres als Blu-ray in den Handel gebracht. Damit existiert eine HD-Variante des Films, die sich auch auf großen Fernsehern gut ansehen lässt.
Aus rechter Sicht gesehen
Der Film „Der Untertan“ ist in seiner Stoßrichtung eine linksmotivierte satirische und systemkritische Abrechnung mit autoritärem, obrigkeitshörigem Denken – also eigentlich gegen alles gerichtet, was aus einer klassisch rechten politischen Perspektive als positiv gelten könnte. Dennoch lässt sich mit entsprechendem Interpretationsrahmen eine umdeutende, eine rechte Lesart konstruieren, insbesondere mit Bezug zum heutigen politischen Klima.
Umerziehung in allen Systemen kritisch zu sehen
Der Film zeigt anschaulich, wie subtile und weniger subtile Umerziehung funktioniert, wie die DDR das Medium Film als Instrument ihrer Ideologie nutzte: Das Bürgertum und Nationalbewusstsein werden diskreditiert, ein verzerrtes Feindbild geschaffen. Und nach dem gleichen Prinzip heißt es auch heute in der Politik und den öffentlich-rechtlichen Medien, alles Nationale oder Rechtskonservative mit Faschismus und Demokratiefeindlichkeit gleichzusetzen. Die Vorgehensweise ähnelt sich: Verpfiff Heßling bereits in der Grundschule einen anderen Schüler, sind es heutzutage eben Meldestellen der Themenbereiche „Hass und Hetze“, „Rassismus“, „Antifeminismus“, bei denen rechtlich zulässige, aber dem politischen Mainstream missliebige Meinungen gemeldet werden sollen.
Der Film „Der Untertan“ kritisiert zwar somit ein System der Autorität – aber in Wahrheit zeigt er nur den Spiegel der nachfolgenden Systeme der Unfreiheit. So sind die Autoritäten der Gegenwart eben linksgrün dominierte Eliten in Medien, Kultur und Politik, denen man nicht widersprechen darf. Und Heßling bleibt – bei aller Überzeichnung – auch ein Verteidiger von Ordnung, Disziplin und nationaler Einheit – und das ist, wofür Rechte in der Regel streiten. Seine Loyalität gegenüber Staat, Militär und Monarchie kann man auch als Ausdruck eines gesunden Gemeinschaftsgefühlsdeuten, das heute verloren gegangen ist. Und damit als Gegensatz zum Zerfall traditioneller Werte, der durch Individualismus, Globalismus und einwanderungsfreudige linke Gesellschaftsutopien befeuert wird. Aber ob man so weit denkt, oder sich einfach an den stark überzeichneten Filmsequenzen mit Verbindungsbezug erfreut, muss jeder für sich selbst entscheiden!