„Wokeness“ als Neoamerikanismus: Ex-JA-Chef Neumann auf Spurensuche

In einer mehrteiligen Artikelreihe auf dem Netztagebuch des Jungeuropa Verlags skizziert der ehemalige Bundesvorsitzende der Jungen Alternative und Freilich-Autor Marvin T. Neumann einen theoretischen Abriss. Mit diesem versucht er den Ursprung der heutigen Probleme in einen ideengeschichtlichen Rahmen zu bringen.
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Ob „Pride“-Flaggen, LGBTQ-Kindergärten oder multikulturelle Gesellschaft, die Umwälzungen moderner Ideologen sind vielfältig. Der politische Autor und ehemalige AfD-Politiker Marvin T. Neumann erklärt, dass diese Dinge nicht aus dem heiteren Himmel gefallen oder von „wohlstandsverwahrlosten“ Träumern erdacht wurden. Er sieht die heutigen Zustände als Ergebnis einer Entwicklung mit einem Anfang in der amerikanischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts.

Abkehr von den Wurzeln

Neumann betrachtet die Vereinigten Staaten von Amerika in einem Stadium, das europäischen Nationen noch bevorstehen könnte. Mit der Abkehr vom weißen, englischen Protestanten als kulturellen Träger der USA, sei man der „Anglo-Saxon democracy“ der Gründerväter abgewichen. Bis in das 19. Jahrhundert war die freiheitsliebende, weiße, englische und protestantische Kultur das Ziel aller Assimilationspolitik gewesen. Trotz dieser heute beinahe „völkisch“ klingenden Ausrichtung der amerikanischen Gesellschaft, sei diese aufgrund der „aufklärerischen Grundsätze des Liberalismus“ bereits „woke“ entstanden.

Neumann zeigt, dass bereits die Gründerväter eine breite Immigration von verschiedenen europäischen Völkern ablehnten. Jedoch begründeten sie auch den amerikanischen Mythos im Recht des Einzelnen auf freier Entfaltung, was zu einem „amerikanischen Dualismus“ führte. Dieser bestand aus der historischen Traditionslinie der Angelsachsen und den liberalen Freiheitsgedanken.

 „Wokeness“ als historische Begleiterscheinung

Mit dem radikalliberalen Thomas Paine befanden sich bereits unter den Gründervätern Personen, die den heutigen „Woken“ mit ihrem Egalitarismus, Humanismus und der Institutionskritik sehr nahestanden. Anstatt also eine Verfestigung oder Verstetigung ethnisch-nationaler Elemente zu erleben, legte man die Grundsteine für die Auflösung der Gesellschaft. Neumann nennt diesen Vorgang das „Gegenteil herkömmlicher nationaler Ethnogenese“.

Die geistige Vorleistung für die spätere Selbstauflösung leisteten antizionistische Juden wie Felix Adler oder Israel Zangwill. Sie proklamierten ein Ende des politischen Judentums in einer monotheistischen Weltgemeinschaft. Diese Ideen griffen wiederum englische Protestanten an den Universitäten auf und übertrugen sie auf das Christentum. Die Betonung der geistigen Offenheit und der Weltgewandtheit wurde zu den Bannern der jungen amerikanischen Universitäten.

Der Wandel zum Welt-Amerikanismus

Mit der Zeit der Prohibition im frühen 20. Jahrhundert sieht Neumann erneut eine weitere Stufe des Wandels gekommen. Die Gleichsetzung des religiösen Puritanismus und der Angelsachsen durch Autoren wie Floyd Dell führte zur Prägung eines negativen Bildes über den eigentlichen „Founding Stock“ der amerikanischen Nation. Dem prüden, langweiligen und ländlichen Engländer stellte man exotische und fremde Volksgruppen als „willkommene[n] Kontrast gegenüber. Auch feministische Ansätze bemühten sich darum, als „Korrektiv“ zu der männlichen Kultur des Anglo-Amerikanismus zu wirken.

Die beiden Weltkriege verstärkten diese Haltung laut Neumann, insbesondere bei der liberalen bürgerlichen Elite der USA. Der liberale Progressivismus verband sich mit dem marxistischen Antifaschismus und ergab die Grundlage der heutigen neuen Linken. Neumann wertet die Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs folgendermaßen:

„Der Grad an assimilierten Migranten und die Abnahme antisemitischer Haltungen wurden nach dem Krieg als Zeugnis für die Überwindung des angeblich im Nationalsozialismus kulminierten weißen Rassismus angesehen. Je weniger anglo-europäische Amerikaner sich ihrer Ethnie bewusst waren und je mehr nicht weiße Migranten sozialen Aufstieg fanden, desto größer erschien die Distanz der US-Gesellschaft gegenüber dem europäischen Sündenfall des Faschismus.“

Die Wurzel in den USA

Der sogenannte „Regenbogenimperialismus“ der USA, den Neumann als „Wokeness“ bezeichnet, erhält in dessen Texten ein scharfes Profil. Egal wie man das deutsche Pendant dieses Phänomens bezeichnet, der gern genutzte Begriff „Kulturmarxismus“ greift historisch zu kurz. Neumann konkretisiert: „Für die Ausartung des aufklärerischen Emanzipationsdrangs in antiweiß-queere Wokeness genügte die liberal-angloprotestantische Tradition, ganz ohne ein rotes Gespenst.“

Neumann empfiehlt einen genaueren Blick in dieses und ähnliche Phänomene. Denn nur dadurch werde verständlich, „warum nominell konservative Parteien scheinbar jeden linken Mumpitz mittragen – nämlich, weil es gar kein linker Unfug per se ist […]. Wir kämpfen nicht gegen einen kulturellen Neomarxismus, sondern einen globalisierten Neoamerikanismus, dessen Aggressivität mit dem sich beschleunigenden Niedergang des US-Imperiums zunimmt, da eine radikalere Schröpfung seiner europäischen Vasallen mittlerweile notwendig geworden ist.“