Reisebericht: Die Walpurgisnacht zwischen Feuerstein und Borkenkäfer

Die Walpurgisnacht gehört im Harz seit jeher zu den größten Festen des Jahres. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing hat die Region besucht und berichtet über das Brauchtum vor Ort.

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Reisebericht: Die Walpurgisnacht zwischen Feuerstein und Borkenkäfer
Walpurgisnacht (Symbolbild) / Borkenkäferplage im Harz© IMAGO / Thomas Müller / FREILICH

Wer den „Tanz in den Mai“ oder ein anderes Maifest feiert, nimmt an einem Ritual teil, von dem manche behaupten, es sei schon vor 2000 Jahren in deutschen Landen gefeiert worden. Der klassischen Walpurgisnacht, die vom 30. April auf den 1. Mai fällt, gehen die Walpurgistage voraus, an denen die Harzer ihre Dörfer für die bevorstehenden Feierlichkeiten vorbereiten. Der Name Walpurgisnacht leitet sich vom Namenstag der Heiligen Walburga (auch Walpurga oder Walpurgis) ab. Die frühmittelalterliche Äbtissin wirkte ursprünglich als Missionarin in Süddeutschland, wurde aber nach ihrer Heiligsprechung am 1. Mai 870 durch Papst Hadrian II. in ganz Deutschland verehrt.

In der weltberühmten Tragödie Faust I von Johann Wolfgang von Goethe wird der Walpurgisnacht ein Denkmal gesetzt. Nachdem Faust den Bruder seiner Geliebten Gretchen erschlagen hat, begibt er sich mit Mephisto auf den Brocken und nimmt an den unheiligen Feierlichkeiten des Hexensabbats teil. Diese in der deutschen Mythologie als „Walpen“ bezeichneten Frauen sollen sich auf dem Gipfel des Brockens getroffen und dort satanische Rituale vollzogen haben. Derartige Ereignisse werden auf eine Vielzahl von „Hexentanzplätzen“ zurückgeführt, von denen der Brocken zumindest in Mittel- und Norddeutschland als der bekannteste gilt.

Die Walpurgisnacht bei Goethe

Die Brockenfestspiele haben mich schon einige Male in den Harz gelockt, zuletzt vor einigen Jahren, als Goethes Faust I als Rockoper direkt auf dem Brocken aufgeführt wurde. Auch wenn das Programm derzeit nicht weitergeführt wird, gibt es eine offizielle Aufführungs-DVD zu kaufen, die einen sehr guten Eindruck von der modernen und doch sehr unterhaltsamen Version des berühmten Stoffes vermittelt. Dieses Jahr hatte mich nicht der höchste Berg des Harzes, sondern das beschauliche Schierke eingeladen. Schon auf dem Weg dorthin erschütterte mich der Anblick der zum Teil völlig kahl geschlagenen Wälder. Die Mischung aus Dürrefolgen, Borkenkäferschäden und Feuerschneisen malte ein Panorama, das eher an das französische Niemandsland der Schützengräben oder an die Folgen der Industrialisierung von Isengart in J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“ erinnerte.

In der Heimat des berühmten Magenbitters „Schierker Feuerstein“ angekommen, setzte sich die düstere Kulisse fort. Der Bahnhof der Brockenbahn und der Weg zum Gipfel des Berges selbst lagen früher weitgehend im Schatten des dichten Nadelwaldes, heute liegt der fels- und moosbedeckte Waldboden in der prallen Sonne. Die Darstellung der Gründe und Folgen dieser Naturveränderungen überlasse ich den Kollegen des Oikos Verlages, der Anblick und das Wissen um den ursprünglichen Zustand ließen mein Herz schmerzen. Allein der Gedanke, als Einheimischer dem Verfall seiner Heimat tatenlos zusehen zu müssen, erschien mir unerträglich.

Der Borkenkäfer wütet im Harz

Trotz dieser ökologischen Verwerfungen wurde ich von Land und Leuten offen empfangen. Die von mir gewählte Unterkunft lag nur wenige Gehminuten vom Walpurgisfestplatz entfernt und auch der Aufstieg zum Brocken war von dort aus problemlos zu bewältigen. Ironischerweise hatte ich mir für die Wanderung auf den Brocken, der im Volksmund auch „Blocksberg“ genannt wird, einen Tag ausgesucht, an dem der Ort und wohl auch die gesamte Umgebung des Berges in dichten Nebel gehüllt waren. Fast wie von Geisterhand zogen die Schleier auf und zeichneten eine geheimnisvolle Szenerie auf dem Weg zum Gipfel. Auch wenn die Sicht dadurch stark eingeschränkt war, zogen die skelettartigen Reste des ehemals dichten Nadelwaldes immer wieder den Blick auf sich und trugen wesentlich zu der fast schaurigen Stimmung bei – nicht die schlechteste Atmosphäre für den bevorstehenden Hexensabbat.

In Schierke machte ich eine interessante Entdeckung. Direkt neben der imposanten Dorfkirche, auf einem der höchsten Punkte des Ortes, stand ein beeindruckendes Kriegerdenkmal für die deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges. Besonders auffällig: Über der Steinplatte mit den Namen der Soldaten aus dem Ort befand sich ein großer Feldstein mit der Inschrift „Helden“. Leider konnte ich vor Ort keine weiteren Informationen über das Denkmal erhalten, aber der Stein schien deutlich jünger zu sein als der Rest des Denkmals. Ob die DDR ein so deutliches Bekenntnis zum deutschen Soldaten unter einer solchen Überschrift geduldet hätte, erscheint ebenfalls fraglich. Umso erfreulicher war der gepflegte Zustand des Denkmals ohne Schmierereien oder sonstige Verunstaltungen.

Eine erfreuliche Entdeckung

Für Feinschmecker empfehle ich einen Besuch im Gasthaus „Zur Klippe“. Hier kam ich in den Genuss des sogenannten „Harzer Käsesteaks mit Musik“. Dahinter verbarg sich ein wunderbar gebratenes Steak, das mit echtem Harzer Käse überbacken und mit reichlich Röstzwiebeln belegt war. Die Kellnerin versprach mir, dass dies auch ein Leibgericht der Einheimischen sei, und ich verstehe jetzt, warum. Auch wenn ich im Rahmen der Feierlichkeiten noch einige Male köstlich essen konnte, blieb der Abend im „Zur Klippe“ der kulinarische Höhepunkt meines Aufenthaltes in Schierke, bei dem natürlich auch der berühmte „Feuerstein“-Schnaps auf den Tisch kam.

Das Walpurgisfestgelände war ein eingezäuntes Areal im Zentrum der Stadt innerhalb eines kleinen Parks. Dort waren auch zwei Bühnen aufgebaut, auf denen an beiden Tagen regelmäßig verschiedene Bands mit unterschiedlichen musikalischen Profilen auftraten. Ein besonderes Highlight war ein Narr, der in bunten Kostümen mit Späßen über sich selbst und sein Publikum für viel Gelächter sorgte. Auf dem Gelände gab es zahlreiche Stände, an denen mittelalterliche Gewänder, Schmuck und anderes Kunsthandwerk erworben werden konnten – regelmäßige Besucher von Mittelaltermärkten kennen das Angebot. Auch für das leibliche Wohl war bestens gesorgt, selbstgekelterte Weine und frisch zubereitete Speisen ließen keine Wünsche offen.

Apropos Besucher: Nicht wenige hatten sich anlässlich des Festes als Hexen, Teufel und andere gespenstische Gestalten verkleidet. Aber auch zahlreiche mittelalterliche Gewänder ließen mich immer wieder staunen, mit wie viel Liebe zum Detail die Menschen ihr Kostüm – ihre fiktive Figur aus einer anderen Zeit – zum Leben erweckten. Bis in die späten Abendstunden konnte man das Angebot der Händler bestaunen und den Musikern auf der Bühne lauschen. Die Walpurgisfeier in Schierke ist vielleicht kein revolutionäres Kulturangebot zur Wiederbelebung der deutschen Kultur – aber ehrlich, wer erwartet das schon? In Schierke erlebte ich ein wunderbar ehrliches und doch deutsches Volksfest, bei dem, während in Berlin und anderswo Linke und Krawalltouristen wieder für Terror und Randale sorgten, die Schierker und Harzer zeigten, dass deutsche Kultur nicht nur geschätzt, sondern auch gelebt werden kann.