Bauern in Bewegung – Eine kurze Geschichte des politischen Landstands

Die für diese Woche angekündigten Proteste der Landwirte und Bauern im ganzen Land haben bereits im Vorfeld für hitzige Debatten gesorgt. In einigen Kreisen befürchtet man sogar Umsturzfantasien und verweist auf historische Vorbilder. Auf welche eigentlich? FREILICH-Redakteur Mike Gutsing hat die politische Geschichte des Bauernstandes zusammengefasst und zeigt, was an diesen Vergleichen dran ist.

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Bauern in Bewegung – Eine kurze Geschichte des politischen Landstands
Blutige Ostern 1525.© IMAGO / H. Tschanz-Hofmann

Die Sozialgeschichte gehört zu den spannendsten und zugleich schwierigsten Forschungsfeldern der Geschichtswissenschaft. Sie wird meist in der Verbindung mit der Wirtschaftsgeschichte genannt und gehört zu den jüngeren Zweigen der akademischen Tradition. In ihr ist die Erforschung der gesellschaftlich relevanten Stände, Klassen und Schichten und ihre Wirkung auf ihre Umgebung angelegt, und da beginnt bereits das Problem. Wo endet die eine, wo fängt eine andere Schicht an? Selbst die mittelalterliche „ordo“ und die bekannte Dreiteilung der Gesellschaft in Klerus, Adel und arbeitende Bevölkerung, die häufig mit den Bauern gleichgesetzt wird, kennt mit dem Ritter eine Gestalt, die nicht in dieses Schema passt.

Auch bei dem Bauernstand gibt es erhebliche Probleme, ihn als soziale Gruppe zu definieren oder gar als politisches Subjekt in eine historische Tradition einzubinden. Die staatliche Vielgestalt Deutschland über weite Strecken der letzten 1500 Jahre abendländischer Geschichtsschreibung ist dabei ein weiteres Hindernis. Wenn man also von „den Bauern“ spricht, so muss, zumindest historisch betrachtet, eine hohe Diversität an Besitzverhältnissen, Selbstständigkeit und Überschneidungen mit anderen sozialen Gruppen mitgedacht werden.

„Die Revolution des gemeinen Mannes“

Die Arbeit an der eigenen Scholle ist wohl das zentrale Merkmal des historischen Bauernstandes. Egal ob weite Ländereien oder zersplitterte Parzellen, der Alltag des Landwirtes wird mehr von der Natur als vom Menschen bestimmt. So schlagen sich dann auch Veränderungen in den natürlichen Gegebenheiten mindestens im gleichen Maß in das Leben der Bauern nieder wie jeder menschliche Faktor, etwa ein Krieg oder übermäßige Besteuerung. Das frühe 16. Jahrhundert kannte für die Landarbeiter des Heiligen Römischen Reiches kaum Ruhepausen. Die sogenannte „Kleine Eiszeit“ verschlechterte die Ernteerträge in der gesamten nördlichen Hemisphäre. Die beginnende Kolonisation Amerikas führte zur Einfuhr hoher Mengen an Edelmetallen, was wiederum die Kaufkraft beeinflusste.

Angefeuert von der erdrückenden Lage durch hohe Abgabenlast, die starre Verweigerungshaltung des Territorialadels gegenüber Veränderungen und den neuen Ideen der Reformation sowie des Humanismus begann sich eine gefährliche Stimmung, ausgehend von den Städten Mühlheim, Forchheim sowie der Schweiz auf den beinahe gesamten südwestdeutschen Raum auszubreiten. Unter Symbolen wie dem Bundschuh sammelten sich Bauern, Bergleute und Städter, sogenannten „Fähnlein“ und Eidgenossenschaften, und entsagten ihren Herren die Treue. Der eskalierende Konflikt sollte als „Großer Bauernkrieg“ in die Geschichtsbücher eingehen und rund 75.000 Menschen das Leben kosten. Das Ende des Konflikts wurde teuer mit dem Blut der Aufständischen erkauft, die häufig lieber den Tod als eine Rückkehr in die Knechtschaft bevorzugten.

Von der Landflucht und den Parteien

Das 19. Jahrhundert brachte einen bislang unbekannten technischen Fortschritt und führte in vielen Ländern Europas nicht nur zu einer Bevölkerungsexplosion, sondern auch zu einer großflächigen Mechanisierung der Landwirtschaft. Die entstehenden Industriestädte zogen mit ihren geregelten Arbeitsverhältnissen und ihrem Versprechen auf Wohlstand einen großen Teil der Landbevölkerung aus ihren traditionellen Umgebungen. Erst das vereinte Deutschland kannte eine zentrale Vertretung der Bauern, die, losgelöst von den Ständeversammlungen, ihre Interessen vertrat. Im Kaiserreich gründeten sich dafür etwa der Bund der Landwirte (1893) oder der Bayerische Bauernbund, der sogar als politische Partei kandidierte. In ihnen fanden sich jedoch nicht mehr nur die Bauern selbst, sondern häufig auch die adligen Junker wieder, die angesichts der Industrialisierung und der zunehmenden Liberalisierung der Gesellschaft um ihre restlichen Vorrechte fürchteten.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges bildeten sich auf Basis der demokratischen Verfassung eine große Zahl regionaler und überregionaler Bauernvertretungen. Die bekannteste ist wohl der Reichslandbund (1921), der besonders in den großen Agrarregionen Mitteldeutschlands und der Ostgebiete stark verwurzelt war. Er stand der rechtskonservativen DNVP nahe, während etwa die norddeutsche Landvolkbewegung (1927), die sich aus der Agrarkrise der 20er-Jahre entwickelt hatte, den völkischen Parteien und später der NSDAP nahestand. Dennoch war die Landvolkbewegung keine nationalsozialistische Organisation. Eine tatsächliche Bauernpartei entstand mit der Christlich-Nationalen Bauern- und Landvolkpartei (1928) und der Deutschen Bauernpartei (1928), die ebenfalls zu den Unterstützern der republikfeindlichen Strömung zählten.

Mehr als ein Wurmfortsatz der Christdemokratie?

Bei diesem Sprung durch die Jahrhunderte wird eines klar: Die Organisation einer flächendeckenden Vertretung der Bauern auf der politischen Bühne ist ein Phänomen der Moderne – digitale Telekommunikation und Soziale Medien machen dies auch in diesen Tagen wieder deutlich. Ebenfalls klar auf der Hand liegen die Loyalitäten, denn die Bauern sind, frei nach David Goodhart, „Somewheres“: die Dagebliebenen. Sie stehen kosmopolitischen One-World-Ideen schon aus dem eigenen Selbsterhaltungstrieb heraus gegensätzlich gegenüber. Wer Getreide günstig aus Amerika oder Asien importieren kann, muss niemanden bezahlen, der es hier zu höheren Preisen anbaut.

Dass die kommenden Proteste in Gewaltexzesse oder gar Aufstände ausschlagen, kann stark bezweifelt werden. Auch die heute als extremistisch angesehene Landvolkbewegung begann als passiver Protest, und die wenigen gewalttätigen Aktionen waren im Kontext des politischen Straßenkampfes der Weimarer Republik mehr ein Sturm im Wasserglas, denn ein handfester Umsturzversuch. Das sollten auch die heutigen Vertreter der Bauern wissen und es ist zumindest eine historische Einmaligkeit, wenn der Präsident des Bauernverbandes gegen seine eigene Klientel wettert. Die Eidgenossen des Florian Geyer und die Kameraden von Claus Heim hätten ihrer Zeit Büttel und Beamten für weit weniger zum Teufel gejagt.