Soros-Stiftungen planen weitgehenden Rückzug aus Europa

Der strategische Kurswechsel fällt mit der Ankündigung von Soros‘ Sohn Alex zusammen, auf ein neues Geschäftsmodell umzusteigen.

/
/
3 Minuten Lesezeit
Soros-Stiftungen planen weitgehenden Rückzug aus Europa
Die OSF zieht sich aus Europa zurück© IMAGO / ZUMA Wire

Berlin. – Die Stiftungen des US-Milliardärs George Soros (93) wollen ihre Arbeit in Europa deutlich reduzieren. Ein Großteil der Mitarbeiter auf dem Kontinent solle entlassen werden, teilten die Gründer der Open Society Foundations (OSF) ihren Mitarbeitern in Berlin mit. Das geht aus einer internen E-Mail sowie aus Aussagen von Mitarbeitenden hervor, die die Entscheidung als schmerzhaft und unerwartet bezeichneten.

Neues Geschäftsmodell als Mitgrund

Der strategische Kurswechsel fällt mit der Ankündigung von Soros‘ Sohn Alex zusammen, auf ein neues Geschäftsmodell umzusteigen. Es ist der erste große Schritt, seit Alex Soros im Dezember die Leitung der milliardenschweren Stiftung übernommen hat. Den Empfängern von Fördergeldern in Europa wurde der geplante Strategiewechsel der OSF nach eigenen Angaben nicht direkt kommuniziert – entsprechend ungläubig reagieren sie nun.

Soros‘ Nachfolger lässt in einer Aussendung verlauten: „Die Open Society Foundations ändern ihre Arbeitsweise, aber meine Familie und OSF haben das europäische Projekt lange unterstützt und fühlen uns ihm auch weiterhin stark verpflichtet“. Von der Stiftung hieß es, man werde „die Förderung der Demokratie und den Kampf gegen Autoritarismus in Europa und den zivilgesellschaftlichen Sektor, der unverzichtbar ist für diese Ziele“, weiter unterstützen.

Organisationen kritisieren den Rückzug

Geförderte Organisationen beklagten, dass es ein strategischer Fehler wäre, die Unterstützung für Menschenrechte, politische Partizipation oder digitalen Schutz in der Europäischen Union zu streichen. Sie bezweifelten, dass die Stiftung bereits eine endgültige Entscheidung getroffen habe. Mangelnde Kommunikation und Unsicherheit schadeten dem Ruf der OSF, sagten sie gegenüber AP.

In einer E-Mail von Thorsten Klassen, Direktor des Berliner OSF-Büros, an die Belegschaft hieß es am 20. Juli, „die beschlossene neue strategische Ausrichtung sieht einen Rückzug und eine Beendigung weiter Teile unserer derzeitigen Arbeit in der Europäischen Union vor“. Ein Grund für den Richtungswechsel sei, dass die EU öffentliche Mittel für Menschenrechte und Pluralismus bereitgestellt habe und die OSF ihre Ressourcen anders nutzen wolle.

Ausrichtung an „Chancen“ statt „Programmen“

Die Stiftungen schlugen laut Mail vor, 80 Prozent der Mitarbeiter in den Berliner Büros zu entlassen – vorbehaltlich von Verhandlungen mit den Gewerkschaften. In Brüssel sollen mindestens 60 Prozent der Belegschaft entlassen werden, in London eine unbekannte Zahl. Bereits im Januar hatte die OSF der Belegschaft in Barcelona die Schließung des dortigen Büros angekündigt. Die meisten Mitarbeiter entschieden sich daraufhin, das Unternehmen zu verlassen. Alle Kündigungen sollten bis Januar abgeschlossen sein.

Die Stiftungen dementierten die Zahlen auf Anfrage nicht, wie die WELT berichtet. „Neukalibrierung unserer Arbeit in der Europäischen Union“ sei Teil größerer organisatorischer Veränderungen, hieß es. Dem neuen „Chancenmodell“ hatte der Vorstand Ende Juni zugestimmt. Das zwölfseitige Dokument dazu bietet zwar einige Hinweise, aber wenig Klarheit über die unmittelbaren Zukunftspläne der Stiftungen. Die Arbeit solle künftig an „Chancen“ statt Programmen ausgerichtet sein, heißt es etwa. Chancen werden dabei definiert als „Werke, die um klare, ehrgeizige Ziele herum organisiert sind“.

Mehr als nur ein Geldgeber

Neben den Beschäftigten sind auch geförderte Organisationen fassungslos. „Wir sind hier vermutlich mehrere Hundert Gruppen in Europa, und wir haben keine Ahnung, wie diese Entscheidung zustande kam“, sagt Márta Pardavi, Co-Vorsitzende der Ungarischen Helsinki-Komitees. Die Gruppe wird seit langem von der OSF unterstützt. „Wenn wir uns die Europäische Union anschauen, sehen wir keine Rechtfertigung dafür, die Unterstützung für Menschenrechte, Demokratie und Randgruppen zu verringern.“ Der Krieg in der Ukraine, die Erosion der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen und die Wahl einer ultrarechten Regierung in Italien seien Gründe, die Zukunft der Demokratie in Europa in Frage zu stellen, sagten Pardavi und andere.

Im Gegensatz zu anderen großen Gebern oder der EU-Kommission stellt die OSF oft schneller und flexibler Geld zur Verfügung, als dies bei projektbasierter Förderung der Fall ist. Hinzu kommen strategische und juristische Unterstützung, Kommunikationsberatung und Vernetzung. Darüber hinaus hat die OSF nach Aussagen von Mitarbeitern und Geförderten einen großen Lobbyeinfluss bei der EU. Insofern seien die Stiftungen weit mehr als nur eine Finanzierungsquelle und schwer zu ersetzen.