Wider die Reaktion – Zum Jubiläum der „Göttinger Sieben“

Mit dem Sieg über Napoleon schien das alte System der absolutistischen Monarchen gesiegt zu haben. Doch schon wenige Jahre später zeigten sich Risse, die mit Verordnungen und Zensur nicht mehr zu kitten waren. Zu den berühmtesten Figuren dieser Zeit gehört eine Gruppe Göttinger Universitätsprofessoren, die mit einer aufsehenerregenden Aktion die Grenzen der Zeit austesteten. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing zeigt, was sich hinter den „Göttinger Sieben“ verbirgt und welche Lehren aus ihrem Protest noch heute gezogen werden können.

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Wider die Reaktion – Zum Jubiläum der „Göttinger Sieben“
Denkmal der „Göttinger Sieben“ in Hannover.© IMAGO / Rust

Das Ende der französischen Hegemonie über Europa wurde schon von vielen Zeitgenossen als zweischneidiges Schwert empfunden. Während patriotische Dichter wie Theodor Körner oder Max von Schenkendorf die Befreiung vom Joch des fremden Besatzers Napoleon feierten, befürchteten vor allem die Bewohner der ehemaligen Rheinbundstaaten das Ende ihrer liberalen Freiheiten. Besonders ausgeprägt war diese Haltung in den neuen preußischen Besitzungen am Rhein. Hier kamen zu den politischen noch religiöse Differenzen hinzu, und die katholischen Rheinländer ließen die Bewohner der „Streusandbüchse“ noch lange spüren, was sie von ihnen hielten.

Aber auch in den mittel- und kleindeutschen Staaten schlug die Freude über die Befreiung und die Hoffnung auf Veränderung bald in Verbitterung und Wut um. Das Königreich Hannover führte nach 123 Jahren Personalunion mit Großbritannien 1833 das sogenannte Staatsgrundgesetz ein. Dieses führte unter anderem eine Art Ministerverantwortlichkeit ein und übertrug das Budgetrecht der Ständeversammlung. Dieses Gesetzespaket war zum einen eine Vorgabe des Wiener Kongresses, der verfügt hatte, dass sich jedes Mitglied des Deutschen Bundes eine landständische Verfassung geben sollte. Zum anderen beugten sich einige Landesfürsten dem öffentlichen Druck liberaler Nationalisten, die den Ideen der Französischen Revolution noch Raum geben wollten.

Vom Hörsaal auf die Straße

Nach dem Amtsantritt des neuen Königs Ernst August I. und dem damit verbundenen Ende der Personalunion 1837 wehte ein neuer absolutistischer Wind durch das nun unabhängige Königreich Hannover. Schon als englischer Prinz galt er als Erzreaktionär und bekämpfte aktiv die religiöse Toleranzpolitik des damaligen Premierministers Arthur Wellesley von Wellington. Als er noch im Jahr seines Regierungsantritts das verfassungsähnliche „Staatsgrundgesetz“ aufhob, löste dies in der gebildeten Oberschicht breite Empörung aus. Er weigerte sich auch, vor dem Parlament auf die Verfassung zu schwören und erklärte, sich nicht an sie gebunden zu fühlen.


Buchempfehlungen der Redaktion:

➡️ Angelika Machinek – Dann wird Gehorsam zum Verbrechen: Die Göttinger Sieben: ein Konflikt um Obrigkeitswillkür und Zivilcourage*

➡️ Friedrich Christoph Dahlmann – Die Protestation und Entlassung der Sieben Göttinger Professoren*

➡️ Steffen Martus – Die Brüder Grimm: Eine Biographie*

➡️ Wilhelm Bleek – Vormärz*

➡️ Alexandra Bleyer – 1848: Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution*


Sieben ordentliche Professoren der Georg-August-Universität unterzeichneten knapp zwei Wochen nach der Verkündung eine öffentlichkeitswirksame „Protestation“. Darunter befand sich neben den Brüdern Grimm auch der Historiker Friedrich Christoph Dahlmann. Letzterer sollte durch seine Rolle bei der Ausarbeitung der Frankfurter Reichsverfassung von 1849 noch einmal politisch in Erscheinung treten. In ihrer Schrift bekannten sie sich erneut zur aufgehobenen Verfassung und verweigerten damit ihrem König offen die Treue.

Eine harte Antwort

König Ernst August I., der sich in seiner fürstlichen Würde erheblich beschnitten sah, reagierte prompt: Entgegen geltendem Recht ließ er alle sieben Professoren entlassen, Dahlmann, Jacob Grimm und der Literaturhistoriker Georg Gottfried Dahlmann mussten sogar das Land verlassen. Dass der von Metternich beeinflusste Deutsche Bundestag keine Maßnahmen gegen die Machtüberschreitung König Ernst Augusts ergriff, hatte ein erhebliches politisches Echo. Die „Göttinger Sieben“ wurden fortan als Märtyrer für den Kampf um die Freiheit verehrt, es kam zu spontanen Sympathiebekundungen und sogar zu Spendenaktionen, mit denen die Gehälter der Betroffenen weitergezahlt werden konnten.

Schließlich musste der Monarch nachgeben: Bereits 1840 gab er dem Königreich eine neue Verfassung. Wichtige demokratische Elemente wie die Ministerverantwortlichkeit fehlten zwar, doch etwa die Zugangsrechte für Bürger und Bauern in die Zweite Kammer der Ständevertretung hielt nun erneut Einzug. Auch die verstoßenen Professoren wurden rehabilitiert, alle kamen erneut in universitäre Würden, der Orientalist Heinrich Ewald und der Physiker Wilhelm Eduard Weber sogar erneut in Göttingen. Bis zu seinem Tod im November 1851 musste sich Ernst August I. von seinem reaktionären Kurs abwenden, um den wachsenden Spannungen in seinem Königreich Herr zu werden – ein später Sieg der „Göttinger Sieben“.

Wo sind die nächsten „Sieben“?

Unter dem Eindruck linker Universitätsstädte drängt sich der Gedanke auf, dass Protestaktionen wie die der „Göttinger Sieben“ ein Phänomen der Vergangenheit sind. Von den Dekanaten bis zu den wissenschaftlichen Mitarbeitern scheint nicht nur eine politische Unausgewogenheit zu herrschen, sondern der nationale Sinn scheint gänzlich getilgt. Doch der Eindruck kann täuschen, wenn der Blickwinkel verzerrt ist. Zwar ist derzeit kein Aufstand der Hörsäle zu erwarten, aber Kämpfer für Deutschland und die Meinungsfreiheit gibt es überall. Ob in kleinen Aktivistengruppen, Studentenverbindungen oder eingebunden in andere Strukturen, viele junge und alte Menschen arbeiten oft auf Kosten ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Stellung.

Während die 68er quasi über Nacht die Universitäten übernahmen, müssen sich heutige Dissidenten ganz ähnliche Fragen stellen wie die „Göttinger Sieben“: Was ist wichtiger – Ideale oder ein gesichertes Auskommen? Fälle wie die Hexenjagd auf den jungen AfD-Abgeordneten Daniel Halemba zeigen, dass es durchaus ähnliche Solidarisierungswellen gibt wie zu Metternichs Zeiten. Allerdings bleiben solche Solidaritätsaktionen meist auf die „erste Reihe“ beschränkt, während zahllose Aktivisten oder öffentlich bekennende Dissidenten allein gelassen werden. Der 186. Jahrestag der „Göttinger Sieben“ könnte einmal mehr Anlass sein, Lehren aus dieser Zeit zu ziehen.


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