Erdoğan ist nicht unser Feind – Warum Max Krah Recht hat

Erdoğan ist für die deutsche Gesellschaft und vor allem für konservative Akteure eine Reizfigur. Viele werfen dem türkischen Präsidenten eine Einflussnahme in Deutschland vor. Der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah löste mit einem Tiktok-Video eine Debatte aus, in der er scharf angegriffen wurde. Aber: Viele Kritiker argumentieren auf Basis falscher Ansichten und Prinzipien, meint FREILICH-Redakteur Bruno Wolters.

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29.11.2023
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6 Minuten Lesezeit
Erdoğan ist nicht unser Feind – Warum Max Krah Recht hat
Maximilian Krah und Recep Tayyip Erdoğan© Marcus Popillius, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons / IMAGO / ZUMA Wire

Seit vielen Jahren regiert Recep Tayyip Erdoğan die Türkei. Obwohl einige westliche Beobachter ihn vor den letzten Wahlen im Sommer schon am Ende seiner politischen Karriere sahen, konnte er sich – wahrscheinlich auch mithilfe von Wahlbetrug – erneut durchsetzen und wird somit noch einige Jahre an der Spitze der Türkei stehen. Das ist eine Tatsache, die man nicht leugnen kann – man muss es nicht mögen, aber die türkische Politik wird weiterhin auf unabsehbare Zeit von Erdoğan und seinen Getreuen bestimmt werden. Warum ist das jetzt wichtig? Der AfD-Europaabgeordnete und Spitzenkandidat für die Europawahl 2024 Max Krah hat sich in einem nüchternen Tiktok-Video zu Erdoğan geäußert. „Erdoğan ist nicht unser Feind“, „Patrioten sind nicht unsere Feinde“ und andere richtige Aussagen fielen in diesem Video.

Nicht alle waren mit diesen Sätzen zu Erdoğan, Patriotismus und deutsch-türkischer Zusammenarbeit zufrieden. Aber warum? Patrioten sind nicht grundsätzlich Feinde. Wer sein Vaterland liebt, ist grundsätzlich kein Problem. Ich habe kein Problem mit türkischen Patrioten, weil ich ihre Heimat- und Vaterlandsliebe grundsätzlich nachvollziehen kann – ich fühle mich Deutschland genauso verbunden wie ein türkischer Patriot mit der Türkei. Wer sein Land liebt, handelt nach Aristoteles' Konzept der Selbstliebe und der Freundschaft – nur wer sich selbst liebt, kann wahre Freundschaften schließen. Die Liebe zum Eigenen bedeutet nicht im Umkehrschluss den Hass auf das Fremde. Problematisch wird es nur, wenn türkische Patrioten in Deutschland einen übertriebenen Patriotismus und Nationalismus pflegen. Das wirkt heuchlerisch – was ist ein Patriot wert, wenn er nicht einmal in seiner Heimat lebt?

Eine Ethik für die Außenpolitik

Krahs Aussage ist kein Kotau vor den türkischen Patrioten, sondern eine Ethik für außenpolitisches Handeln – nur Patrioten können eine für sich selbst identitätsstiftende, aber auch andere Akteure einbeziehende Politik betreiben, weil sie aufgrund ihres Bewusstseins für das Eigene und die eigene Identität genügend Sensibilität für das Andere und Fremde haben. Sie wissen um die Bedeutung des Eigenen und der nationalen Identität für jeden Einzelnen und können darauf angemessen reagieren. Das Gegenteil dieser außenpolitischen Ethik ist die sogenannte „feministische Außenpolitik“ des Wertewestens. Eine solche Außenpolitik kann aufgrund ihres universalistischen Ansatzes nur in Imperialismus und übersteigertem Hass auf das Fremde enden. Wir sehen das an der westlichen Außenpolitik gegenüber Russland und China.

Insofern betreibt Erdoğan auch eine Interessen- und keine Wertepolitik. Dass er als Staatsmann der Türken ethnonationale Interessenpolitik für sein Volk betreibt, ist ihm nicht vorzuwerfen, nur dass er dies in Deutschland mit großem Erfolg tut. Nicht weil er ein „böser Türke“ und Patriot ist, sondern weil die deutsche Innen- und Gesellschaftspolitik dies zulässt. Klar ist: Eine souveräne und selbstbewusste Politik könnte Erdoğans Treiben in Deutschland schnell ein Ende setzen und die Spielregeln selbst diktieren. Wir kommen an dem türkischen Präsidenten aus Ankara nicht vorbei, wir müssen ihn auch in diesem Sinne weitgehend neutral betrachten. Denn Krah wird auch vorgeworfen, Erdoğan zu positiv zu sehen. Fakt ist: Die Türkei hat unter ihm einen Sprung nach vorne gemacht (geopolitisch, militärisch, diplomatisch, kulturell, industriell). Das sollten auch die Kritiker Erdoğans anerkennen.

Erdoğan ist durchaus erfolgreich

Die Türkei ist unter Erdoğan zu einem ernstzunehmenden geopolitischen und diplomatischen Akteur im Orient geworden. Man denke nur an die Akzeptanz Istanbuls als Verhandlungspartner zwischen der Ukraine und Russland oder an die erfolgreiche Intervention in Syrien, obwohl dort Mächte wie die USA und Russland involviert sind. Darüber hinaus ist die Türkei der Hauptakteur, der Aserbaidschan und andere türkischsprachige Nationen führt. Erdoğan ist es gelungen, eine Pendeldiplomatie zwischen den Großmächten um ihn herum zu betreiben, ohne alle zu verärgern. Er hat keinen Akteur verprellt. Im Gegenteil: Er lieferte Drohnen an die Ukraine und verhandelte mit Russland über das Grenzgebiet in Syrien. Er hat russische Raketen gekauft und bekommt vielleicht die modernsten US-Jets. Er hat die EU und Schweden erpresst und ist damit durchgekommen. Er hat die von den Golfstaaten finanzierten islamistischen Gruppen in Nordsyrien angegriffen und unterhält nun wieder gute Beziehungen zu denselben Staaten. Und so weiter.

Militärisch und industriell hat die Türkei viel erreicht. Man denke nur an die Herstellung von Panzern oder Drohnen. Die Bayraktar TB2 ist für die Ukrainer zur Legende geworden. Oder der Altay-Panzer. Man baut Panzer selbst und muss keine oder nur noch wenige aus dem Westen importieren – militärisch-industriell ist die Türkei unabhängiger geworden. Auch zivil-industriell, zum Beispiel in der Autoindustrie, wo türkische Unternehmen Traumzahlen schreiben. Kulturell ist zum Beispiel die türkische Serie ein Exportschlager. Vor allem in Afrika – dort werden immer mehr türkische Serien geschaut und die Nachrichtenagentur Anadolu hat dort immer mehr Regionalbüros. Dort geht man metapolitisch mit „soft power“ in die Offensive. Zudem präsentiert sich die Türkei zunehmend als Sprecher der muslimischen Weltgemeinschaft. Natürlich gibt es auch Schattenseiten wie die autoritäre Politik und den wirtschaftlichen Abschwung der letzten Jahre. Aber man kann Erdoğan nicht pauschal zum Versager erklären, wie es manche Beobachter gerne tun.

Ist Erdoğan ein Islamist?

Es gibt auch den Vorwurf, Erdoğan verstehe sich als Islamist und treibe die Islamisierung voran. Das stimmt zum Teil, wenn man sich die Aktivitäten der DITIB in Deutschland anschaut. Aber: Erdoğan kann heute sehr ideologisch und morgen sehr pragmatisch sein. Sein Umgang mit Atatürk oder Gülen zeigt das sehr gut – manchmal präsentiert er sich als Hüter des Erbes des türkischen Gründervaters, genauso hat er keine Berührungsängste mit muslimisch-konservativen Akteuren. Ein anderes Beispiel: Als ein russischer Jet in der Türkei abgeschossen wurde, gab es ein paar Wochen diplomatische Eiszeit, dann aber der Kauf des russischen Abwehrsystems S-400. Genauso hat man hat zu Beginn des Krieges monatelang wichtige Drohnen an die Ukraine geliefert, um jetzt für Russland die westlichen Sanktionen zu umgehen. Für ihn gilt: Türkei first! Und das heißt für ihn auch: Erdoğan first. Hier ist keine harte ideologische Linie zu erkennen. Er ist auf keinen Fall ein islamistischer Hardliner.

Die Äußerungen von Herrn Krah haben viel Kritik hervorgerufen, auch aus parteiinternen Kreisen: Ich habe schon einige Distanzierungen von AfD-Mitgliedern gelesen. Kreisvorsitzende, AfD-Influencer und andere. Alle weisen darauf hin, dass das ja nur „Krahs Meinung“ sei, dass er nicht gewählt worden wäre, wenn er diese Position früher vertreten hätte, dass er für Schnellroda sei. Und so weiter. Das ist keine Solidarität und kein Zusammenhalt. Ich habe jetzt an vielen Stellen und an vielen Tagen beobachten können, wie die FPÖ agiert.Kickl ist dort der unangefochtene Boss, aber er bekommt natürlich auch Kritik aus den eigenen Reihen. Oft eher intern und wenn sich jemand öffentlich äußert, dann so wie ein ehemaliger FPÖ-Landespolitiker, der sagte, Kickl verwende oft harte Worte, er selbst würde es anders machen, aber Kickl sei der Parteivorsitzende und man stehe hinter ihm.

Krah hat recht!

So muss man den internen Dissens nach außen tragen. Man steht hinter XY, weist auf den Unterschied hin, lässt sich aber trotzdem nicht in die Karten schauen oder spalten. Warum sagt man dann nicht: „Herr Krah ist von der Partei als Spitzenkandidat aufgestellt worden, er ist im Bundesvorstand. In der Frage der Bewertung Erdoğans sehe ich das im Detail anders, aber als Kreisvorsitzender der AFD stehe ich hinter ihm. Er ist unser Spitzenkandidat zur Europawahl!“. Ein solcher Zusammenhalt wäre wichtig, denn Krah hat keineswegs für die Islamisierung geworben.

Der Einfluss Erdoğans muss in Deutschland angemessen bekämpft werden, die Instrumente und Kanäle, die eine solche ausländische Einflussnahme ermöglichen, müssen unterbunden werden. Das ist ein innenpolitisches Thema. Es darf aber niemals pauschal auf die außenpolitische Ebene übertragen werden: Erdoğan ist nicht unser außenpolitischer Feind. Es ist auch nicht der Islam. Es ist die Islamisierung Europas, die durch die Masseneinwanderung zum größten Problem geworden ist.


Zur Person:

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Im Sommer 2020 war er Mitgründer des konservativen Onlinemagazins konflikt. Im Jahr 2021 folgte das Buch Postliberal im Verlag Antaios. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei FREILICH. Seine Interessensgebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

Twitter: https://twitter.com/Bruno_Wolters

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