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Wer Afrika verstehen will, muss sich mit seiner Literatur beschäftigen

Bücher sind der Spiegel einer Gesellschaft, betont Volker Seitz in seinem Kommentar für FREILICH und stellt gleich mehrere Werke afrikanischer Autoren vor, die sich mit Themen wie Polygamie, Kinder- und Zwangsehen oder auch dem Vorschussbetrug afrikanischer Prinzen auseinandersetzen.

Kommentar von
19.12.2023
/
12 Minuten Lesezeit
Wer Afrika verstehen will, muss sich mit seiner Literatur beschäftigen

Ein offener Buchladen in den Straßen Kairos. (Symbolbild)

© IMAGO / Pond5 Images

Ich bin überzeugt, dass die Literatur der beste Weg ist, um den einzigartigen, widersprüchlichen und beeindruckenden Kontinent Afrika zu verstehen. Literatur fördert auf angenehme Weise interkulturelles Verständnis und Respekt vor anderen Kulturen. Als Diplomat habe ich mich vor jeder Versetzung mit der zeitgenössischen Literatur eines für mich neuen Landes auseinandergesetzt. Das möchte ich auch jedem Reisenden, Entwicklungshelfer, Journalisten oder eben Diplomaten empfehlen. Eine bessere Vorbereitung auf ein Land gibt es nicht.

Die Buchinhalte sind der Spiegel ihrer Gesellschaften. Gekünstelte Formexperimente oder forcierte Originalität wird man in den Büchern selten finden. Die Autoren verstehen es aber kunstvoll an die alltägliche Lebenswelt anzuknüpfen. Sie sorgen mit verständlichen Sätzen, die auch Witz und Pointen bereithalten, für Lesevergnügen und einige aufschlussreiche Einsichten. Man kann auch aus der Literatur lernen, dass man sich in der dortigen Kultur Zeit nehmen muss – was ich übrigens auch in Japan und Libyen gelernt habe – und zusammen Tee trinken. Es ist nichts ungehöriger, als direkt zur Sache zu kommen. Die Gastfreundschaft verlangt, dafür Sorge zu tragen, dass sich der Besucher wohlfühlt und sich Zeit lässt, ehe er sein Anliegen vorbringt.

Auch lernt man, dass die afrikanische Verwaltungshierarchie ihre eigenen Gesetze hat, zum Beispiel je bedeutender ein Beamter ist, desto kälter ist sein Büro und je länger lässt er Besucher warten. Büros ohne Klimaanlagen sind den Untergebenen vorbehalten. Mit einer Auswahl an Büchern – teilweise nur antiquarisch erhältlich – möchte ich Lust auf die Lektüre machen.

Djaïli Amadou Amal – Die ungeduldigen Frauen

Einen Blick auf die Gesellschaft im Norden Kameruns bietet Djaïli Amadou Amal, die mit ihrem dritten Roman Munyal, les larmes de la patience (Die ungeduldigen Frauen) den internationalen Durchbruch als Schriftstellerin geschafft hat. Auf dem Vorblatt des Romans schreibt die Autorin Amal: „Diese Geschichte ist eine Fiktion nach wahren Begebenheiten“. Wie Mariama Ba (siehe unten) hat auch Djaïli Amadou Amal viel Autobiografisches verarbeitet. Wie ihre erste Heldin Ramla wurde sie im Alter von 17 Jahren von ihren Onkeln mit einem Mann in den Fünfzigern zwangsverheiratet.

Es ist in einer ländlichen Bevölkerung üblich, dass Mädchen sehr jung verlobt und verheiratet werden, von den Männern ihrer Familie einen Ehepartner aufgezwungen bekommen, von den Frauen zum Gehorsam ermahnt werden und oft dazu verurteilt sind, still unter gewalttätigen und herrschsüchtigen Männern zu leiden. In der Polygamie müssen sie mit anderen Ehefrauen rivalisieren. Das Thema der drei Romanfiguren kreist um die Zwangsehe, Polygamie und häusliche Gewalt. Von den Frauen wird ständige Ergebenheit und Opferbereitschaft für die Familie erwartet. Die Mütter wissen, was ihren Töchtern angetan wird, aber sie fügen sich wegen der Tradition.

Djaïli Amadou Amal, die wie ihre literarischen Figuren in Maroua im Norden Kameruns in einer großen Gemeinschaft von Verwandten in der Fulani-Tradition aufwuchs, wurde als gefügige Tochter mit 17 Jahren an einen älteren Politiker verheiratet. Damals begann sie Tagebuch zu schreiben. Nach fünf Jahren gelingt es ihr, diesen Mann zu verlassen. Sie will sich nicht mehr klaglos unterwerfen. Dennoch ging sie mit einem polygamen Mann eine zweite unglückliche Ehe ein, aus der zwei Töchter stammen. Der Mann war bedenkenlos gewalttätig, aber sie kann sich erst nach zehn Jahren von der Ehe befreien. Amal sagte in Interviews, dass sie mit dem Buch keine Autobiografie verfasst habe, aber die Protagonistin Ramla sei ihr am ähnlichsten. Die ungeduldigen Frauen ist in drei Teile gegliedert. Jede Frau schildert ihr Schicksal (Zwangsehe, häufige körperliche Züchtigung und Polygamie) auf eine Weise, dass man das Buch kaum mehr aus der Hand legen will.

Man merkt, dass die Autorin viel Autobiografisches verarbeitet hat und spürt ihre Empathie für die geschundenen Frauen. Sie weiß, wovon sie spricht, und wiederholt nicht nur Plattitüden des Mainstreams, sondern hat selbst fundiertes Wissen. Das Buch ist ein gelungenes Stück Aufklärung über das Tabu der Kinderhochzeiten und das abschätzige Frauenbild in Nordkamerun. Der Orlanda-Verlag schafft es durch Bücher wie dieses gegen das im Sahel herrschende Unrecht aufzubegehren – das erfordert nicht nur bei der Autorin Mut und Zivilcourage. Der Text tut weh, aber vielleicht hilft er, die weit verbreitete Mauer der Verleugnung der Missstände (leider manchmal auch in Europa) zu durchbrechen. Mit Verschweigen und Verharmlosen kommen wir nicht weiter.

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Hemley Boum – Die Tage kommen und gehen

Hemley Boum verzweifelt an ihrem Heimatland und schreibt: „Der kamerunische Staat hat kein Interesse an Menschen, die das Land verlassen. Hier sind die Perspektiven so schlecht, das Fehlen jeder Chance ist so deutlich, dass die Unzufriedenheit und Enttäuschung dieser Gruppe junger Menschen einen Aufstand herbeiführen könnten, sie sind mehr eine Gefahr als eine Belastung. Sollten sie auf ihrer gefahrvollen Reise sterben, würden nur ihre Lieben um sie trauern, wenn sie es schafften, würden sie, wie alle Exilanten, ihre Familie zu Hause unterstützen, so gut es ihnen nur möglich wäre. In jedem Fall triumphieren diejenigen, die ihren Besitzstand wahren, indem sie die Zukunft zerstören.“

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Wangari Maathai – Afrika mein Leben

Die Friedensnobelpreisträgerin von 2004, Wangari Maathai, schreibt in ihren Erinnerungen Afrika mein Leben zur Scheidung von ihrem Mann Mwangi Mathai, der in den USA studiert, in Kenia für mehrere Unternehmen gearbeitet hatte, bevor er in die Politik wechselte: „Mwangi wurde mit den Worten zitiert, er verlange eine Scheidung, weil ich ‚zu gebildet, zu stark, zu erfolgreich, zu eigensinnig und zu schwer zu kontrollieren‘ sei“. „Wie die meisten Menschen gingen die Reporter und Redakteure davon aus, dass es die Schuld der Frau ist, wenn eine Ehe schiefgeht, dass sie ihre Pflichten vernachlässigt und ihrem Mann nicht gehorcht hat. Ihrer Meinung nach wurde ich mit Fug und Recht öffentlich gesteinigt, weil ich die Autorität meines Mannes infrage gestellt hatte. Und da ich eine gebildete Frau war, sollte meine öffentliche Demütigung allen anderen gebildeten Frauen als Warnung dienen, dass ihnen das gleiche Schicksal blühen würde, falls sie es wagten, eine solche Autorität zu hinterfragen.“

Der damalige Präsident Daniel arap Moi schrieb über Wangari Maathai: „Unter anderem erklärte er, wäre ich eine richtige Frau ‚in der afrikanischen Tradition‘, würde ich die Männer achten und den Mund halten.“

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Nuruddin Farah – Jenes andere Leben

Auch dieser großartige Autor aus Somalia befasst sich in seinen Romanen mit dem fehlenden Respekt und Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen, die in einigen Staaten tief verwurzelt sind. In afrikanischen Ländern ist doch meist der Mann der Chef im Haus. Ein Beispiel: Nigerias Präsident Muhammadu Buhari antwortete während eines gemeinsamen Auftritts mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016 in Berlin auf die Frage eines Journalisten, wo seine Frau politisch steht: „Ich weiß nicht, zu welcher politischen Partei meine Frau gehört. Soweit ich weiß, gehört meine Frau in mein Wohnzimmer, in die Küche und in den anderen Raum“.

Nuruddin Farah schreibt in seinem Roman Jenes andere Leben: „In Somalia bekommen die Männer die besten Stücke vom Fleisch, Frauen die Eingeweide von Tieren und die Überbleibsel“ und „Der einzige Umstand, der einer Frau in der islamischen Tradition das Recht gibt, sich von ihrem Mann zu ‚scheiden‘, ist, wenn er sie und ihre Kinder nicht mit der benötigten Nahrung und Kleidung versorgen kann“.

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Emmanuel Dongala – Gruppenfoto am Ufer des Flusses

Emmanuel Dongala beschäftigt sich unter anderem mit christlich-fundamentalistischen Sekten, die sich in Afrika ausbreiten und dem Hexenwahn: „Ein Pastor der Erweckungskirche und zwei Dutzend seiner Anhänger haben in den Straßen Kinshasas Kinder gejagt, als ‚Hexenkinder‘ angeprangert und grausam misshandelt. Solche Jungen im Alter von fünf bis 14 Jahren werden oft beschuldigt, für die Krankheit und die Armut ihrer Eltern verantwortlich zu sein. Verfolgt, geprügelt, ja sogar gequält, flüchten sie von zu Hause und suchen in den Straßen Zuflucht, wo man sie oft verjagt. Beim Verhör gab der Pastor zu Protokoll, seine Aktion gehe auf eine Offenbarung des Heiligen Geistes zurück, der ihm gesagt habe, sein sechsjähriger Neffe sei für den plötzlichen Tod seines Bruders verantwortlich, für die Unfruchtbarkeit seiner Frau und die lange Ehelosigkeit seiner Schwester. Der Junge bekam drei Tage nichts zu essen, wurde geschlagen, und man drohte, ihn wie Jesus Christus mit weißglühenden Nägeln zu kreuzigen. Schließlich gestand er, tatsächlich ein Hexer zu sein, er benutze einen Halm und eine Hahnenfeder als Flugzeug, um nachts zu reisen, er habe nicht nur seinen Onkel, sondern bereits drei andere Menschen ‚gefressen‘, und zwei seiner Komplizen würden auf der Straße leben, darum die vom Pastor ausgelöste Hatz“.

Und später im Buch Gruppenfoto am Ufer des Flusses:

„Sie war Mutter von sechs Kindern; ihr Drama begann, als ihre drei jüngsten Kinder innerhalb von vier Jahren starben, zwei an Malaria und eins an Sichelzellenanämie. Die Familie ihres Mannes machte sie für den Tod der Kinder verantwortlich, beschuldigte sie, sie sei eine Hexe, und jagte sie aus dem Haus. Das Schlimmste für sie war dabei, dass ihre Kinder sie nun mieden, aus Angst, sie würde auch sie ‚fressen‘. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie dir diese Geschichte erzählte. Und wie immer in einem Dorf, wenn jemand der Hexerei beschuldigt wird: Eine Bande Jugendlicher, die von einem ihrer Söhne angeführt wurde, steckte nachts ihr Haus in Brand, mit der Absicht, sie bei lebendigem Leib zu verbrennen. Zum Glück hatte sie es bis zum Waldrand geschafft, als die Brandstifter merkten, dass sie durch das kleine Fenster an der Rückwand geflohen war, während alle vor dem Haus warteten, um sie allenfalls zu steinigen, sollte sie den Flammen entkommen. Sie verfolgten sie wie eine Hundemeute ein Wild, doch sie kannte den Wald besser als ihre jungen Söhne.“

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NoViolet Bulawayo – Wir brauchen neue Namen

Die Autorin aus Simbabwe rechnet mit weißen Selbstdarstellern ab: „Die NGO-Leute steigen aus, alle fünf. Es sind drei Weiße, zwei Frauen und ein Mann, denen sieht man gleich an, dass sie nicht von hier sind, und Sis Betty, die ist von hier. Sis Betty spricht unsere Sprachen, ich glaub, sie hat die Aufgabe, uns den Weißen zu erklären und die Weißen uns. Und der Fahrer ist wahrscheinlich auch von hier. Abgesehen davon, dass er fährt, sieht er nicht wichtig aus. Außer ihm tragen alle Sonnenbrillen, Augen gucken uns an, und wir können sie nicht richtig sehen, weil sie sich hinter einer Wand aus schwarzem Glas verstecke. (...) Sobald wir sitzen, fängt der Mann mit seiner großen Kamera an, zu fotografieren. Die machen einfach gern Fotos, diese NGO-Leute, wie echte Freunde und Verwandte irgendwie, die sich später zu Hause mit ihren anderen Freunden und Verwandten die Bilder angucken, auf uns zeigen und unsere Namen sagen. Es schert sie nicht, dass der Dreck und die zerfetzten Kleider uns peinlich sind, dass es uns lieber wäre, wenn sie das sein lassen; sie knipsen trotzdem, knips knips knips. Wir meckern nicht, weil wir wissen, dass nach dem Knipsen die Geschenke dran sind. (...) Jeder von uns kriegt ein Spielzeuggewehr, ein paar Süßigkeiten und was zum Anziehen; ich krieg ein T-Shirt mit dem Wort Google vorne drauf und ein rotes Kleid, das unter den Achseln kneift. (...) Viel danke, sag ich zu der hübschen Frau, die mir meine Sachen gibt, um ihr zu zeigen, dass ich Englisch kann. Sie sagt nichts zurück, als hätte ich irgendwie nur gebellt. (...) Los, wir spielen Krieg, und schon laufen wir und legen uns gegenseitig um mit unseren nagelneuen Spielzeuggewehren aus Amerika“.

Anmerkung: Ihr neues Buch Gloria kann ich trotz der Begeisterung vieler Kritiker nicht empfehlen. Wer erstmals aufgrund der vielen Empfehlungen zu dieser afrikanischen Literatur greift, wird es vermutlich nie wieder tun. Ein ähnliches Beispiel einer fiktiven Diktatur wird in dem Buch nachstehend beschrieben.

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Ngugi wa Thiong’o – Herr der Krähen

Der 1938 in Kenia geborene Autor wird seit einigen Jahren als Favorit auf den Literaturnobelpreis gehandelt. Sein Hauptwerk, der höchst vergnügliche satirische Roman Herr der Krähen, handelt von einem namenlosen despotischen Herrscher „Seine Allmächtige Vortrefflichkeit“ in der fiktiven Republik Aburiria. Das Buch ist mit Leichtigkeit geschrieben und – trotz der fast 1000 Seiten – nie langweilig. Der Herrscher will sich mit gigantischen Bauvorhaben „Marching to Heaven“, einem modernen Turmbau zu Babel, Weltgeltung verschaffen. Er ist umgeben von Handlangern, die sich ständig bemühen, dem gottgleichen Herrscher ihre Ergebenheit zu beweisen. Sein Gegenspieler wird unfreiwillig der „Herr der Krähen“, ein Bettler, der zum Zauberer, Heiler und Seher wird.

Das Buch ist in bester afrikanischer Erzähltradition geschrieben und eine köstliche Parabel auf die politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse in einigen afrikanischen Staaten. Die Geschichte erinnert an das Kenia des Despoten Arap Moi, der von 1978 bis 2002 regierte. Das Buch sprüht vor Witz, Originalität und unerwarteten Wendungen. Ngugi wa Thiong’o schreibt Weltliteratur und jeder, der sich für Afrika interessiert, sollte dieses Buch kennen.

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Tendai Huchu – Der Friseur von Harare

In vielen Staaten müssen über 80 Prozent der Bevölkerung in der informellen Wirtschaft als Kleinunternehmer, Handwerker, Hausierer und Straßenhändler über die Runden kommen. Der Autor schildert eine Straßenszene: „Straßenverkäufer boten Freezits (Plastiktüten mit eingefrorenem Fruchtsaft als Eis) und Maputi (Popcorn), gegrillte Maiskolben, Obst, Eier und Gemüse feil. Das Angebot schien die Nachfrage zu übersteigen. Weil's keine Arbeit gab, versuchte jeder irgendwie über die Runden zu kommen, indem er irgendwas verkaufte. Vor beinahe jedem zweiten Hauseingang stand ein Holzverschlag: ein Kiosk, kaum komfortabler als die klapprigen Tische, die Bauchläden oder die improvisierten Verkaufsstände der fliegenden Händler. In jedem solchen Kiosk saß ein junges Familienmitglied und starrte Löcher in die Luft, weil Kundschaft sich nur höchst selten einfand“.

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Adaobi Tricia Nwaubani – Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die nigerianische Schriftstellerin thematisiert mit pfiffigem Witz den Vorschussbetrug durch die „Nigeria Connection“ in ihrem Roman. Der Onkel des Erzählers verkörpert das Klischee des afrikanischen Neureichen, der durch schmutzige Geschäfte und Korruption mächtig geworden ist und zur Krönung seiner Gier in die Politik strebt. „Anfangs tat ich mich schwer damit – mir Räuberpistolen aus den Fingern zu saugen, in denen jedes Wort gelogen war, ‚ist‘ und ‚war‘ eingeschlossen, oder SOS-E-Mails um die Welt zu schicken und zu hoffen, dass jemand anbiss und antwortete. Aber meine Bedenken waren vermutlich gegenstandslos. Hinter den Massen von E-Mail-Adressen konnten doch gar keine wirklichen Menschen stehen. Und wenn, wer auf der Welt war denn schon so dämlich, dass er auf die E-Mail eines wildfremden Menschen aus Nigeria hereinfiel?“.

Oder später im Roman: „Über einen Zeitraum von zwei Monaten ließ sich Mirabelle ohne Müh und Mäh um ungefähr $ 23.000 melken. Für die Ausstellung eines Totenscheins, einer Nächstverwandtschaftsurkunde, einer Anerkennungsbestätigung der Bank und eines Erbberechtigungsscheins. Dann schickte ich eine weitere E-Mail, in der ich erklärte, dass $ 7000 für die Transferrepatriierung benötigt würden. Dies, versprach ich, wäre die allerletzte Zahlung, bevor sie die $ 19 Millionen erhielt.“

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Drei weitere Klassiker

Die Senegalesin Mariama Ba (1929–1981) schreibt in ihrer klassisch gewordenen Erzählung Ein so langer Brief, wie sie als moderne Afrikanerin zu einem Opfer der überlieferten islamischen Polygamie wurde. In den Szenen einer afrikanisch-islamischen Ehe hat Mariama Ba offenbar viel Autobiografisches verarbeitet. Das Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Nach 30 Jahren Ehe und zwölf geborenen Kindern wird Ramatoulaye von ihrem Mann für das Schulmädchen Binetou verlassen. Die Lehrerin, gerade Witwe geworden, schreibt ihrer Freundin Aissatou: „Ich ermesse mit Entsetzen die Tragweite von Moudous Verrat. Das Verlassen seiner ersten Familie (meiner Kinder und mir) war gleichbedeutend mit der Wahl eines neuen Lebens. Er wollte nichts mehr von uns wissen. Er plante seine Zukunft ohne Rücksicht auf unsere Existenz. (...) Dieses Haus [das Haus für die neue Frau und deren Familie] und sein elegantes Mobiliar wurden erworben dank einem Bankdarlehen, das auf eine Hypothek der ‚Villa Falène‘, in der ich wohne, gewährt wurde. Diese Villa aber, deren Besitzurkunde seinen Namen trägt, ist eine gemeinsame Anschaffung aus unseren beiden Ersparnissen. (...) Vier Millionen, die er dank seiner bevorzugten Position ohne Schwierigkeiten ausleihen konnte, hatten Frau Schwiegermutter und ihrem Mann erlaubt, nach Mekka zu reisen und dort den Titel ‚Hadja‘ und ‚El Hadji‘ zu erwerben; sie hatten außerdem ermöglicht, dass Binetou bei jeder kleinsten Beule einen neuen Alfa Romeo bekam. (...) Und dann, nachdem er Binetou aus dem Schulbetrieb herausgeholt hatte, zahlte er ihr monatlich fünfzigtausend Francs, wie ein ihr zustehendes Gehalt“.

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Der Nigerianer Chinua Achebe (1930–2013) gilt als einer der Väter der modernen afrikanischen Literatur. Er schreibt in Einer von uns zum Beispiel zur Polygamie: „Das Problem bei meinem Vater war seine unersättliche Gier nach Frauen und Kindern. Oder sollte ich lieber sagen, Kindern und Frauen. Gegenwärtig hat er fünf Frauen – die jüngste selbst noch ein halbes Kind, das er sich letztes Jahr genommen hat. Dabei ist er mindestens achtundsechzig, wenn nicht siebzig. Er erhält eine kleine Rente, die vollkommen ausreichend wäre, wenn er eine kleine Familie und nicht fünfunddreißig Kinder hätte. Allerdings tut er inzwischen nicht einmal mehr so, als sorge er für die Familie. Die jeweiligen Frauen müssen selbst sehen, wie sie sich durchschlagen. Für die älteren wie Mama, deren erwachsene Kinder zum Unterhalt beitragen, ist es nicht so schlimm, aber die jüngeren müssen das Schulgeld für ihre Kinder mit dem Anbau von Feldfrüchten und ihrem bisschen Handel bestreiten“.

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Wole Soyinka schildert in seinen Erinnerungen Brich auf in früher Dämmerung, wie er in Stockholm von einer Dame, die ihn für ihr „humanitäres Werk“ einspannen wollte, ohne Hemmungen belästigt wurde: „(...) die Gattin eines ehemaligen europäischen Ministers, die in Ostafrika einen recht eindrucksvollen philanthropischen Stützpunkt errichtet hatte und deren zentrales Interesse den Kindern galt. Ihre semioffizielle Kampagne war dreist, direkt und imposant. (...) Meine Erinnerung an die dynamische Begegnung ist inzwischen etwas ungenau, da in dieser Zeit [er hatte gerade den Literaturnobelpreis erhalten] so viele Begegnungen stattfanden. (...) Madame hatte auch einen fähigen Assistenten – ein verbindlicher, schlaksiger Regierungsbeamter –, dessen Aufgabe es zu sein schien, die auf die überwältigende Erscheinung vorzubereiten, der sie gleich gegenüberstehen sollten, ihre Tugenden aufzuzählen, ihre Selbstlosigkeit zu preisen, mit der sie sich 'der Sache' widmete und sicherzustellen – oder war dies ein Service, der lediglich mir zuteilwurde? – daß man sich von ihrer schlichten, zurückhaltenden Art nicht täuschen ließ“.

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Die Autoren verstehen es aus unterschiedlichsten Blickwinkeln, uns authentisch Afrika und seine Menschen nahezubringen. Sie lehnen die Ihnen oft von außerhalb zugedachter Opferrolle ab. Die Rolle ist attraktiv, weil sie es ermöglicht, Verantwortung abzugeben. Sie finden es anmaßend, dass Ausländer Afrika für die Außenwelt definieren. Afrika ist nicht arm, hilflos und auf die ständigen Spendenaktionen und das Mitgefühl von großzügigen Gönnern im Westen angewiesen. Die vermeintliche Hilfe hat die wirtschaftliche Entwicklung nicht vorangebracht, sondern im Gegenteil vieles nur noch schlimmer gemacht, weil sie die Vorsorge verhindert.


Zur Person:

Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv 11. Auflage 2021, war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das Auswärtige Amt tätig. Er schreibt für verschiedene Medien wie Achgut und Pragmaticus.


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