Täuschung im Netz: US-Behörden sollen Google für Abschiebe-Illusionen nutzen
Alte Berichte über Razzien der US-Einwanderungsbehörde tauchten plötzlich in den Suchergebnissen von Google auf, obwohl sie zum Teil schon Jahrzehnte alt waren. Kritiker vermuten gezielte Manipulation.
Bei Google tauchten zuletzt Berichte über Massenverhaftungen in den Suchergebnissen auf, obwohl sie schon Jahre alt waren.
© IMAGO / imagebrokerIn den letzten Wochen haben Berichte über Massenverhaftungen durch die US-amerikanische Einwanderungsbehörde Immigration and Customs Enforcement (ICE) in den für Aufsehen gesorgt. Schlagzeilen wie „ICE verhaftet 85 Personen in vier Tagen in Colorado“ oder „ICE verhaftet 123 kriminelle Migranten in New Orleans“ erwecken den Eindruck von aktuellen Razzien. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Viele dieser Berichte stammen aus früheren Jahren, einige sogar aus dem Jahr 2008, wie englischsprachige Medien berichten.
Alte ICE-Berichte erscheinen als neu
Immigrationsanwälte und Technikexperten sind auf ein Muster gestoßen: ICE-Pressemitteilungen, die in den Google-Suchergebnissen weit oben auftauchen, sind demnach mit dem Datum „24. Januar 2025“ versehen – unabhängig davon, wann sie ursprünglich veröffentlicht wurden. So stammt die vermeintlich aktuelle Razzia in Wisconsin aus dem Jahr 2018, die Festnahme von 44 Personen in Nebraska sogar aus dem Jahr 2008.
Eine Anwältin für Einwanderungsfragen wurde auf das Phänomen aufmerksam, als sie versuchte, ICE-Razzien zu dokumentieren. „Ich habe das in allen 50 Bundesstaaten und in mehreren Städten getestet und überall das gleiche Muster festgestellt“, sagte sie.
Google-Sprecher dementiert Manipulation durch Algorithmus
Während ICE auf eine Anfrage der britischen Tageszeitung The Guardian zu den Vorwürfen nicht reagierte, erklärte eine Google-Sprecherin, dass die Systeme der Suchmaschine nicht darauf ausgelegt seien, eine Seite nur aufgrund eines aktualisierten Zeitstempels höher zu ranken. Sie betonte, dass Google versuche, die letzte Aktualisierung einer Seite korrekt wiederzugeben.
Nachdem Journalisten von The Guardian bei ICE und Google nachgefragt hatten, wurden einige der alten Berichte wieder mit ihrem ursprünglichen Datum angezeigt und erschienen nicht mehr an erster Stelle der Suchergebnisse.
Einschüchterung durch mediale Präsenz?
Die ICE-Strategie könnte laut Berichten Teil einer umfassenderen Agenda sein. Präsident Donald Trump hat bereits bei seiner Amtseinführung betont, Massenabschiebungen vorantreiben zu wollen. Seine Regierung verkündet regelmäßig Massenverhaftungen in Städten wie Los Angeles und Chicago, während Fernsehkameras ICE-Agenten bei ihren Einsätzen begleiten. Kristi Noem, Ministerin für Heimatschutz, postete auf X ein Foto von sich in einer ICE-Schutzweste mit der Bildunterschrift: „Getting the dirt bags off the streets“.
„All das soll eine Botschaft an die Einwanderer senden: Fürchtet euch, wir kommen euch holen“, sagte Lindsay M. Harris, Professorin für Einwanderungsrecht an der Universität von San Francisco. „Unabhängig von den tatsächlichen Zahlen haben diese Berichte reale Auswirkungen“. Die kursierenden Berichte hätten in vielen Gemeinden bereits Ängste geschürt. In Idaho reagierte der Sheriff von Blaine County, Morgan Ballis, mit einer öffentlichen Erklärung, dass es keine Beweise für ICE-Razzien in diesem Gebiet gebe.
Technische Analyse: Manipulation oder Zufall?
Ein befreundeter Technikexperte hatte der Anwältin bei der Suche nach der Ursache der falschen Datumsangaben geholfen. Eine forensische Analyse des Quellcodes der ICE-Pressemitteilungen ergab, dass ein neuer Zeitstempel hinzugefügt worden war. „Jeder Artikel wurde am 24. Januar aktualisiert, was dazu führte, dass der Google-Algorithmus sie als neu einstufte und weiter oben platzierte“, erklärte der Experte.
Vergleichstests mit den Websites anderer US-Regierungsbehörden – darunter das Arbeitsministerium, das Verteidigungsministerium und das Innenministerium – hätten indes keine vergleichbaren Veränderungen ergeben. Diese alten ICE-Artikel würden jetzt ganz oben in den Suchergebnissen von Google und Bing erscheinen, während andere Behörden dies nicht täten, sagte der Experte. „Für mich sieht das nach einem gezielten Versuch aus, mehr Klicks auf irreführende Schlagzeilen zu bekommen.“ Ob es sich bei den manipulierten Zeitstempeln um eine bewusste Strategie handelt, bleibt allerdings offen.