Erdogans Wahlsieg kann eine Chance für das konservative Lager sein

In seinem Kommentar skizziert FREILICH-Autor Tomasz M. Froelich die Chancen des europäischen Konservatismus nach dem Wahlsieg Erdoigans. Vor allem in der Geo- und Außenpolitik sieht der Politikberater große Chancen.

Tomasz M. Froelich
Kommentar von
30.5.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Erdogans Wahlsieg kann eine Chance für das konservative Lager sein
Tomasz M. Froelich

Wenn die Springer-Presse aufgrund eines außenpolitischen Ereignisses hyperventiliert, dann ist das zumeist ein Grund zur Freude. Auch, wenn dieses Ereignis die Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist. Und so verwundert es kaum, dass mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban und dem AfD-Parteivorsitzenden Tino Chrupalla zwei prominente Vertreter einer multipolaren Weltordnung zu seinen ersten Gratulanten gehörten, während sich die in Deutschland und Österreich lebenden Erdoğan-Wähler vom politisch-medialen Komplex eine Standpauke nach der anderen anhören mussten.

Westextremer Werteuniversalismus: Nichts verstehen, arrogant belehren

Bundesagrarminister Cem Özdemir, weder so richtig Deutscher, noch so richtig Türke, dafür aber Vollbluttransatlantiker, drohte in Deutschland lebenden Erdoğan-Anhängern, dass über deren Wahlverhalten zu reden sein werde. Schließlich müssten sie für die Folgen ihrer Wahl, die ihm zufolge zu Armut und Unfreiheit führen würde, nicht einstehen. Und Florian Klenk, Chefredakteur des österreichischen Falter twitterte: „In einer westlichen Demokratie leben mit allen Freiheiten, auch wegen des eigenen Wohlstands. Und zu Hause den Autokraten wählen, der all diese westlichen Freiheiten beschränkt. Das ist eine Doppelmoral, die ich nie verstehen werde.“

Klenk gibt es selbst zu: Das linksliberale Establishment versteht die Migranten nicht, von denen es aber dennoch immer mehr nach Deutschland und Österreich holen möchte. Spurten diese Migranten nicht im transatlantisch-globalistischen Sinne, endet die linksliberale Toleranz und Kultursensibilität abrupt. Nichts verstehen, trotzdem arrogant belehren: Das ist westextremer Werteuniversalismus, für den uns mittlerweile fast die ganze Welt nicht leiden kann.

Politik für die Ärmsten der Armen, statt für die Wärmsten der Warmen

Auch der türkische Innenminister Süleyman Soylu hat damit so seine Probleme. Soylu, bekannt für markige Worte, bezichtigte im April den kollektiven Westen des Kulturimperialismus. Der Westen würde versuchen, dem Rest der Welt seine Werte aufzuzwingen, um einen einheitlichen Menschen zu schaffen: „Wir haben es mit kulturellem Terrorismus zu tun, der darauf abzielt, unsere Familienstruktur, unsere Moral, unsere Alten, unsere Jungen, unsere Zivilisation, unsere Geschichte, unsere Religion, unsere Glaubenswerte, unsere Traditionen und das, was unsere Mütter und Väter uns gelehrt haben, zu zerstören.“


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Die Türken sehen, wie im Westen die überlieferte Normalität erodiert. Als Rechter kann man es ihnen nicht verübeln, dass sie die penetrante LGBTIQ+- und Genderpropaganda, die traumatisierende Frühsexualisierung, Dragshows mit Transen in Grundschulen, 67 Geschlechter und andere kulturelle Nebeneffekte geopolitischer US-Hörigkeit, wie sie bei uns immer deutlicher zutage treten, ablehnen. Sie bevorzugen eine Politik für die Ärmsten der Armen, statt für die Wärmsten der Warmen. Soylu verstieg sich sogar zu der Aussage, dass „die ganze Welt Amerika hasst“ und beklagte die mangelnde strategische Autonomie Europas. Europäische Staats- und Regierungschefs würden in erster Linie nicht eigene, sondern amerikanische Interessen vertreten, so Soylu.

Angst vor einer Marionette

Bei solch deutlichen Worten wird schnell klar, weshalb das hiesige Establishment Erdoğans Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu von der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP bevorzugt hat. Sein Oppositionsbündnis hat eine thematische Bandbreite abgedeckt, mit der man neben türkischen Nationalisten auch die LGBTIQ+-Community adressieren wollte – ein Spagat, der von vornherein zum Scheitern verurteilt war, wie Felix Hagen in der Jungen Freiheit richtig analysiert: „Wer sich grundsätzlich dagegen ausspricht, dass der heterosexuelle Ehebegriff aufgeweicht wird und jede Erzählung von mehreren Geschlechtern ablehnt, wird sich auf keine Debatten über Trans-Pride-Demonstrationen in Innenstädten einlassen.

Was für die Regenbogenfahne gilt, trifft auch auf alle anderen kontroversen Themen der türkischen Politik zu: bei allem, was als Existenzbedrohung wahrgenommen wird, ist die Neigung zum Kompromiss gering.“

Bei Erdoğan wussten die Türken, woran sie sind, während Kılıçdaroğlu womöglich eine von Globalisten gesteuerte Marionette gewesen wäre. Auch deshalb wurde Erdoğan im Amt bestätigt. Trotz Inflation und schwieriger Wirtschaftslage.

Stabilisierung der Multipolarität

Für uns ist Erdoğan ein unbequemer Politiker: Über DİTİB und andere Organisationen leistet er einen Beitrag zur Islamisierung unserer Gesellschaft, schafft Parallelstrukturen und führt Machtdemonstrationen auf deutschem Boden auf. Er nutzt die politischen Potentiale einer türkischen Diaspora, die bei Wahlen das Zünglein an der Waage ist. Er macht dies aber auch nur, weil man ihn machen lässt. Erdoğans „Schattenstaat“ in Deutschland ist vor allem ein hausgemachtes Problem und Ergebnis unserer eigenen Schwäche. Dem ist Einhalt zu gebieten.

Unabhängig davon ist anzuerkennen, dass die Türkei als Regionalmacht in der Chancen bietenden multipolaren Weltordnung ein wichtiger Akteur ist, mit dem wir gemeinsame Interessen teilen. Der Publizist und Politikberater Dimitrios Kisoudis weist darauf hin, dass es Chancen birgt, wenn die Türkei am Rande Europas die von Asien kommende multipolare Ordnung stabilisiert und fortentwickelt: „Denn nur innerhalb dieser Ordnung kann es für Deutschland eine Wende zum Guten geben. Nicht in deutschem Interesse wäre, wenn die Türkei die unipolare Ordnung des Westens als Satellitenstaat stabilisieren und einen Rückschritt in die Vergangenheit hinlegen würde.“ Souverän ist, wer Alternativen hat. Und Alternativen gibt’s nur in einer multipolaren Weltordnung.

Die Konsequenzen für unser Lager

Für die deutsche Rechte bedeutet das: Es wird Zeit für eine seriöse Türkei-Politik, die beispielsweise die positive Rolle Ankaras als Vermittler im Ukraine-Krieg oder Erdoğans Streben nach Multipolarität würdigt, die aber die türkische Regierung auch dafür kritisiert, wofür sie kritisiert gehört: Für ihre Einflussnahme auf innerdeutsche Verhältnisse mittels DİTİB, für ihre ständigen Provokationen gegenüber Griechenland, für ihre Rolle im Syrien-Krieg, oder für ihre Armenien-Politik.

Erfreulicherweise begreifen immer mehr Rechte, dass eine Außenpolitik, die auf stumpfem Erdoğan-Bashing und Ressentiments aufbaut, pubertär ist. Und anders als all die Baerbocks und die anderen Vertreter einer wertebasierten Außenpolitik sind wir bereits raus der außenpolitischen Pubertät.


Zur Person:

Tomasz M. Froelich, Jahrgang 1988, ist gebürtiger Hamburger und arbeitet bei der ID-Fraktion im EU-Parlament. Der studierte Ökonom und Politologe ist zudem seit 2019 stellvertretender JA-Bundesvorsitzender.

Twitter: https://twitter.com/TomaszFroelich

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.