Patrioten dürfen soziale Frage und Bürgernähe nicht links liegen lassen

Am Sonntag wurden zahlreiche Wahlen in Deutschland und Österreich geschlagen – es waren allesamt Richtungswahlen. Und teilweise endeten sie mit überraschenden Ergebnissen, die noch vor kurzer Zeit niemand vorhergesehen hätte. Fast alle lassen sich jedoch auf eine Lektion kondensieren: Die soziale Frage und die Bürgernähe sind das Um und Auf.
Julian Schernthaner
Kommentar von
27.9.2021
/
5 Minuten Lesezeit

Auf dem Narrativ der sozialen Gerechtigkeit umschiffte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz alle seine Skandale im Umfeld des Großkapitals und segelte mit seiner SPD zum Wahlsieg. Es war ein Erfolg, den im Sommer niemand für möglich hielt: Die einst stolze Sozialdemokratie krebste bundesweit bei 15 Prozent in den Umfragen herum, beschäftigte sich mit Nischenthemen wie Mülleimer für Binden in Männer-Toiletten. Dann entdeckte sie ihr einstiges Metier – die Arbeiterschaft – und erzählte ihr etwas von fairen Löhnen. Dies hätte man zwar schon in den letzten acht Jahren im Arbeits- und Sozialressort umsetzen können: Aber der Bürger lechzt nach einer Erzählung und da war sie.

Klare Kante schafft Wahlerfolge für deutsche Patrioten

Mehr als fünf Prozent gewann die SPD, das häufigste Motiv für die Wahlentscheidung war die soziale Gerechtigkeit. Damit punktete sie fast überall – gerade im Westen liegen viele potenzielle Wähler brach bei den Nichtwählern. Anders im Osten: Ganze Landstriche und Wahlbezirke, welche die längst nur mehr auf „woke“ Themen setzende Linkspartei wählten, sind nun blau. Jene, die CDU-Hochburgen waren sowieso. In Thüringen und Sachsen wurde man stärkste Partei. Das ist eine Bestätigung des solidarisch-patriotischen Kurses der Ost-Verbände, die dort auf Bürgernähe setzen und endgültig Volkspartei sind.

Freilich: An dieser Stelle würden nun viele einwenden, der Osten hat andere Voraussetzungen, auch weil Nationalstolz dort noch kein Schimpfwort ist. Mag sein – und vielerorts tut sich die AfD sicherlich (nicht nur, aber auch) daher schwer. Trotzdem konnten einige Vertreter der eher sozialpatriotischen Schicht der Partei auch im Westen reüssieren. In einer kleineren Stadt im eigentlich grün-schwarzen Baden-Württemberg, die von basisnahen sozialpatriotischen Vertretern geprägt ist, erreichte die Partei mehr als 20 Prozent bei der Bundestagswahl. Die generelle Faustregel: Je bürgerlicher und abgehobener ein Bezirks- oder gar Landesverband, desto schlechter das Wahlergebnis und desto größer die Verluste.

Soziale Themen für viele Bürger eine Existenzfrage

Dieses Ergebnis ist vor den Wahlmotiven der Bürger erklärlich – und es spiegelt sich auch ständig wider. Selbst in Bundesländern, die einen eher auf ehemalige CDU- und FDP-Wähler schielenden Kurs fahren, sind es häufig die Arbeiterviertel, die der AfD ein brauchbares Ergebnis verschaffen. In Hamburg waren es sogar diese Stadtteile, welche die Partei vor dem Rauswurf aus der Bürgerschaft bewahrten. Und das verwundert kaum, sind es doch einfache Bürger, welche Folgen der Globalisierung, der Migrationswellen oder der Immobilien-Spekulation zuerst ausbaden müssen. Gerade leistbares Wohnen, sichere Arbeit und ordentliche Infrastruktur sind unerlässliche Säulen des „Einkommens zum Auskommen“.

Wer das versteht und über Jahre glaubwürdig vertritt, kann auf Zuspruch der Wähler zählen. Auch das erklärt den Erdrutschsieg der Kommunisten in Graz. 19 Jahre am Stück hatte die KPÖ das Wohnbauressort inne, zuerst unter Ernest Kaltenegger, dann unter der nunmehrigen Wahlsiegerin Elke Kahr. Diese hielt ihr „Mietertelefon“ auch aufrecht, als sie ins Verkehrsressort „verschoben“ wurde. Die Bevorzugung heimischer Familien bei der Vergabe seitens der FPÖ half zwar Verwerfungen aus dem Gemeindebau fernzuhalten. Für Bewohner blieben aber die Kommunisten die erste Anlaufstelle bei Problemen. Auch, dass sie einen Gutteil ihres Politikergehalts an soziale Zwecke spendeten und darüber am Ende jeden Jahres transparent Rechenschaft ablegen, vermittelte Bürgernähe und Glaubwürdigkeit.

Bürgernähe als Erfolgsrezept für Gefühl der Veränderung

Damit Bürger eine Partei wählen, müssen sie sich verstanden und vertreten fühlen. Das ist nicht einmal eine Frage des jeweiligen Politikstils, sondern des Auftretens. In Oberösterreich schaffte es mit der MFG eine maßnahmenkritische Partei aus dem Stand in den Landtag. Sie gewann Stimmen aus allen Lagern – und das vor allem, indem sie zu den Bürgern ging. Die Partei stellte sich auf Dorfplätze, lud die Leute zum Wirten, zeigte Präsenz – und war in ihrem Kernanliegen kompromisslos und doch greifbar. Die Mainstream-Medien hatten die neue Partei nicht einmal auf dem Radar – am Wahltag hatte sie plötzlich mehr als 6 Prozent. Besonders stark war sie in einem Bezirk, wo sie den Bürgern ihre Unterstützung gegen eine willkürliche Ausreise-Testpflicht zusagte.

Mit einem ähnlichen Konzept verteidigte der Berliner AfD-Politiker Gunnar Lindemann gegen alle Trends – in Berlin wurde die AfD völlig abgestraft – sein Direktmandat ins Abgeordnetenhaus. In einem bis vor sechs Jahren linken Wahlbezirk erreichte er auch diesmal die Mehrheit. Seine Präsenz an allen Enden seines Wahlgebiets brachte ihm weit über die Grenzen Berlins die Anerkennung des patriotischen Lagers ein. Er erklärte so ziemlich jedem Bürger dort, was die rot-rot-grüne Verkehrspolitik in Marzahn verbockte und was sein Konzept dagegen ist. Auf feindlichem Gebiet kämpfte er aufopferungsvoll und gewann. Das machte sogar manches Fettnäpfchen und „Boomer-Take“ in seiner Amtszeit vergessen. Wer Herz, Einsatz und Bürgernähe zeigt, dem legt man das sogar noch eher als menschliche Facette aus.

Nur in der Kombination beider Aspekte liegt Stärke

Langfristig ist eine Kombination beider Aspekte als Teil eines ganzheitlichen Konzepts natürlich die einzig nachhaltige Option. Gelingt das, dann ist es auch einer völlig marginalisierten Partei wie der KPÖ möglich, sich über Jahre hinweg zum fulminanten Wahlsieg zu hamstern. Fehlt die Bürgernähe, streifen die Lorbeeren meist andere Parteien ein. Eine Lektion, die man in Graz oder Linz trotz löblicher Ansätze in Wohnbau, Verkehr, Sicherheit auf die harte Tour lernen musste. Weiß der Bürger nicht, bei wem er sich bedanken (oder konstruktiv beschweren!) soll, werden die Lorbeeren immer die Anderen einstreifen. Notfalls eben derjenige, der auch nur anwesend ist. Bürgernahe Symbolpolitik wiederum führt zu kurzfristigen Erfolgen, verschiebt die Baustellen aber nur.

Und daher ist etwa auch der blaue Wahlerfolg in Wels trügerisch. Derzeit geht in manchen Kreisen die Empfehlung um, sich vom dortigen Bürgermeister sein „liberal-patriotisches“ und „überparteiliches“ Profil abzuschauen. Das ist aber eine Fehlanalyse. Auch ihn wählte man einst, weil er als Wohnbau-Stadtrat versprach, die sozialen Brennpunkte zu entschärfen, neue Siedlungen zu bauen. Sie wählten ihn wieder, weil man die Bautätigkeit in der Innenstadt sah und somit wusste, diesmal floss das Steuergeld in die Verschönerung der Stadt statt wie 70 Jahre zuvor in die Taschen des roten Filzes. Es ist also ein Wahlsieg wegen Bürgernähe und „Kümmerer-Image“ und weil die Wähler ihm trotz eines soften Kurses weiter zutrauen, dass der weitere Anstieg des Ausländeranteils im sozialen Wohnbau nur eine Momentaufnahme ist.

Saat für glaubwürdige Alternativen jetzt ausfahren

Gerade in der Möglichkeit, das zu leben, was man predigt, liegt auch die mögliche Kraft für patriotische Parteien, dauerhaft zu punkten. Die SPD kann und will nicht wirklich die soziale Frage klären, solange sie für offene Grenzen ist. CDU oder FDP können oder wollen mittelständische Unternehmen nie retten, solange sie mit globalen Multis am transatlantischen Ausbeuter-Tisch sitzen. Die Grünen haben kein echtes Interesse, eine ehrliche Ökologie zu verfechten, welche die Menschen im Land entlastet – im Gegenteil. All sie entzaubern ihren Anspruch eigentlich ständig, es ist vielen Menschen nur nicht bewusst – auch weil ihnen eine glaubwürdige Alternative nicht deutlich genug ins Gesicht schlägt.

Sie alle machen einerseits Klientelpolitik für großstädtische Konsumzombies einerseits und elitäre Machtzirkel, die sich in Davos, Alpbach & Co. verabreden, andererseits. Dort sitzen sie dann mit den Sebastian Kurzens dieser Welt, die auch kein echtes Interesse haben, irgendwelche Balkanrouten ernsthaft zu schließen, solange ihre eigene Partei in Brüssel für die Aufnahme afghanischer Ortskräfte stimmt. Nur patriotische, anti-globalistische und soziale Alternativen können dies langfristig glaubwürdig tun. Dazu müssen sie die Saat jetzt auffahren – sonst ernten es die üblichen Blender. Im Ernstfall eben die andere Feldpostnummer, gerade wenn sie in Teilen auch Ross und Reiter benennt und sich bürgernah gibt. Hier ist der Sieg der Kommunisten in Graz ein ernsthafter Warnschuss.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.