SPÖ-Mitgliederbefragung: Der Padrone und der Revoluzzer schlagen das Establishment

Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hat die SPÖ-Mitgliederbefragung für sich entschieden. In seinem Kommentar für FREILICH erklärt Gert Bachmann, dass der Sieg Doskozils und die Niederlage Rendi-Wagners eigentlich zu einer Grundsatzdebatte über das Selbstverständnis der Sozialdemokratie führen müsste.

Kommentar von
24.5.2023
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5 Minuten Lesezeit
SPÖ-Mitgliederbefragung: Der Padrone und der Revoluzzer schlagen das Establishment
Gert Bachmann

Das Basisdemokratieexperiment der österreichischen Sozialdemokratie geht nach der ersten Runde ins Finale. Und eigentlich sollte eine Partei, welche derartigen Mut in einer klassischen Parteiendemokratie wie Österreich aufbringt, für dieses Wagnis der direkten Demokratie belohnt werden. Jedoch ist Österreich wie eingangs festgestellt eine Parteiendemokratie. Oder korrekter eine Parteilisten- wie Parteitagsdemokratie. Daher prägen die Termini Chaos, Pyrrhussieg, Zerreißprobe die Schlagzeilen wie Kommentarspalten. Man hat es sich gemütlich eingerichtet, sowohl die Funktionäre als auch die Redakteure, und möchte in dieser Blase möglichst keinen Ruppigkeiten und Lästigkeiten wie Neuerungen ausgesetzt werden. Allen krokodilstränenhaften Beteuerungen über das Abholen und dem Erklären zum Trotz.

Österreich ist nicht nur eine Parteiendemokratie, es ist auch eine Konsensdemokratie. Man wärmt sich am heimeligen Herd von absoluten Mehrheiten, Klubzwang und Sozialpartnerschaft. Minderheitsregierungen, fliegende Koalitionswechsel, wechselnde Mehrheiten, knappe Ergebnisse, „The winner takes it all“ werden bestenfalls als skandinavisch, aber eher schlimmstenfalls als angelsächsisch kühl, rempelhaft und schnoddrig wahrgenommen.

Zweifacher Verstoß gegen Parteitags- und Konsensdemokratie

Die Mitgliederbefragung der SPÖ war ein Verstoß gegen die Parteitagsdemokratie sui generis. Das Ergebnis ebensolcher ein massiver Schlag gegen das Prinzip der Konsensdemokratie. Trennten FPÖ und ÖVP bei der Nationalratswahl 1999 nur wenige hundert Stimmen, fiel die Entscheidung zugunsten eines freiheitlichen 2. Nationalratspräsidenten. Im Jahre 2006 kamen die Grünen ebenfalls knapp vor der FPÖ zum Liegen. Mit 3. Nationalratspräsidenten, Volksanwalt und anderen personellen Annehmlichkeiten. Diese Funktionen haben jedoch den Nachteil beziehungsweise den Vorteil als nicht kriegsentscheidend wahrgenommen zu werden. Somit wird der Parteivorsitz mit dem Malus der Knappheit leben müssen. Hundertstelkrimi mag der Österreicher nur beim Skifahren.

Und der Dreikampf, oder das Triell wie der politische Beobachter seit dem letzten deutschen Bundestagswahlkampf weiß, ging tatsächlich außerordentlich knapp aus. Hans Peter Doskozil konnte 36.019 Stimmen oder 33,7 Prozent mobilisieren. Für Andreas Babler votierten 33.703 Genossen, was 31,5 Prozentpunkten entspricht. Und am dritten Platz landete Pamela Rendi-Wagner, welche 33.528 beziehungsweise 31,4 Prozent der Parteimitglieder überzeugen konnte.

Tags darauf verkündete Rendi-Wagner ihren Rückzug. Sie werde einen geordneten Übergang ermöglichen. Für die Funktion als Parteivorsitzende sowie für den Posten als Klubchefin. Doskozil und Babler gehören als Landeshauptmann beziehungsweise als Bürgermeister beide nicht dem Nationalrat an. Somit wird diese Position im Parlament Bestandteil des Verhandlungspokers, der am 22. Mai 2023 am späten Nachmittag begonnen hat.

Der Padrone, der Revoluzzer und die Dame

Schon Ronald Reagan, der große Kommunikator, war sich der Macht der Bilder bewusst und wählte daher den griffigen Terminus „Star Wars Project“ für die sperrige „Strategic Defense Initiative“. Auch der angesehene Historiker Niall Ferguson bemühte für einen Artikel seinen Lieblingswestern: „The Good, the Bad and the Ugly“. Demzufolge scheint das adaptierte Bild für den Ausgang der ersten Runde des Dreikampfs durchaus passend: Der Padrone, der Revoluzzer und die Dame.

Die mutmaßlichen Bemühungen des Establishments, in diesem Fall des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig, der Gewerkschaft und der Altvorderen, Rendi-Wagner angesichts des knappen Drittel:Drittel:Drittel-Ergebnisses für ein Weitermachen zu bewegen, dürften nicht gefruchtet haben. So wird man sich darauf konzentrieren einen Gewährsmann als Klubchef zu installieren und Einfluss auf die beiden Außenseiter beziehungsweise deren Lager zu nehmen. Gemäß dem Grundsatz des Sunzi: Kannst Du nicht gewinnen, binde ein. Das Parkett für gebildete, urbane Damen wird immer weniger ein Politisches und so wird sich die Wiener Stadtpartei nach einem neuen Repräsentanten für die Bundesebene umschauen.

Der Vorstoß eines Bürgermeisters einer Stadt mit 21.332 Einwohnern, also zwei Dritteln seiner Parteiunterstützer, bis knapp an die Spitze einer Partei mit zuletzt etwas mehr als einer Million Wählern, war ein eminenter Erfolg einer Graswurzelbewegung. Ohne nennenswerte Vorlaufzeit wie Unterstützung durch etablierte Strukturen. Lediglich die 50 Meter Vorsprung in den 100-Meter-Lauf-Interviews kann man diesbezüglich verbuchen. In wie weit sich diese Überlegungen fortsetzen, hängt davon ab, ob man Babler als linken „Flügeldegen“ gegen Doskozil nutzt.

Nicht nur die große Anzahl der Bableristen, auch die Ergebnisse von KPÖ in Graz, KPÖ plus in Salzburg und die stabilen Umfragewerte für Nationalratswahlen – sowie die risikofreie Möglichkeit in einem Jahr bei den experimentierfreudigen EU-Wahlen teilzunehmen – dürfte die SPÖ in ihrem Kurs der Verweigerung einer Verfassungsmehrheit für die Regierung bestärken. Dieser taktische Zug im Konflikt um die Teuerung kam überraschend, da man ihn der SPÖ gar nicht mehr zugetraut hatte.

Orts- und Landeskaiser als Systemschreck

Der Erfolg der Doskozilanten sollte ebenfalls nicht unterschätzt werden. Obwohl Doskozil als Landeshauptmann vom Burgenland, ehemaliger Verteidigungsminister und als langjähriger „Querulant“ Vorteile gegenüber Babler hatte. Das Feuer der Kritik in Partei, Politik und Medien galt in erster Linie ihm. Außerdem musste er nicht nur gegen die Interviewpartner wie parteiinterne Diskutanten ankämpfen, sondern auch gegen seine gesundheitlich angeschlagene Stimme.

Angesichts der Abnahme der Bedeutung von rhetorischen Fähigkeiten, sei es mangels Talents oder eben aus gesundheitlichen Gründen, wird dieses Handicap zwar unangenehm und hinderlich, aber nicht kriegsentscheidend sein. Man denke etwa an Johanna Mikl-Leitner, deren rednerische Fähigkeiten umgekehrt proportional zu ihrem politischen Machtinstinkt stehen. Zudem weiß man dadurch bei Doskozil, er möchte wirklich diese Mission erfüllen. Anstatt lediglich Landeskaiser in Burgenland zu bleiben.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, definierte Karl Marx. Dass der Bürgermeister einer 21.000 Einwohnerstadt und der Landeshauptmann eines 301.000 Einwohner Bundeslandes, welches zusätzlich über schwache sozio-ökonomische Strukturen verfügt, gegen eine Klubobfrau mit dem Hintergrund der bald zwei Millionen Bundeshauptstadt mit 2:1 beziehungsweise 65:31,5 gewinnen konnten, müsste eigentlich zu einer Grundsatzdebatte über das Selbstverständnis der Sozialdemokratie führen. Großstädtisch, gewerkschaftlich organisiert und bildungsaffin müsste durch inkludierende Punkte ergänzt werden. Denn der letzte Bus um 16:24 kann nicht durch einen E-Scooter ersetzt werden. Man müsste, so wie Kreisky, die Katholiken bitten einen Stück des Weges mitzugehen.

Establishment strikes back?

Gemäß dem Spiel Reise nach Jerusalem beginnt die Musik erneut zu ertönen. Statt zwei Stühlen gibt es nurmehr einen. Stellt sich die Frage nach der Besetzung des Orchesters. Babler setzte sich von Anfang an für eine Stichwahl ein. Also einem Orchester bestehend aus den Mitgliedern der Partei. Vorsichtshalber hat er zudem seine Kandidatur für den Vorsitz gegenüber dem Parteitag eingereicht, um nicht über bürokratische Fußangeln zu stolpern. Doskozil setzte zu Beginn auf das große Orchester und im Finale auf die verringerte Besetzung in Form von Delegierten für den Parteitag. Eine Fusion von Rendi-Wagner und Babler-Stimmen von der Basis erschien doch zu riskant.

Nach vierstündigen Diskussionen beschlossen Vorstand und Präsidium einen Showdown am Parteitag. Somit ist High Noon am 3. Juni 2023 in Linz. Die Vertreter aus den Flächenbundesländern konnten sich hierbei gegenüber Wien, Gewerkschaft, Jugend und dem Rendi-Wagner-Lager durchsetzen. Letztere hatten ursprünglich das Instrumentarium einer Mitgliederbefragung überhaupt abgelehnt. Aber sogar der Teufel zitiert aus der Bibel, wenn es ihm von Nutzen ist. Oder wie Adenauer sagte: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Kann man nicht klüger werden. Nach dem Dreikampf ist also vor dem Zweikampf.


Zur Person:

Gert Bachmann, 42-jähriger Historiker mit Interesse an Geo- und Sicherheitspolitik. Trotz Studiums in Wien hat ihn die Heimatstadt Villach nie losgelassen. Das Herz des dreifachen Vaters und ehemaligen FPÖ-Landesparteisekretärs von Oberösterreich schlägt für ein freiheitliches Österreich und ein vitales, freies Europa der Vaterländer.

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